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Aktuell Benehmen

Umgang mit Handy: Was Reutlinger dazu sagen

Handys sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Der Umgang damit ist eine andere Sache. Wie wirken Dauertelefonierer auf Angestellte von Handel und Gastronomie in Reutlingen?

Ein junger Mann am Handy beim Besuch einer Bäckerei mit Café in Reutlingen. Wie fühlen sich die Angestellten, wenn Kunden smartp
Ein junger Mann am Handy beim Besuch einer Bäckerei mit Café in Reutlingen. Wie fühlen sich die Angestellten, wenn Kunden smartphonebedingt nur halb anwesend scheinen? Foto: Frank Pieth
Ein junger Mann am Handy beim Besuch einer Bäckerei mit Café in Reutlingen. Wie fühlen sich die Angestellten, wenn Kunden smartphonebedingt nur halb anwesend scheinen?
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Das Handy am oder der Knopf im Ohr gehört heutzutage zum Stadtbild. Wer in der Schlange beim Bäcker, Metzger oder im Supermarkt lautstark am Handy per Ferndiagnose Kinderkrankheiten, Steuererklärungen oder die kürzeste Verbindung von A nach B erörtert, nervt leicht mal gestresste Mitmenschen. Wie aber wirken Menschen, die stets erreichbar sein wollen oder müssen, und deshalb außerhalb der eigenen vier Wände und des Arbeitsplatzes dauertelefonieren auf Reutlinger Einzelhändler und deren Angestellte? Für sie gibt es kein Entrinnen - und die direkte Kommunikation leidet.

Verena Hertsch, Inhaberin in dritter Generation des mittelständischen Familienbetriebs Möck Lebensmittel, sagt: »Eigentlich gebietet es die Höflichkeit, dass man das Telefonieren im öffentlichen Raum lässt, aber Höflichkeit ist heutzutage halt eher eine relative Sache.« Von daher begegnen sie und ihre Mitarbeiter in den Edeka-Filialen im Reutlinger Hohbuch, in der August-Lämmle-Straße im Betzenried sowie in Gomaringen dieser Entwicklung mit Nachsicht. Das Gefühl von Belästigung halte sich bisher in Grenzen. Der eine oder andere gehe mit Handy oder vermehrt mit einem Stöpsel im Ohr durch die Märkte, aber Vorfälle, wo das zu blöden Situationen geführt hätte, fallen Verena Hertsch auf Anhieb keine ein. Wenn bei jemandem ausgerechnet beim Bezahlen das Mobiltelefon klingle, gingen die Meisten zwar ran, aber sagten dann in der Regel, »ich steh' grad an der Kasse, melde mich gleich zurück«.

Lustige Missverständnisse

Schwieriger wird es, wenn Leute mit Minikopfhörern zum Telefonieren oder Musikhören im Supermarktgang Mitarbeiter, die mit Waren zum Auffüllen der Regale vorbeimüssen, nicht bemerken. Doch selbst da weiß sie bislang von keinen unangenehmen Vorkommnissen: Die Angestellten machten sich dann halt »etwas deutlicher bemerkbar«, erklärt sie, sagen lauter als normal, »Achtung, ich muss geschwind vorbei«. An der Kasse führe es manchmal zu lustigen Missverständnissen, wenn jemand via Earpod am Telefon spricht und sich die Kassenmitarbeiter irrtümlich angesprochen fühlen.

Dauerhandynutzer finden sich auch in der Wilhelmstraßen-Filiale der Landmetzgerei Rapp. Geschäftsführerin Diana Broß beobachtet dies am Lonsinger Hauptsitz des 1980 im St. Johanner Ortsteil von ihren Eltern Herbert und Eva Rapp gegründeten Betriebs mit heute fünf Filialen zwar selten. Aber ab und zu fallen die auch dort auf. Dabei gehe es nicht nur um junge Kunden, sondern durchaus um Leute mittleren Alters, berichtet sie. Ältere hingegen scheinen Einkaufen und Telefonieren noch strikter zu trennen.

Bei viel Andrang für Angestellte anstrengend

Ihre Angestellten reagieren darauf unterschiedlich, sagt Metzgermeisterin Broß. Teils sind sie genervt und empfinden das als respektlos, teils stört es sie nicht. Aber wenn der Laden voll ist, und Kunden aufgrund dringender Handyaktivitäten nicht ganz bei der Sache sind, dann verzögert das unnötig die Geschäftsabläufe. Das sei dann schon anstrengend. »Doch heute ist das ja leider normal«, erklärt die Juniorchefin vom Metzger Rapp.

