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Straftäter: Herkunft nennen oder nicht?

Die Öffentlichkeit fühlt sich von Mauern des Schweigens umgeben. Die aufgeheizte Stimmung trifft auch die Medien. Immer wieder stehen Journalisten vor der Frage: Sollen sie bei Straftaten grundsätzlich die Nationalität von Tätern nennen (weil es schlicht zur Wahrheit und Klarheit gehört), oder leisten sie damit der Fremdenfeindlichkeit Vorschub?

Ein Polizeibeamter trägt Handschellen und seine Dienstwaffe am Hosenbund. Foto: Norbert Försterling/Archiv
Ein Polizeibeamter trägt Handschellen und seine Dienstwaffe am Hosenbund. Foto: Norbert Försterling/Archiv
Ein Polizeibeamter trägt Handschellen und seine Dienstwaffe am Hosenbund. Foto: Norbert Försterling/Archiv
Seit 1956 gibt es in Deutschland den Presserat, der bei seinen Entscheidungen auf den Pressekodex, eine Art Ehrenkodex für Journalisten, zurückgreift. In 16 Ziffern sind die Leitplanken definiert, was Journalisten dürfen und was nicht. Macht der Presserat einen schwerwiegenden Verstoß dagegen aus, kann er eine öffentliche Rüge aussprechen. Besonders zum Tragen kommt hier Ziffer 12, Richtlinie 12.1, die besagt, dass in der Berichterstattung über Straftaten die Zugehörigkeit von Verdächtigen oder Tätern zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt werden darf, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs »ein begründbarer Sachbezug« besteht. Und weiter heißt es: »Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.«

Medien sind demnach durch den Pressekodex dazu angehalten, mit der Herkunft von Straftätern zurückhaltend umzugehen. Auch im Fall der Berichterstattung über die Übergriffe von Köln befinden wir uns im Widerstreit mit dem Pressekodex. Die Täter dieser »neuen Form der Kriminalität« sollten dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum stammen, trugen übereinstimmend im Einsatz befindliche Beamte, der Polizeipräsident und der nordrhein-west- fälische Innenminister vor. Insofern konnte und kann man hier zu dem Schluss kommen, dass die vermutete Herkunft der Täter für das Verständnis der Vorgänge wichtig war.

Eine anfängliche Zurückhaltung journalistischer Medien war aber ebenso richtig. Wenn die Informationslage noch spärlich ist, braucht es zunächst Zeit – Zeit für sorgfältige Recherche. Wie sehr der Presserat selbst in der Auslegung des Pressekodex zerrissen ist, zeigt seine unmittelbare Reaktion auf Köln: Die Nennung von Migrationshintergründen bei diesen Vorkommnissen sei »noch akzeptabel« gewesen, heißt es. Dies ist weder ein klares Ja noch ein klares Nein.

Eine Illusion in Zeiten von sozialen Medien ist es zu glauben, Informationen ließen sich unterdrücken. Andererseits lehrt die Erfahrung aber auch: Über soziale Medien verbreiten sich schnell Gerüchte mit der Neigung, zu gefährlichen Verschwörungstheorien zu mutieren. Auch hier gilt umso mehr, zunächst die Faktenlage zu prüfen.

Letztendlich ist und bleibt es eine Frage der Einschätzung in jedem Einzelfall – auch für die Redaktion des Reutlinger General-Anzeigers. Die Nennung der Nationalität eines Täters ist nicht bei jedem Ladendiebstahl angebracht. Wenn aber Täter oder Zeugen gesucht werden, die Tat einen kulturell bedingten Hintergrund hat oder bestimmte Nationalitäten immer wieder auffallen durch typische Maschen des Gesetzesbruchs – dann macht es Sinn. Mit Vertuschung oder Fremdenfeindlichkeit hat das alles nichts zu tun.

hartmut.troebs@gea.de
GEA-Chefredakteur Hartmut Troebs.
GEA-Chefredakteur Hartmut Troebs.
GEA-Chefredakteur Hartmut Troebs.