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Streit um Polizeipräsenz: Reutlinger Festival abgesagt

Das Reutlinger »connect!«-Festival wird abgesagt. Organisatoren sprechen von Repression der Polizei, die wiederum verweist auf Drogenvergehen in der Vergangenheit. Ordnungsamtsleiter Albert Keppler sagt: »Die Veranstalter müssen sich fragen lassen, womit sie weniger Probleme haben: mit Polizisten auf dem Areal oder mit Drogendealern.«

2019 ging das »connect!«-Festival auf dem Listplatz über die Bühne. Vielleicht zum letzten Mal.
2019 ging das »connect!«-Festival auf dem Listplatz über die Bühne. Vielleicht zum letzten Mal. Foto: Anne Leipold
2019 ging das »connect!«-Festival auf dem Listplatz über die Bühne. Vielleicht zum letzten Mal.
Foto: Anne Leipold

REUTLINGEN. Der Reutlinger Veranstaltungskalender ist um ein Event ärmer. Die Organisatoren haben das »connect!«-Festival abgesagt, nachdem mit Ordnungsamt und Polizei keine Einigung über Auflagen erzielt werden konnte. Grund dafür sind Vorfälle aus der Vergangenheit, die bei allen Parteien Eindruck hinterlassen haben.

Was ist das »connect!«-Festival?

Das »connect!« ist ein Kulturfestival. Neben Musik gibt es Stelzenläufer, Jonglage, Hula Hoop- und Yoga-Workshops sowie einen eigenen Bereich für Kinder. Hinter der Veranstaltung steht der Verein »connect! e.V.«, der 2016 gegründet wurde und seinen Sitz in Tübingen hat, sagt der Erste Vorstand Immanuel Nagel dem GEA. Im selben Jahr ging das erste Open-Air-Event auf der Wagenburg über die Bühne, rund 1.000 Personen waren am Start. Nach einer erfolgreichen Neuauflage im Jahr 2017, wollte der Verein später expandieren. Also zog das Festival 2018 nach Münsingen auf die Alb.

2019 haben die Veranstalter mit ihrem Konzept beim »Käpsele«-Projekt der Reutlinger Stadtverwaltung gewonnen und 5.000 Euro Fördergelder erhalten. Im September fand das »connect!« schließlich im Listhof statt - bislang zum letzten Mal. Es folgte eine dreijährige Corona-Pause. Für 1. und 2. September 2023 war das Revival geplant. Bis zu 1.000 Besucher pro Tag wurden erwartet. Bands aus Reutlingen, Tübingen und Neuseeland waren gebucht, 400 Eintrittskarten bereits verkauft gewesen. »Wir haben damit gerechnet, alle Tickets loszuwerden«, sagt Nagel.

Warum haben die Veranstalter das Event abgesagt?

Die Veranstalter halten die geplante Präsenz der Polizei für unverhältnismäßig und sprechen in einem öffentlichen Statement von »Repression«. »Beim dritten Kooperationsgespräch mit Polizei und Ordnungsamt wurde uns gesagt, dass es zusätzlich zu Zivil-Polizisten eine uniformierte Bestreifung gibt. Damit haben wir ein Problem«, sagt Nagel. Nicht, weil man etwas zu verbergen habe, sondern weil man sich beim Feiern gestört fühle. Die Organisatoren wollten den Passus »uneingeschränkter Zutritt der Polizei auf das Gelände« bis vergangenen Freitag aus dem Sicherheitskonzept streichen lassen. Die Stadtverwaltung habe sich geweigert und auf die Polizei verwiesen.

Was fordern die Organisatoren?

Laut Nagel wollte der Veranstalter Zivil-Polizisten in einem normalen Verhältnis zur Teilnehmerzahl auf das Gelände lassen. Bei 1.000 Besuchern halte er vier Beamte für akzeptabel. Außerhalb des Areals hätten sich Streifenpolizisten in Bereitschaft halten können. »Dort dürfen die auch jeden kontrollieren, das ist uns egal.« Auf der Veranstaltungsfläche lehne man anlasslosen Kontrollen jedoch ab, da sie die Gäste unter Generalverdacht stellen. Zusätzlich hätte man angeboten, einen gemeinsamen Rundgang mit der Polizei zu machen.

Geht es bei der Absage ums Prinzip?

Wenn kein Festival offensichtlich besser ist, als eines mit Polizei, stellt sich die Frage, ob es dabei nicht ums Prinzip geht. Immanuel Nagel verneint das auf GEA-Nachfrage. »Unser großes Ziel war nicht die Veranstaltung selber, sondern dass wir uns für die Gäste einsetzen.« 2018 habe die Polizei ohne Absprache ein Durchsuchungszelt auf einer Evakuierungsfläche aufgebaut. »Darin wurden Menschen, die sich auf der Tanzfläche eine Zigarette gedreht haben, intim kontrolliert.« 2019 sei es zu einem Einsatz einer Spezialeinheit gekommen, bei dem eine Sicherheitsmitarbeiterin nach einem Missverständnis festgenommen worden sei. Hagel hat das Gefühl, dass man in Reutlingen besonders streng ist. »In Tübingen hatten wir keine Probleme«, sagt er. Das Ordnungsamt der Unistadt habe damals gesagt: »Wir fahren nicht die Reutlinger Schiene.«

Was sagt das Ordnungsamt?

