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Stadt Reutlingen will Bol als Gewerbefläche reservieren

124 Hektar Entwicklungsflächen allein im Außenbereich: Der Gemeinderat hat das Entwicklungskonzept abgesegnet und damit die Reutlinger Wünsche für den Flächennutzungsplan.

Das Baseball-Feld der Reutlingen Woodpeckers könnte der Gewerbefläche weichen. Zunächst finden aber weitere Prüfungen statt. ARCHIV-FOTO: NIETHAMMER
Das Baseball-Feld der Reutlingen Woodpeckers könnte der Gewerbefläche weichen. Zunächst finden aber weitere Prüfungen statt. ARCHIV-FOTO: NIETHAMMER

REUTLINGEN. Der Flächennutzungsplan ist die Grundlage für die weitere Entwicklung von Wohn- und Gewerbeflächen. Er setzt aber auch Leitplanken für nicht enden wollenden Flächenhunger. Noch ist über die Hälfte des 8.700 Hektar großen Reutlinger Stadtgebiets Wald- und Landwirtschaftsfläche. Im Entwicklungskonzept, das der Gemeinderat am Donnerstag mehrheitlich abgesegnet hat, stehen nun insgesamt 124 Hektar Entwicklungsflächen allein im Außenbereich – gerade mal 12 Hektar weniger als im rechtsgültigen 30 Jahre alten Flächennutzungsplan.

Seit sieben Jahren beschäftigt man sich im Rathaus mit dem Konzept – das die Reutlinger Wünsche für den Flächennutzungsplan mit den Nachbarn aufzeigt. Die anderen Mitglieder des Nachbarschaftsverbands (siehe Infobox) sind mit ihren Konzepten längst fertig. Reutlingen braucht länger, auch wegen der aufwendigen Verhandlungen mit den zwölf Teilorten. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Debatte – nur dort gibt es überhaupt noch nennenswert Flächen.

Erst mal eine rote Karte

Zunächst hatte man sich – in der Ära Bosch – noch einen kräftigen Schluck aus der Pulle genehmigen wollen. Im Vorentwurf des Reutlinger Entwicklungskonzepts von 2017 standen noch 108 Hektar Potenzialfläche für den Wohnbau und 78 Hektar fürs Gewerbe, meist im Außenbereich. Das gab eine rote Karte vom Tübinger Regierungspräsidium, weil die Wohnfläche die Zielvorgabe des Landes für den Reutlinger Wohnbau (maximal 88 Hektar innen und außen) überschritt. Flächen wurden herausgenommen oder verkleinert. Den überarbeiteten Entwurf präsentierte die Stadt im Herbst. Mit rund 87 Hektar Wohnbauflächen (67 Hektar im Außenbereich) wird die Landesvorgabe eingehalten. Als gewerbliche Bauflächen sind nun 43 Hektar im Außenbereich vorgesehen (16 Hektar mehr als im rechtsgültigen Flächennutzungsplan). Hinzu kommen rund 15 Hektar im Innenbereich für RT-Unlimited und 14 Hektar Sonderbaufläche auf Sondelfinger Gemarkung, die man gegebenenfalls dem Landkreis für die Verlagerung des Kreiskrankenhauses anbieten könnte.

PLAN MIT NACHBARN

Der Nachbarschaftsverband Reutlingen-Tübingen ist ein Zusammenschluss von acht Mitgliedsgemeinden (neben den genannten Pfullingen, Eningen, Kirchentellinsfurt, Wannweil, Kusterdingen und Dettenhausen) mit rund 300 Quadratkilometern. Im gemeinsamen Flächennutzungsplan wird die Entwicklung von Siedlungs- und Freiflächen koordiniert. Das Reutlinger Entwicklungskonzept wird nun dem Verband zur weiteren Prüfung vorgelegt. Ein externes Büro wird den Entwurf eines Flächennutzungsplanes ausarbeiten, der weitere Verfahrensstufen zu durchlaufen hat, bis er (frühestens) 2026 vom Regierungspräsidium Tübingen genehmigt werden kann. (GEA)

»Das war kein Spaziergang«, resümierte Oberbürgermeister Thomas Keck das komplexe Verfahren, das nun weitergeht. Ein »Meilenstein« sei aber erreicht, das Ergebnis könne sich sehen lassen.

