REUTLINGEN. Eine »unendliche Geschichte«, die zum zeitgemäßen Hit wird? Der Reutlinger Gemeinderat hat am Donnerstag den Plan zur Bebauung des Gebiets »Orschel-Hagen Süd« eine Runde weiter gewunken. Das Konzept der Wettbewerbsgewinner von 2012, Project (Esslingen) und Planstatt Senner (Überlingen), war in Bezug auf Regen- sowie Hochwasser- und Verkehrsplanung seit 2019 nochmal grundlegend überarbeitet worden. Die Stadtverwaltung soll nun zusammen mit der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG ein Konzept für die Stärkung des bestehenden Stadtteils erarbeiten. So will man sicherstellen, dass dessen Infrastruktur den wohl ab 2029 dort einziehenden knapp 1.000 neuen Bewohnern auch gewachsen ist.
Oberbürgermeister Thomas Keck freut sich »nach jahrelangem Dialog« auf das dort auf einer Fläche von rund neun Hektar entstehende »offene und lebendige Quartier«. Mit 460 Einheiten entstehe dringend benötigter Wohnraum. Weitere Vorteile: Die 13 jeweils drei- bis sechsstöckigen Wohnhöfe sind ausnahmslos barrierefrei zugänglich, die Tiefenbachaue wird freigehalten, zwischen den Häusern werden »so viele Bäume wie möglich« gepflanzt und »es wird auch an die alten Orschel-Hagener gedacht« - großes Lob an die GWG für den Mut, »in dieser Zeit zu bauen«.
»Das Konzept passt zu Orschel-Hagen. Es ist stark vom Menschen aus gedacht«
Bezüglich der langen Vorgeschichte sagt der Leiter des Amts für Stadtentwicklung und Vermessung, Stefan Dvorak, er sei seit den 1990er-Jahren schon der fünfte Amtsleiter, der an »Orschel-Hagen Süd« arbeiten dürfe. Dies sei »ein Tag der Freude« - darin stimmen ihm letztlich alle Fraktionen zu.
Das neue Konzept »passt zu Orschel-Hagen«, ist er überzeugt. Nicht zuletzt, da unter acht Stellungnahmen seitens der Behörden und sieben aus der Öffentlichkeit, die zum Vorgänger-Entwurf eingegangen waren, unter anderem »die einheimischen Bitten, das neue Wohngebiet von der Rommelsbacher Straße her zu erschließen« aufgenommen wurde. Zwei Drittel des Verkehrs ins Neubaugebiet werde über diese Zufahrt fließen, kündigt der oberste Planer der Stadt an. Nur ein Drittel der autofahrenden Bewohner und Besucher dürfte die Nürnberger Straße durchs bestehende Zentrum nutzen. Von Norden her gebe es dann »endlich den lange geforderten verkehrsberuhigten Bereich zwischen den Kirchen - mit Spielstraßenschild«. Dass dann wieder Kinder auf der Straße spielen und sich innerhalb der Wohnhöfe die Bewohner begegnen und Feste feiern können, all das sei »stark vom Menschen aus gedacht«.
»Wer eingekauft hat, kann natürlich bis zur Wohnung fahren. Aber es gibt nur wenige Tiefgaragen.«
Orschel-Hagen Süd steht für moderne Vorstellungen von bezahlbarem und generationenübergreifendem Bauen. 70 Prozent der Wohnungen sollen mit öffentlicher Förderung gebaut werden. Dazu ist in der Nähe der Kirchen - am »Platz der Ökumene« - ein Kinder- und Familienzentrum mit Kita geplant. Ebenfalls zeitgemäß und zur einstigen Idee der »Gartenstadt Orschel-Hagen« passend: Auf der »topografisch anspruchsvollen Hanglage« soll ein »autoarmes Gebiet« entstehen. Für Kraftfahrzeuge gibt es an beiden Zufahrten Parkhäuser. »Wer eingekauft hat, kann natürlich bis zu seiner Wohnung fahren«, erklärt Dvorak. Aber teure Tiefgaragenstellplätze zu je rund 45.000 Euro gibt es viel weniger als bislang üblich. Vorrangig seien die für ältere und körperlich beeinträchtigte Bewohner gedacht. Stattdessen soll in und um die Wohnhöfe umweltfreundliche Mobilität gefördert werden. Indem schattige, kurze Wege und ausreichend Abstellmöglichkeiten das Zufußgehen und Radfahren attraktiv machen. Und indem Carsharing-Angebote ein »Leben ohne eigenes Auto« ermöglichen.
Statt eines »Regenüberlaufbeckens für Millionen Euro« sieht das Konzept vor, Regenwasser über Grünbereiche zwischen den Wohnhäusern in den Dietenbach abzuleiten. Zudem sollen Retentionsmulden und begrünte Dächer Niederschläge aufnehmen. Dach- und Fassadenbewuchs soll das Quartier zudem kühlen. »Das wird immer wichtiger.« So bietet der neu entstehende Stadtteil Dvorak zufolge eine hohe Lebensqualität, obwohl die Zahl der Wohnungen von 370 auf 460 erhöht wurde. Serielles Bauen senke die Preise und garantiere Hochwertigkeit, ohne zu Uniformität zu führen.
»Dieses Baugebiet startet anders: mit Pflanzungen noch vor dem Spatenstich«
Der Zeitplan sieht vor, die Öffentlichkeit noch im November einzubeziehen, im Dezember sind Gespräche mit Umweltverbänden dran und im März soll der Satzungsbeschluss stehen. Parallel dazu werde schon mit Artenschutzmaßnahmen begonnen. »Deshalb wird dieses Baugebiet anders starten: mit ersten Pflanzungen noch vor dem Spatenstich.« Im März 2027 sollen für die Erschließung die Bagger anrücken, damit ein Jahr später - Frühjahr 2028 - die ersten Wohnhöfe in die Höhe wachsen können.
»Insgesamt hocherfreulich« nennt Regine Vohrer (FDP) das Projekt auf »riesengroßer Fläche« samt Ortsentwicklungskonzept, das hoffentlich reibungsloser verlaufe als in Rommelsbach. Edeltraut Stiedl (SPD) erinnert als Orschel-Hagenerin an die »Spaltung«, die das Vorhaben einst unter den Bürgern hervorgerufen hatte. Schade, dass viele Bürger schon vor 28 Jahren ihre »Gütle« dafür räumen mussten. Doch es habe sich gelohnt, dass man so stark auf der Verkehrsberuhigung des Zentrums beharrte. Die Neugestaltung des Dresdner Platzes sei eine Chance, aber auch Herausforderung. »Der muss dringend saniert werden.« Auch Erich Fritz (FWV) legt Wert darauf, dass sich die Stadt »ums Zentrum von Orschel-Hagen kümmert« und ermutigt die GWG, »Vollgas zu geben«. Laut Jaron Immer (Grüne/Unabhängige) zeigen die Pläne, dass günstige Mieten und ein begrüntes Stadtviertel einander nicht ausschließen. Und für Elisabeth Hillebrand (CDU) ist diese »Never Ending Story« jetzt eine »ganz tolle Geschichte«.
Nach dem zuständigen Ausschuss hat am Donnerstag auch der Gemeinderat den Auslegungsbeschluss für den Bebauungsplan gefasst. Dass das »Ja« einstimmig ausfiel, wertet OB Keck als »ganz starkes Zeichen«. (GEA)