»Auf einem Festival dieser Größe, Ausrichtung und mit dieser Vorgeschichte muss ein gewisses Maß an Sicherheit gewährleistet werden«, sagt Ordnungsamtsleiter Albert Keppler dem GEA und ergänzt: »Die Gespräche haben leider nicht zur gewünschten Übereinstimmung geführt. Der Veranstalter sieht ein Problem in der Polizeipräsenz - wir nicht.« Keppler betont: »Wir möchten Kultur wie das «connect!»-Festival, das macht Reutlingen interessanter.« Allerdings halte man es für notwendig, dass die Polizei Zutritt zum Veranstaltungsgelände hat. »Die Veranstalter müssen sich fragen lassen, womit sie weniger Probleme haben: mit Polizisten auf dem Areal oder mit Drogendealern«, sagt der Ordnungsamtsleiter.

Was sagt die Polizei?

Das Reutlinger Polizeipräsidium weist den Vorwurf der willkürlichen Repression »entschieden zurück«, schreibt Pressesprecherin Andrea Kopp in einem Statement. Die Verhältnismäßigkeit der geplanten Maßnahmen sei angesichts der Erfahrungen bei zurückliegenden Events gegeben. 2016, 2018 und 2019 sei es zu etlichen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gekommen. »Dabei wurden nicht nur Besitz und Konsum illegaler Drogen festgestellt, sondern auch Handel, sowie Delikte des Fahrens unter Drogen- oder Alkoholeinfluss.« Die Festnahme eines Dealers im Jahr 2019 zeige außerdem, dass das Festival in Kreisen potenzieller Drogenhändler als geeignet angesehen wird, Drogen zu verkaufen.

Trotz entsprechender Zusicherungen sei es den Veranstaltern nicht gelungen, den Drogen-Delikten erfolgreich zu begegnen. »Betont werden muss, dass es sich nicht nur um Bagatelldelikte oder allgemeine Verstöße handelt, sondern angesichts des Publikums auch Verbrechenstatbestände wie die Abgabe von Drogen an Minderjährige in Betracht gezogen werden müssen.«

Trotz alldem sei die Polizei bereit gewesen, die Zahl der Kräfte sowie die Einsatztaktik anzupassen. Laut Polizei sollte etwa auf eine Aufstellfläche für Polizeikräfte verzichtet werden, genauso auf den Einsatz von Beweissicherungs- und Festnahmekräften des »PP Einsatz«. Auf uniformierte Kräfte auf dem Gelände hätte man jedoch nicht verzichten können. »Wir bedauern, dass in diesem Jahr keine gemeinsame Position gefunden werden konnte und sind auch weiterhin zu konstruktiven Gesprächen bereit«, so die Polizei.

Was passiert mit den Tickets?

Der Verein verspricht, dass »der volle Betrag« für die Tickets zurückerstattet wird. Jedoch nehme die Rückabwicklung viel Zeit in Anspruch. »Wir bitten euch um Verständnis, dass wir den Prozess der Rückabwicklung frühestens in drei Wochen beginnen können, da der Abbruch für uns vor allem auch finanziell keine leichte Situation ist und wir uns erstmal einen Überblick über alles verschaffen müssen«, heißt es auf der Website des Veranstalters. Man werde sich zeitnah mit detaillierteren Infos an Karteninhaber wenden.

Wie geht es mit dem Festival weiter?

Wie es mit dem »connect!«-Festival weitergeht, ist noch nicht sicher. Klar ist: »Wir haben etwa 10.000 Euro Schulden. Die versuchen wir zu decken. Mit finanzieller Unterstützung durch Gäste oder durch kleine Veranstaltungen«, sagt Nagel. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde das Event nicht mehr in Reutlingen stattfinden. »Wir werden uns vermutlich außerhalb des Landkreises ein Gelände suchen«, so Hagel. Ihm und seinen Mitstreitern liege zwar etwas an der Echazstadt, viele kämen von dort. »Wir wollen dort gerne etwas auf die Beine stellen, aber nicht unter allen Bedingungen.«

Wie ist die Resonanz auf die Absage?

Auf Instagram macht der Verein die Absage öffentlich. Der Beitrag wird von vielen Usern kommentiert, die meisten halten die Entscheidung der Veranstalter für richtig. »Meines Erachtens das richtige Zeichen. Ich habe nichts gegen die Polizei, überhaupt nicht. Aber ich habe schon oft genug erlebt, dass eine sichtbare Präsenz zu mehr Problemen, Unsicherheiten, zu Aggressionen geführt hat«, schreibt eine Kommentatorin. Eine andere textet: »Alles freiheitliche, autarke, solidarische wird als suspekt erachtet und muss natürlich überwacht werden. Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen! Wir lassen uns nicht überwachen und anlasslos kontrollieren!« (GEA)