Die Verkäuferin in einer Reutlinger Bäckerei wird deutlicher: »Es gibt nichts Schlimmeres und Unhöflicheres!«, schimpft die Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte. »Ich empfinde das als absolut respektlos.« Insbesondere, wenn es schnell gehen soll, und sie voll konzentriert ihrer Arbeit nachgeht, der Kunde jedoch nur halb anwesend scheint. Das sei inzwischen leider alltäglich. Weshalb sie solch unangebrachtes Verhalten meist dezent ignoriere. Aber sie ist überzeugt: »Das steht und fällt mit der Erziehung zuhause.«

Zusammenstöße in der Gastronomie

Wenn das Gegenüber beim Kneipen- oder Restaurantbesuch lieber ins Handy stiert statt sich zu unterhalten, mag jeder Gast für sich entscheiden, ob er sich Treffen mit jener Person in natura künftig noch antut. Doch wie ergeht es Bedienungen und Thekenpersonal in Restaurants, Cafés und Kneipen? Hält es den Betrieb auf, wenn während des Bestellvorgangs Messages geschrieben werden oder telefoniert wird? Reagieren Gäste seit der flächendeckenden Ausbreitung tragbarer Telefone vermehrt nicht, wenn der Ober beim Servieren am Tisch fragt, wer das Schnitzel bekommt? Sehen sich Nutzer etwa von Apple-pay öfters außer Stande, das Endgerät zum Zeche-Begleichen vom Ohr zu lösen?

»Wir haben das Glück oder Pech, dass Gäste bei uns keinen Empfang haben«, sagt Elke Seywald von der Gutsgaststätte Alteburg im Westen von Reutlingen dazu. Wer telefonieren will, geht also aus dem Gastraum raus. Vom Servicegedanken her findet das die Wirtin eher schlecht. Für die Besucher des Gasthofs mag es aber von Vorteil sein, denn: »Bei uns müssen sie sich unterhalten.« Real, direkt, mit denen, die sich in unmittelbarer Nähe befinden.

Ist es unhöflich, wenn Gäste beim Bestellen oder Bezahlen zugleich Messages schreiben oder telefonieren?
Ist es unhöflich, wenn Gäste beim Bestellen oder Bezahlen zugleich Messages schreiben oder telefonieren? Foto: Archiv/Gerlinde Trinkhaus
Ist es unhöflich, wenn Gäste beim Bestellen oder Bezahlen zugleich Messages schreiben oder telefonieren?
Foto: Archiv/Gerlinde Trinkhaus

Apostolos Mylonas vom Café Nua am Reutlinger Marktplatz hingegen setzt auf junges Publikum. Viele Studenten und Schüler kämen gerade deshalb gern, da es kostenloses W-Lan sowie Ladekabel für Handys und Notebooks gibt. Umso öfter passiert es dort, dass Gäste, die beim Gehen aufs Handy starren, einen Kellner anrempeln. »Da kann man nicht großartig was machen«, meint der Sohn eines der drei Geschäftsführer des Familienbetriebs. Meist sei das ja nicht beabsichtigt. An Reaktionen hat er schon »alle möglichen Szenarien« erlebt. Von Unhöflichkeit und Schuldzuweisungen an die Bedienung bis hin zur Entschuldigung und Angeboten, die auf den Boden gefallenen Getränke zu bezahlen. Auch er findet: Ohne Smartphones geht es heute nicht mehr. Und: Es kommt drauf an, wie man damit umgeht. Wenn man aufs Klo geht, ist der Blick auf die neuesten Nachrichten in der Smartwatch doch mal verzichtbar. Und Personal, das zum Bestellung aufnehmen an den Tisch kommt und dreimal fragt, »was darf es sein?« zu ignorieren, findet auch Mylonas respektlos. Erst recht, wenn sich derselbe Gast später über mangelnden Service beklagt. Auch das kam schon vor. Wichtig ist ihm jedoch, dass es »keinesfalls nur negative Erfahrungen gibt«. 

Manche Restaurantbesucher stören sich schon dran, wenn am Nebentisch jemand das Handy zückt, um sein Essen zu fotografieren. Elke Seywald von der Alteburg hingegen findet das gut. »Diese Gäste leiten die Fotos meist gleich weiter an ihre Freunde«, sagt sie. Oder nutzen sie für positive Bewertungen. In beiden Fällen profitiert der Gastronom davon.

Zwischen zwei und vier nachmittags herrscht bei Edeka »stille Zeit«

»Wichtig ist uns nur, dass in unseren Märkten niemand zwischen 14 und 16 Uhr lautstark telefoniert«, erklärt Verena Hertsch von den Reutlinger Edeka-Lebensmittelmärkten. Denn da herrscht seit einigen Monaten in allen Möck-Filialen »stille Zeit«. Das heißt: Musikberieselung, Kassentöne und Durchsagen sind abgestellt. Generell versuche man, für Menschen, die Außenreize schlecht vertragen, diese während jener zwei Stunden zu minimieren. Darauf weisen die Mitarbeiter auch Kunden hin, die lautstark telefonieren. Anders als andere Betriebe in Baden-Württemberg mache Möck das nicht nur dienstagnachmittags, sondern täglich. Als kleine Ruhephase. »Wir erleben, dass das sehr gut ankommt.« Nicht nur bei den Kunden, sondern auch bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. (GEA)