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Stadt: »Der Reutlinger Weihnachtsmarkt ist sicher«

Nach der Attacke mit mehreren Toten und vielen Verletzten in Magdeburg lassen sich die Besucher und Beschicker des Reutlinger Weihnachtsmarktes nicht vom gemütlichen Treiben abhalten. Die Stadt, die Betreiber und die Polizei halten das bisherige Sicherheitskonzept für gut, weswegen keine weiteren Maßnahmen geplant sind. Trotzdem werden für kommendes Jahr weitere mobile Sperren angeschafft.

Eine mobile Sperre an der Stadthalle soll den Weihnachtsmarkt im Reutlinger Bürgerpark schützen.
Eine mobile Sperre an der Stadthalle soll den Weihnachtsmarkt im Reutlinger Bürgerpark schützen. Foto: Frank Pieth
Eine mobile Sperre an der Stadthalle soll den Weihnachtsmarkt im Reutlinger Bürgerpark schützen.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Am Tag nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg wirkt das Treiben auf dem Reutlinger Pendant wie gewohnt: Die Menschen schlendern gemütlich und genüsslich an den Ständen und Buden in der Wilhelmstraße und am Bürgerpark vorbei. In der Altstadt herrscht ab dem Nachmittag sogar reges Treiben. Nur vereinzelt hört man, wie Passanten aber die Katastrophe vom Vorabend reden. Den Spaß an Glühwein, Waffeln und Shoppen lassen aber auch sie sich aber nicht vermiesen.

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Nach dem Anschlag mit mehreren Toten und vielen Verletzten auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg herrscht Fassungslosigkeit. Die Stadt, die Betreiber und die Polizei halten das bisherige Sicherheitskonzept für gut, weswegen dieses Jahr keine weiteren Maßnahmen geplant sind.

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»Ich habe den Eindruck, dass die Leute etwas bedrückt sind, aber keine Angst haben«, sagt Vildana Vohrer von der Markt-Werk-Stadt, die die beiden Reutlinger Weihnachtsmärkte betreibt. »Für uns als Organisatoren ist es das wichtigste, dass sich die Leute sicher fühlen. Und das tun sie.« Überlegungen, die Veranstaltung vorzeitig abzubrechen, gebe es keine. »Das Sicherheitskonzept ist gut«, ist Vohrer überzeugt. »Im Nachhinein bin ich jetzt sehr froh, dass sich die Stadt darum so vehement gekümmert da.«

Schon Wochen vor der Tragödie von Magdeburg mit mehreren Toten und vielen zum Teil Schwerverletzten hat die Reutlinger Stadtverwaltung Sicherheitsvorkehrung getroffen, um solch ein Schreckenszenario zu vermeiden. Mehrere mobile Sperren eines Schweizer Herstellers wurden angeschafft, erklärt Albert Keppler, Leiter des Ordnungsamtes. Diese »Anti-Terror-Sperren« sollen die Weihnachtsmärkte am Bürgerpark, in der Metzgerstraße und in der Aulberstraße vor Fahrzeugen schützen.

»Die Teile haben trotz ihrer filigranen Bauweise eine massive Sperrwirkung«, weiß Keppler. In Tests wurde gezeigt, dass die Sperren einen zehn Tonnen schweren und 50 km/h schnell fahrenden Lkw ohne Probleme stoppen. In Magdeburg wird gemunkelt, dass der Täter eine Sperre beiseite geschoben hätte. »Das ist bei unserer Sperren definitiv nicht möglich«, sagt Keppler. Diese sollen auch am Heiligen Morgen in Reutlingen zum Einsatz kommen: an der Marienkirche, der Kanzleistraße und der Rathausstraße. In der Rebentalstraße soll ein Fahrzeug der Technischen Betriebsdienste (TBR) als Blockade dienen.

Die mobile Sperre an der Stadthalle bleibt bis zum Ende des Weihnachtsmarktes im Bürgerpark am 6. Januar stehen. Die erste Bude hinter den Absperrungen verkauft zuckersüße Spezialitäten. »Hier kann keiner reinkommen«, schätzt Gabor Dienes beim Aufhängen von Lebkuchenherzen, »hier ist es sicher«.

