REUTLINGEN. Viele Pläne. Ein Ziel. Die Stadtverwaltung will Reutlingens Herz und Seele, die Altstadt, lebenswerter, schöner und attraktiver machen für alle die darin wohnen, arbeiten, essen oder shoppen, Kunst und Kultur schaffen wollen und, und, und…
Das Mobilitätskonzept Altstadt ist ein wichtiger Baustein dafür. Es soll laut Baubürgermeisterin Angela Weiskopf bei der Neuordnung des öffentlichen Raums helfen. »Wo müssen wir handeln? Wo und wie soll Verkehr abgewickelt werden, wo Raum für Aufenthalt und Grünflächen geschaffen werden?« Bis im Herbst des kommenden Jahres will die Verwaltung den Masterplan dafür vorlegen und dabei auch eine Reihe von Anträgen aus den Reihen des Gemeinderats abarbeiten.
Im Bauausschuss stellte die Verwaltung am Donnerstagabend ein Gutachten vor, das die Ausgangsbasis für die folgende breit angelegte Diskussion schaffen wird: Das Büro Stete-Planung hat darin interessante Fakten zusammengetragen. Gisela Stete (die krankheitsbedingt das Präsentieren ihrer Erkenntnisse Stadtplaner Stefan Dvorak überlassen musste) habe sich das Mobilitätsgeschehen in der Altstadt »intensiv« angeschaut, betonte Weiskopf. Der Fokus lag am Dienstag zunächst auf fünf ihrer zehn Themenfelder:
Ruhender Verkehr
Vorne weg: Nur die Hälfte der knapp 2.000 Altstadthaushalte hat ein Auto. 451 legale Parkstände – Laternenparkplätze – wurden gezählt, davon allein 144 auf der Freifläche bei der Stadthalle an der Konrad-Adenauer-Straße. Die meisten sind Bewohnerparkplätze, ein Teil davon ist nur für Anwohner bestimmt, ein anderer durchgehend oder nur zu bestimmten Zeiten bewirtschaftet.
70 Prozent Auslastung und mehr im gesamten Gebiet bedeuten mittleren bis hohen Parkdruck, vor allem zwischen 17 und 21 Uhr. Derweil morgens um 5 Uhr, wo vermutlich nur die Anwohner parken, die Auslastung bei nur 40 Prozent liegt. Vor allem im östlichen Teil der Altstadt herrscht Parkdruck.
In 16 Parkhäusern rund um die Altstadt stehen derweil 4.000 Stellplätze zur Verfügung. Spitzenzeiten mag es hier geben, in denen es zumindest in manchen Häusern eng wird. Insgesamt gemittelt aber ist die Auslastung laut Gutachterin »nur gering und mittelhoch«. Im Schnitt ist bei allen Anlagen mindestens ein Drittel der Kapazität ungenutzt. Eine extrem stadtnahe Parklocation wie die Volksbank-Garage liegt sogar im Schnitt bei schlappen 12 Prozent Auslastung – derweil sich die Laternenparker im östlichen Bereich der Altstadt in Ermangelung eines legalen Platzes auf die Bürgersteige stellen.
Lieferverkehr
Ein Thema, das bislang wenig im Fokus steht, ist der Lieferverkehr. Die Gutachterin hat festgestellt, dass die Zufahrtsregelungen in der Stadt sehr unterschiedlich sind – eine Herausforderung insbesondere für Ortsfremde. Die Folge: unnötiger Ziel-Suchverkehr.
ÖPNV
Dickes Lob fürs Stadtbusnetz. Dort sieht die Expertin kein Verbesserungspotenzial. Auch die Teilorte sind aus ihrer Sicht gut angebunden, was Takt und Fahrzeiten betrifft. Aus keinem Teilort dauere die Reise länger als 20 Minuten.
Radverkehr
Weniger positiv fällt die Analyse des Radverkehrs aus. Als Herausforderung nennt Stete unter anderem die Querung der Fußgängerzone, die tagsüber nicht für den Radverkehr freigegeben ist. Als »konflikthaft« bezeichnet sie auch den Lieferverkehr, mit dem sich die Radler in der Metzgerstraße auseinandersetzen müssen, die sie neben der Kanzleistraße tagsüber als »wichtigste Achse« ausgemacht hat.
.Fußverkehr
Als Kernthema beim Angebot für die Fußgänger – neben den oft zugeparkten Gehwegen – hat Stete die vielen viel zu schmalen Bürgersteige in den Altstadtgassen ausgemacht. Sie zwingen Rollstuhlfahrer oder Kinderwagenschiebende auf die Straße.
»Die Erreichbarkeit « der Altstadt für Anwohner, Gewerbetreibende, Kunden von Handel und Gastronomie ist ein zentrale Prämisse für die Verwaltung, die auch das Auto umfasst. So war in der Sitzung das Thema autofreie Altstadt kein Thema. Im Vorfeld hatte sich die Baubürgermeisterin im GEA-Gespräch diesbezüglich ebenfalls zurückhaltend geäußert. Am Dienstag stand ohnehin die Analyse im Fokus, weniger mögliche Maßnahmen. Zunächst soll nun eine Begleitgruppe gebildet werden, die Interessenvertreter aus einem breiten Spektrum vereint von (Jugend-)Gemeinderäten über Einzelhandel, Gastro und Industrie- und Handelskammer bis hin zu den Anwohnern.
Die Verwaltungsvision für die Altstadt ließ man jedoch anklingen: Langsamer Mischverkehr, in dem alle aufeinander Rücksicht nehmen. Von Shared Spaces, Spielstraßen und Schritttempo war die Rede. Bei Baumaßnahmen will man künftig darauf achten, dass die Straße als Mischverkehrsfläche mit abgesenkten Bordsteinen hergerichtet wird.
Explizit reduziert werden soll der Parksuchverkehr in den Altstadtgassen. Dafür soll die Zahl der Laternenparkplätze verkleinert werden. Damit dies nicht zulasten der Altstadtbewohner geht, sei denkbar, Anwohnern Parkplätze in den Parkhäusern anzubieten, sagte Stefan Dvorak. Eben dort hat man ja laut Analystin gefunden, was in der City rares Gut ist: Raum. Ein Drittel der Kapazität ungenutzt: »Das ist ein tolles Ergebnis. Da ist richtig Platz«, kommentiert Stefan Dvorak diese Zahl.
Für die Parkgaragen will man auch untersuchen, woher die teils schlechte Auslastung rührt und was zu verbessern ist.
Weil faktenbasiertes Diskutieren mehr Spaße macht, freuten sich auch die Gemeinderäte sehr über die Analyse. Dass für die Auswertung des ruhenden Verkehr nur ein einziger Donnerstag im Juni herangezogen wurde, ist WiR-Rat Jürgen Straub zu dünn. Udo Weinmann (CDU) regte einen weiteren Erhebungstag im Winter an. Das Thema autofreie Altstadt (und den interfraktionellen Antrag dazu) will die Linke nicht von der Agenda genommen haben. Linken-Rat Timo Widmaier war es auch, der in der Sitzung als Einziger das Heikle aussprach, was ein zentrales Diskussionsthema sein wird: Es werde natürlich auch darum bisher gut bedienten Autofahrern »etwas wegzunehmen«. (GEA)