Der Rat erteilte das Plazet, nachdem die Verwaltung verschiedenste Anregungen aus den Fraktionen aufgegriffen hat. Zentrales Thema ist die Fläche Bol (16 Hektar), die die Stadt als Gewerbefläche reservieren will. Sie soll nun im weiteren Verfahren erneut geprüft werden. Erst danach wird der Gemeinderat entscheiden, ob sie ins Konzept aufgenommen wird. Zudem soll das Gebiet erst entwickelt werden, wenn im Innenbereich definitiv keine Alternative zu finden ist. Erich Fritz (FWV) warnte vor schwierigen Geländeverhältnissen dort und riet, »die Finger von dem Nordhang zu lassen«. Er wollte auch konkret wissen, wie die Stadt mit der Pferdepension Eulengarten umgehen will, die ihre Existenz dort gefährdet sieht. OB Keck wiegelte den engagierten Vortrag ab: Eben solche Dinge will man prüfen lassen. In Sachen Pferdepension sei man im Gespräch und suche eine Lösung für ihre weitere Existenz.

Eine weitere Änderung zum Vorentwurf ist, dass die Fläche Dietweg auf 6,9 Hektar verkleinert wird – 2,8 Hektar Streuobstwiese fallen raus. Ein weiterer Antrag der Grünen, die Kleingärten dort zu erhalten, fand keine Mehrheit.

Die Grünen stimmten dem Gesamtkonzept letztlich zu – mit Ausnahme von Fabio Cani und Holger Bergmann, die ambitioniertes Flächenschonen fordern und zwar zeitnah. Auch die Linke Liste stimmte dagegen. Sie hat ein Moratorium für den Flächenverbrauch im Außenbereich beantragt. Andreas Linsmeier scherte aus der SPD-Fraktion aus. Auch er wünscht sich beherzteres Vorgehen in Sachen Flächenschonung. Auch Hansjörg Schrade mochte den städtischen Vorschlag nicht mittragen. Der AfD-Vorsitzende mahnte an, auf Brachflächen wie RT-Unlimited oder dem Güterbahnhof zu Stuhle zu kommen, ehe man 44 Hektar neue Flächen im Außenbereich reserviere.

Auch die Zustimmenden hatten eine Reihe von Anmerkungen. Gabriele Janz (Grüne und Unabhängige) forderte »auch an versiegelte Flächen ranzugehen«. Die Grünen-Chefin möchte den Geschossbau privilegieren vor dem Bau von Einfamilienhäusern. Die CDU-Vorsitzende Gabriele Gaiser monierte, dass man in Sachen Gewerbeflächen unter Druck sei, weil lange nichts getan worden sei. Auch die CDU möchte Brachflächen verstärkt ins Visier nehmen, um Gewerbe und Industrie anzusiedeln. Der Umwidmung für Einzelhandel werde man nicht zustimmen.

»Nur Innenentwicklung reicht nicht«, fürchtet Georg Leitenberger (FWV) und warnte vor »Stillstand und Rückschritt«. Finanzbürgermeister Roland Wintzen merkte an, dass man für »angemessenes Wachstum« 90 bis 130 Hektar Gewerbefläche mehr benötige.

Angesichts endlicher Flächen wird es immer schwieriger, alle Belange unter einen Hut zu bringen. Die Kommune will wachsen, möchte/muss mehr Bürger unterbringen, möchte mehr Gewerbesteuer einnehmen. Zugleich gilt es mehr denn je, Landschaft und Natur zu erhalten. Hinzu kommt verstärkt die Anforderung, Räume für Energiegewinnung mittels Wind und Sonne verfügbar zu machen, auch die regionale Produktion von Nahrungsmitteln rückt in den Fokus. Der Leiter des Amts für Stadtentwicklung und Vermessung, Stefan Dvorak, wies einmal mehr darauf hin, dass man in der BRD gerade noch genug landwirtschaftliche Flächen habe, um die Bevölkerung im Ernstfall zu ernähren.

Deutlich die Signale der baden-württembergischen Landesregierung: Bis 2035 soll die Nettonull beim Flächenverbrauch erreicht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die Politik den Kommunen dringend Instrumentarien wie Vorkaufsrecht oder  weitere Spielräume bei der Innenverdichtung in die Hand geben, machte Thomas Keck deutlich.

Baubürgermeisterin Angela Weiskopf hob darauf ab, dass die Funktion des Flächennutzungsplans auch darin bestehe, »wertvollen Außenbereich« zu schützen. Ein Bestandteil sei der Landschaftsplan, der beispielsweise die Basis für die Biotopvernetzung bildet. Stefan Dvorak erklärte noch einmal, dass lediglich Potenzialflächen ausweise, die nicht zwingend bebaut werden. »Da kommt morgen keine Bagger um die Ecke.« (GEA)