REUTLINGEN. »Kaum saßen wir auf einer Bank beim Reutlinger Markwasensee, da ging das schon los mit den Stechmücken. Innerhalb von Minuten waren wir übersät mit Stichen«, so fasst ein GEA-Leser aus Metzingen seine jüngsten Erlebnisse zusammen. Mittlerweile kann fast jeder eine solche Erzählung beisteuern. Sei es vom Markwasensee, vom Kirchentellinsfurter Baggersee, vom Neckar oder einfach von der heimischen Terrasse.
Nirgendwo scheinen die Menschen in der Region gerade vor Stechmücken sicher zu sein. Überall gibt es zahlreiche Pfützen, die Wassertonnen in den Gärten sind gut gefüllt. Rechts und links der Flüsse haben sich in den letzten Wochen Überschwemmungsgebiete gebildet. Dort sind mehr oder weniger große Wasserflächen zu finden, die zu großzügigen Brutstätten und Kinderstuben der Stechmücken geworden sind. Hinzu kommen noch zahlreiche Äcker in der Region Neckar-Alb, auf denen Flächen unter Wasser stehen. Die Plagegeister von dort haben sogar einen Namen: Überschwemmungsmücken.
»Das geht jetzt erst richtig los und erreicht den Höhepunkt im August«
Experten, wie Doktor Alfons Renz, Biologe und Mückenexperte am Institut für Evolution und Ökologie der Uni Tübingen, wissen: Allein in der Region schwirren gerade um die 50 Arten von Stechmücken umher: "Dazu gehören unter anderem Kriebelmücken, Gnitzen, Bremsen, Ringelmücken oder Wadenstecher." Die Stiche von den Blutsaugern können unter Umständen auch Allergien auslösen oder, schlimmer noch, Krankheiten übertragen. "Nahezu alle Stiche nerven und jucken anschließend", so Renz. Er blickt zudem in die nahe Zukunft und weist darauf hin, dass die Stechmücken-Saison gerade erst begonnen hat: »Das geht jetzt erst richtig los und erreicht den Höhepunkt im August«, so Renz und liefert den biologischen Hintergrund gleich nach: "Innerhalb von einem Monat können sich gleich zwei neue Mücken-Generationen entwickeln." Das heißt, die wahre Invasion und ein großes Hauen und Stechen stehen noch bevor.
Dabei dürfte allen klar sein, wo die Plagegeister ihre Hochburgen haben, von denen sie vor allem nachts ausschwärmen, um blutige Beute in hiesigen Gärten, Wohn- und Schlafzimmern zu machen. »Jede stille Pfütze ist den Stechmücken willkommen und wer seine Wassertonne ohne Deckel im Garten stehen hat, muss sich nicht wundern, woher die Angriffe geflogen werden«, sagt Alfons Renz.
All dies hat jetzt auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha erkannt und in einer Mitteilung vor »idealen Bedingungen für die Vermehrung von Stechmücken« gewarnt. Außerdem habe sich die Asiatische Tigermücke im Land bereits etabliert und fühle sich neben Gebieten am Oberrhein und am Bodensee, auch am Neckar wohl, so der Gesundheitsminister. Die exotische Mücke könne zum möglichen Krankheitsüberträger werden, weil sie Viren wie Dengue oder Chikungunga in Baden-Württemberg übertragen. Aber nur dann, wenn Reiserückkehrer diese Viren mitbrächten und dann von der Tigermücke gestochen werden.
»Hier haben sie keine natürlichen Feinde wie Fische oder Libellen«
Stechmücken - auch die heimischen Arten - seien gerade im Neckartal in der Vergangenheit häufig Krankheitsüberträger gewesen, berichtet Biologe Renz und erinnert an zahlreiche Malariafälle im Bereich des heutigen K'furter Baggersees: »Das zog sich bis in die 1920er-Jahre«, weiß er. Das Gebiet zwischen dem See und Pliezhausen sei auch aktuell eine Stechmücken-Hochburg, weil sich hier ein reiches Angebot an Brutstätten gebildet hätte. Für Mücken seien die Überschwemmungsgebiete ein regelrechtes Paradies und eine störungsfreie Kinderstube: »Hier haben sie keine natürlichen Feinde wie Fische oder Libellen.«
Die Überschwemmungsmücken sind im Vergleich zu den Hausmücken sogar noch angriffslustiger und von der Natur mit mehr Möglichkeiten ausgestattet worden. Sie können kilometerweite Strecken zurücklegen. Mehr als gewöhnliche Hausmücken. »Die stechen tagsüber ebenso fleißig wie nachts«, so der Mückenexperte. Zudem lebten sie viel länger als ihre Artgenossen, bis zu fünf Monate.
»Wer seine Wassertonne ohne Deckel im Garten stehen hat, muss sich nicht wundern«
Doch was zieht die Viecher so magisch an? Wieso stechen sie manche Menschen mehr und andere nicht? »Es heißt ja immer wieder, die Stechmücken würden von 'süßem Blut' angelockt. Das stimmt nicht«, so der Tübinger Experte. »Vielmehr ist es eine Mischung der menschlichen Ausdünstungen, die für die Viecher anziehend wirken. Dazu zählt vor allem das CO2 in der Atemluft, aber auch Schweiß und Körpergeruch.« Letzterer setze sich zusammen aus Milchsäuren, Fettsäuren und Ammoniak.
Er räumt gleichzeitig mit einem weiteren weit verbreiteten Irrtum auf, wonach viele Menschen annehmen, eine Mücke würde einmal stechen und einmal Blut saugen und sich dann zufriedengeben. »Das ist völlig falsch. Mücken stechen meist zwei- oder dreimal. Dabei saugen sie sich ziemlich voll, etwa mit einem Kubikmillimeter Blut. Sie nehmen sich mehrere Mahlzeiten.« Dabei würden sie bei jedem Stich sogenannte Histamine in die Stichwunde spritzen: »Das ist der Stoff, der für das spätere Jucken verantwortlich ist«, sagt er.
Gleichzeitig warnt er vor dem Kratzen. Die so entstehenden Wunden könnten sich entzünden, es könnten Bakterien hineingeraten, und alles würde nur noch schlimmer. »Das Jucken hört in der Regel nach etwa 30 Minuten auf. Solange sollte man es aushalten.« Er weist fast nebenbei darauf hin: »Der Mensch ist für die Mücken nur die zweite Wahl. Viel häufiger stechen sie Tiere, häufig Vögel sowie Hühner und sämtliche Nutztiere.«
Dem Tübinger Mückenexperten, der auch schon in Afrika geforscht hat, ist eins ganz wichtig: »Hierzulande sind Mückenstiche meist nur lästig oder unangenehm. In den Tropen kann jeder Stich eine tödliche Gefahr für Mensch und Tier bedeuten.« (GEA)