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Aktuell Prozess

Urteil in Reutlingen wegen Missbrauchs einer 13-Jährigen

Beziehung zwischen einem Mädchen und einem doppelt so alten Mann beschäftigt das Amtsgericht Reutlingen.

An der Fassade des Amtsgerichts in Stein gemeißelt: »Recht muss Recht bleiben«. FOTO: PIETH
An der Fassade des Amtsgerichts in Stein gemeißelt: »Recht muss Recht bleiben«. Foto: Frank Pieth
An der Fassade des Amtsgerichts in Stein gemeißelt: »Recht muss Recht bleiben«.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Ob es vorgeblich Liebe oder tatsächlich Ausnutzung eines Machtgefälles gewesen ist? Es war auf jeden Fall eine unheilvolle Beziehung. Weil er ein 13-jähriges Mädchen mehrfach sexuell missbraucht hat, ist ein 27 Jahre alter Mensch vom Schöffengericht am Reutlinger Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Verhandlung um einen insgesamt außergewöhnlichen Fall macht deutlich, dass der Gesetzgeber Missbrauch als schwere Tat ungeachtet problematischer und teils mildernder Umstände auch dementsprechend konsequent bestraft.

Auf der Anklagebank sitzt ein Mensch mitten im Wandel seiner geschlechtlichen Identität. Zum Zeitpunkt der Taten war er wohl noch Mann, mittlerweile trägt er einen weiblichen Vornamen sowie lange Haare und Damenstiefel mit hohen Plateausohlen. Staatsanwalt Dr. Burkhard Werner wirft der ihm gegenübersitzenden schmächtigen Gestalt schlimme Sachen vor.

Strafbare Umgangsformen

Die Angeklagte habe im Sommer 2021 in einer Jugendeinrichtung ein Mädchen kennengelernt. Die beiden hätten eine Beziehung mit problematischen und teils strafbaren Umgangsformen gehabt. In der Anklageschrift ist die Rede davon, dass der damals 26 Jahre alte Mann das junge Mädchen gekratzt, geboxt und gebissen habe. Außerdem sei es zu sexuellen Handlungen gekommen. Der Mann habe dem Mädchen mehrfach »länger und andauernd an die Brüste gefasst«, sowie sie auch im Intimbereich berührt. Damit ist der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen erfüllt. Der Beschuldigte bestätigt über seine Rechtsanwältin nicht nur in wesentlichen Punkten die Vorwürfe, sondern seine Aussagen im Vorfeld der Verhandlung sind detaillierter als diejenigen der Minderjährigen.

Gekratzt und gebissen

»Das stimmt mit dem Kratzen«, sagt Verteidigerin Safak Ott im Namen ihrer Mandantin. »Ja, es gab eine Boxerei – aber die war im Scherzbereich«. Die Aggression sei vom Angeklagten nicht als solche wahrgenommen worden, die Beziehung längst beendet. Weitere Zeugen lassen die Umstände der Beziehung zwischen dem Erwachsenen und der Minderjährigen etwas klarer erkennen.

Eine Kriminalkommissarin berichtet davon, wie die Mutter des Mädchens gemeinsam mit der Leiterin der Jugendeinrichtung bei ihr gewesen ist, um Anzeige zu erstatten. »Die Geschädigte sagte, dass sie durch die Beziehung Probleme hatte, auch Depressionen«, so die Polizistin. Der Beschuldigte habe auch gewusst, dass das Mädchen erst 13 Jahre alt ist. Er habe laut Aussagen der Zeugin geäußert, »sehr verliebt gewesen« zu sein. Die Angeklagte habe außerdem »die Situation auch bereut« und sei beim Gespräch mit den Ermittlern »überraschend offen gewesen«. Ähnliches steht auch im Bericht der Gerichtshilfe, den Amtsrichter Eberhard Hausch verliest.

Die Angeklagte zeige Einsicht in ihre Fehler, sei transsexuell und befinde sich in einer Hormonbehandlung, wird außerdem mitgeteilt. Sie »bereut die Beziehung mit dem Mädchen«, heißt es weiter. Allerdings sei es dem Menschen auf der Anklagebank möglicherweise nicht klar, »welche Folgen sein aggressives Verhalten hat«. Was wiederum daran liegen könne, dass der persönliche Entwicklungsstand nicht ihrem Alter im Personalausweis entspreche. Die Mutter des Mädchens beschreibt die erste Begegnung mit dem damaligen Mann als denkwürdig, »mir war aber nicht klar, dass sie in einer Beziehung« waren. Seit den Vorfällen habe ihre Tochter Schlafstörungen und Depressionen. Die Leiterin der Jugendeinrichtung schildert, wie sie die Annäherung des Paares beobachtet und frühzeitig darauf hingewiesen habe: »Das geht nicht, das ist nicht in Ordnung.«

Geistige Unreife

Nach dieser Beweisaufnahme hält der Staatsanwalt ein Plädoyer, in dem er sich hörbar bemüht, alle Facetten des Falles zu würdigen. Zwar spreche es für die Täterin, »von Anfang an geständig gewesen zu sein«, werde auch ihre geistige Unreife berücksichtigt, »aber das rechtfertigt nicht die Handlungen«. Dr. Burkhard Werner spricht von »massiven körperlichen Misshandlungen und vier sexuellen Übergriffen«. Die Mindeststrafe betrage beim Missbrauch von Kindern pro Fall ein Jahr, zitiert er das Strafgesetzbuch.

Unter dem Strich fordert Burkhard Werner eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Die Verteidigerin plädiert auf »höchstens eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe«. Das ungleiche Paar, so Safak Ott, habe eine Beziehung gelebt – und die Angeklagte sei nur auf dem Papier 26 Jahre alt gewesen.

Das Schöffengericht fällt einen Urteilsspruch, der für die Angeklagte keine Chance auf Bewährung zulässt. Ihre Taten werden mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geahndet. Richter Eberhard Hausch betont zur Erklärung des Strafmaßes die Vorgaben des Gesetzgebers, »da können wir nicht einfach sagen: Das Ergebnis gefällt uns nicht«. Die Angeklagte habe trotz mehrfacher klarer Ansagen mit ihren Handlungen gegenüber dem Mädchen weitergemacht. Es habe sich ganz klar um mehrere Missbrauchsfälle gehandelt. (GEA)