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Aktuell Arbeitslosigkeit

Unglaublich viel Potenzial

REUTLINGEN. Elf Schauspieler erzählen als »Hartz-Breaker« von sich. Von ihrem Leben. Und ihren Träumen. Und von der Realität. Jener Realität im Jobcenter. Warten. Stunde um Stunde. Worauf eigentlich? »Es muss für uns ein Leben danach geben«, sagt einer.

Träumen, warten, philosophieren, hadern: Die »Hartz-Breaker« haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und f
Träumen, warten, philosophieren, hadern: Die »Hartz-Breaker« haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und fruchtloser Job-Suche in »Wenn ich ein Vöglein wär« verarbeitet und zur Bühnenreife gebracht. Das Publikum dankte es ihnen bei der Premiere mit stehenden Ovationen. Foto: Norbert Leister
Träumen, warten, philosophieren, hadern: Die »Hartz-Breaker« haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und fruchtloser Job-Suche in »Wenn ich ein Vöglein wär« verarbeitet und zur Bühnenreife gebracht. Das Publikum dankte es ihnen bei der Premiere mit stehenden Ovationen.
Foto: Norbert Leister
Ein Leben nach dem Jobcenter. Doch die Verzweiflung greift so manches Mal um sich. »Mit elf Personen sind wir 100 Prozent, dann liegt die Wahrscheinlichkeit hier raus zu kommen bei 9,01 Prozent«, rechnet ein Mann mit Strohhut vor. Absurde Kalkulationen? Auf was verfällt man nicht alles, wenn man wartet. Auch aufs Frauenanmachen, wie die Schauspieltruppe darstellt.

Durchhalten. standhalten

»Durchhalten, standhalten«, lautet die Devise. Und immer wieder träumen. Von einem besseren Leben. »Ich will doch eigentlich nur glücklich sein.« Doch was heißt das denn? Die Arbeitslosen werden philosophisch: »Niemand ist weise, der nicht das Dunkel kennt.« Und sie fragen sich, ob es ein Leben nach dem Tod gibt.

Mit viel Wortwitz präsentieren sie ihr Stück, mit viel Hintergrund, jeder auf seine Art. Immer wieder erzählen sie von sich. Mit 18 Jahren schwanger. Freudlose Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Und jetzt? Arbeitslos. Warum eigentlich? Wer diese Schauspieltruppe am vergangenen Donnerstagabend gesehen hat, der muss sich unweigerlich fragen: Warum haben diese Menschen keinen Job?

Das Stück, das sie zusammen mit den Profi-Schauspielern Janina Fahrner und Peter Höfermayer entwickelt und einstudiert haben, ist eine Wucht. Und es offenbart unglaublich viel Potenzial, das diese Menschen mitbringen. Die elf Arbeitslosen zeigen Ausschnitte aus ihrem Leben. Dabei profilieren sie sich nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Spezialisten von Situationen, in die sie nie kommen wollten. Selten hat ein Schauspiel derart die Realität von Arbeitslosen widergespiegelt, wie »Wenn ich ein Vöglein wär«. Deutlich demonstrieren sie, dass jeder einzelne der im Jobcenter Wartenden einen anderen Lebensentwurf, andere Hoffnungen hatte, als ausgerechnet dort im Warteraum zu landen. Dabei flieht jeder in seine eigene kleine Traumwelt.

Geträumt wird zum Beispiel von einer Karriere als Tänzerin. Akrobatisch schwebt die kleine Frau über die Bühne, der Spagat ist die leichteste Übung für sie. Schön ist das anzusehen. Auch - oder gerade weil? - sie nicht das Gardemaß einer Tänzerin besitzt. Warum ist so jemand arbeitslos? Warum hat diese Truppe, die nach eigenen Angaben innerhalb des vergangenen halben Jahres »zu einer verschworenen Gemeinschaft geworden ist«, warum haben diese Menschen keinen Job? Sie verfügen über so viele Fähigkeiten. Die sie aufgrund eines gewagten Angebots von Jobcenter, DAA und LAG in den vergangenen Monaten entdecken konnten. »Wer arbeitslos wird, der sollte nach Reutlingen gehen«, sagte Peter Höfermayer vor der Premiere des Stückes.

Das Jobcenter wird solche Hinweise nicht unbedingt mit Vergnügen hören. Das Lob des Mit-Regisseurs vielleicht um so mehr: »In Reutlingen gibt es Menschen, die über den Tellerrand gucken.« Die Arbeitslos-Akteure haben sich dem Lob angeschlossen. »Das ist das Beste, was mir je passiert ist«, sagte eine Schauspielerin. Gedankt wurde es der Truppe nach der Aufführung mit »Standing Ovations« und nicht enden wollendem Beifall.

Und nun? »Ich bin jetzt nicht mehr arbeitslos, sondern Job-suchend«, sagt die Akteurin und lacht. Mit deutlich gestiegenem Selbstbewusstsein.

»Wir haben schon ins Auge gefasst, zusammenzubleiben und mal ein 'richtiges' Theaterstück einzustudieren«, sagt ein anderer Schauspieler. Das Talent ist auf jeden Fall vorhanden. Vorrangiges Ziel ist es aber zunächst: »wieder einen Job zu finden«. Und natürlich Geld zu verdienen.

Denn mit Hartz IV, da ist das Leben wirklich sehr bescheiden, wie im Stück immer wieder dargestellt wurde. Selbst wenn man vom Jobcenter angeboten bekommt, einen Schauspielkurs mitzumachen - die offenen Rechnungen zu Hause lassen sich davon nicht bezahlen.

Weitere Vorstellungen sind am Sonntag, 9. Dezember, und am Sonntag, 20. Januar, jeweils um 20 Uhr in den Räumen der LAG in der Heppstraße 99 zu sehen. Ein weiterer Termin ist im LTT in der Eberhardstraße 6 in Tübingen, am Sonntag, 3. Februar, ebenfalls um 20 Uhr. (GEA)