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Und Maradona begann zu zaubern

REUTLINGEN. Ein Trikot des VfB Stuttgart besitzt sie nicht. Und sie schläft auch nicht in VfB-Bettwäsche. Trotzdem: »Bei mir ist der rote Brustring quasi eintätowiert«, lacht Carmen Haselberger. Kein Wunder - begleitet sie doch die Stuttgarter Fußballer nun schon seit 25 Jahren. Die Reutlingerin ist als Kamerafrau für die Bilder verantwortlich, die über die Videowände im Stuttgarter Stadion flimmern.

Carmen Haselberger an der (gegen Wasser geschützten) Stadionkamera. FOTO: RENZ
Carmen Haselberger an der (gegen Wasser geschützten) Stadionkamera. Foto: Steffi Renz
Carmen Haselberger an der (gegen Wasser geschützten) Stadionkamera.
Foto: Steffi Renz
Dabei hatte die 48-Jährige zu Beginn ihrer Tätigkeit null Ahnung von Fußball: »Das war ein rotes Tuch für mich.« Was erstaunt, schließlich ist Carmen die Tochter von Wilfried Haselberger. Und der leitete in den 1970er-Jahren 33 Bundesligaspiele als Schiedsrichter und stand unzählige Male als Assistent an der Seitenlinie.

»Schon beim zweiten Spiel war ich mit dem Fußball-Virus infiziert«
Trotzdem wollte der Fußballfunke in frühen Jahren nicht überspringen. Statt des grünen Rasens lockten die Bühnenbretter - Carmen Haselberger machte sich auf nach München, um dort Theaterwissenschaften zu studieren. »Im Rahmen des Studiums waren wir auch mit Profikameras in Theatern unterwegs und haben Aufnahmen gemacht«, schildert sie den Beginn der Technikleidenschaft. Die statt an eine Bühne zum Radio führte, genauer gesagt zu »Hit-Radio Antenne 1«, wo die ausgebildete Toningenieurin seit 1987 als Rundfunkproduzentin arbeitet.

Im Nebenjob steht Carmen Haselberger im Stadion hinter der Kamera - bei jedem Spiel. »Mein Freizeitvergnügen« nennt sie die Arbeit dort. »Die Urlaubs- und Lebensplanung richtet sich nach dem VfB!«

Begonnen hat alles vor genau einem Viertel-Jahrhundert. Der Reutlinger Reinhard »Killa« Kühner war mit seiner Werbeagentur für die Vermarktung und den Betrieb der Videotafeln im Stadion verantwortlich. Er kannte Carmens Kamerakünste, und so hieß es kurzerhand »Du musst mit«!

Also filmte die damals 23-Jährige am 12. August 1986 erstmals, was sich auf dem Rasen abspielte. VfB Stuttgart gegen den FC Homburg lautete die Partie. »Ich war aufgeregt, weil ich keinen Spieler kannte«, plaudert Carmen Haselberger aus dem Nähkästchen. »Da sagte die Regie 'Film mal den Allgöwer', und ich musste fragen, welche Rückennummer der hat, weil ich nicht wusste, wie er aussah - heute unvorstellbar, aber es war so!«

Gänzlich unvorbereitet ging sie allerdings nicht ans Werk, dem Papa sei Dank. »Ich habe ihn vor dem Spiel um ein Regelheft gebeten, das hat er mir dann auch in die Hand gedrückt. Und er empfahl mir, die Sportschau und das Aktuelle Sportstudio anzuschauen.«

Die Kamerafrau muss schmunzeln, wenn sie das erzählt - längst wird im Hause Haselberger über Fußball im Allgemeinen und den VfB im Speziellen gefachsimpelt! »Schon beim zweiten Spiel war ich mit dem Fußball-Virus infiziert«, bekennt Carmen Haselberger.

Rund zweieinhalb Stunden vor Anpfiff trifft sie sich mit dem Team, das für die Unterhaltung zuständig ist, zur Regiebesprechung im Stadion. Etwa 60 Minuten vor Spielbeginn startet dann die Stadionshow, die von ihr bildlich dargestellt wird. Dazu steht sie seit vielen Jahren am Spielfeldrand vor der VfB-Fankurve.

»Meine Kamera hat schon den einen oder anderen Ball abbekommen - ich selbst blieb bisher verschont«, erzählt Carmen Haselberger. Und dass sie ihre Technik regelmäßig vor dem Rasensprenger retten muss. Auch Rote-Wurst-Zipfel flogen schon in ihre Richtung. »Die galten aber dem gegnerischen Torwart!«

Während des Spiels hat sie Pause, erst in der Halbzeit ist sie wieder aktiv. Und nach dem Match steht die temperamentvolle Betzingerin samt Kamera im Pressekonferenzraum und überträgt die Statements der Trainer auf die Monitore in den VIP-Räumen.

In 25 Jahren im Stadion hat Carmen Haselberger jede Menge erlebt. Unvergessen bleibt der Auftritt des argentinischen Superstars Diego Maradona vor dem UEFA-Cup-Endspiel im Mai 1989: »Der sah ein Mädchen an der Kamera, baute sich einen Meter vor mir auf und begann mit dem Ball zu zaubern.« Unangenehmer wurde es vor dem Endspiel im Pokal der Landesmeister ein Jahr zuvor. PSV Eindhoven gegen Benfica Lissabon hieß die Paarung und besonders die Fans aus Holland blieben der Kamerafrau im Gedächtnis.

»Ich fuhr mit meiner Kollegin im Schritttempo Richtung Parkplatz, als eine Gruppe PSV-Fans unser Auto umzingelte. Erst schaukelten sie den Wagen hin und her, dann zogen sie blank und präsentierten uns ihr nacktes Hinterteil an der Fensterscheibe - das war fast unheimlich!«

»Meine Kamera hat schon den einen oder anderen Ball abbekommen«
Egal, welche Partie im Stuttgarter Stadion anstand - Carmen Haselberger war dabei. »Nur einmal habe ich bei einem Spiel gefehlt«, erzählt sie. Das war, als das Musical »Pico« des unvergessenen Reutlinger Musikers Daddes Gaiser in Hamburg Premiere feierte. Sonst ist die Kamerafrau regelmäßig im Einsatz - wenn es nach ihr geht, noch möglichst lange. »Wenn sie mich weiter dabeihaben wollen - ich hab‘ Lust!« Schließlich sind die regelmäßigen Nachmittage im Stuttgarter Stadion für Carmen Haselberger »wie Heimkommen. Man kennt fast jeden Ordner und auch das Team der Show ist seit vielen Jahren zusammen«.

Das nächste Treffen steht schon am Samstag an. Dann empfängt der VfB Stuttgart Bayer 04 Leverkusen - und gewinnt. Meint die Fachfrau. »2:1« tippt sie, und es wäre ein tolles Geschenk zum 25-Jahr-Jubiläum an der Kamera. (GEA)