Weil solch eine Sperre aus Platzgründen nicht auf dem Albtorplatz zum Einsatz kommen kann, war dieser in diesem Jahr kein Teil der Weihnachtsmärkte. Die Stadt plant dort aber den Einbau fester Elemente zum Schutz der Gäste. »Es ist schon klar, dass wir weitere mobile Sperren anschaffen werden, auch wenn diese nicht ganz günstig sind«, sagt Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck. Dann könnten noch mehr Stellen geschützt werden. Der OB hat auf der Abschlussfeier des Gemeinderates von dem Anschlag erfahren. »Das hat die Stimmung natürlich getrübt.« Am nächsten Tag ist er mit Freunden auf dem Reutlinger Weihnachtsmarkt. Als er feststellt, dass am frühen Nachmittag im Bereich hinter der Marienkirche »sehr viel los« ist, veranlasst Keck, dass die mobile Sperren in der Metzgerstraße und Aulberstraße früher hochgefahren werden als sonst, »um die Leute nicht noch weiter zu verunsichern«. Normalerweise bleibt die Durchfahrt vor allem wegen Anwohnern und für den Lieferverkehr bis 16 Uhr möglich. Am Sonntag wird die Blockade schon um 11 Uhr errichtet, heißt es von der Stadtverwaltung.

»Ihr steht da, wo die Autos direkt reinfahren können. Echt scheiße«

Ganz oben an der Wilhelmstraße gibt es bislang keinerlei Einfahrtsperre. Der Weg von der Metzgerstraße in die Fußgängerzone ist frei. Haben die Händler hier an den letzten beiden offenen Tagen Sorgen?

In der ersten von allen Buden verkauft eine Metzgerei heiße Würstchen und andere Leckereien auf die Hand. Drinnen stehen zwei Damen, die von den Ereignissen in Magdeburg längst erfahren haben. Maria Dijanovic erzählt, wie ihr die Schwägerin eine Sprachnachricht aufs Handy geschickt hat: »Ihr steht da, wo die Autos direkt reinfahren können. Echt scheiße«. Die junge Frau macht sich so ihre Gedanken. »Eigentlich, also gerade jetzt, habe ich keine Angst. Aber wenn mich meine Kinder besuchen kommen, dann schon«, sagt Dijanovic. Da werde sie darauf achten, dass der Nachwuchs möglichst nicht direkt vor der Hütte steht, »man muss immer aufpassen. Eine Katastrophe, was da in Magdeburg passiert ist«.

Gegenüber möchte der Bürstenverkäufer eigentlich gar nichts sagen. Spontan meint er dann aber, »war wieder in Kranker«. Sehr nachdenklich wirkt in einem Stand für französische Wurstspezialitäten Anne Hubé. Klar, jeder Franzose erinnert sich mit Schrecken an die Attentate von Nizza oder Paris oder anderswo im Land. Gerade deswegen meint Hubé, »ich habe damit kein Problem. Das kann überall passieren. Wir dürfen nicht aus Angst unsere Gewohnheiten ändern. Wir sollten weiter unser Leben leben«. Klar könnte die Stadt die obere Wilhelmstraße absperren, »aber wenn die hier Blöcke aus Beton aufstellen, dann haben wir auch ein Problem beim Abbauen«.

In der Metzgerstraße können bis zum Nachmittag noch Autos durch einen Teil des Reutlinger Weihnachtsmarktes fahren.
In der Metzgerstraße können bis zum Nachmittag noch Autos durch einen Teil des Reutlinger Weihnachtsmarktes fahren. Foto: Stephan Zenke
In der Metzgerstraße können bis zum Nachmittag noch Autos durch einen Teil des Reutlinger Weihnachtsmarktes fahren.
Foto: Stephan Zenke

Glühwein und erlesene Holzschnitzarbeiten aus dem Erzgebirge gibt es bei Maria Dimoskakis nur wenige Meter weiter. Angst? Nein! »Es passieren jeden Tag so viele schlimme Sachen. Ich versuche mir nicht die Lebensfreude nehmen zu lassen«, meint die jugendliche Dame. Schließlich sei der Reutlinger Weihnachtsmarkt »so eine schöne Sache«, auch wenn er im Vergleich zu ihren Erinnerung als Kind etwas an Charme verloren habe. Die schrecklichen Bilder aus Magdeburg habe sie sich jedenfalls absichtlich nicht angeschaut.

Nebenan ist ein Mann, der gebrannte Mandeln und andere Süßwaren feilbietet, ganz kurz angebunden: »Ich habe keine Angst«. Diese Grundstimmung gilt auch für die Händler direkt an der Metzgerstraße hinter der Marienkirche. Obschon hier von allen Seiten aus freie Fahrt herrscht - wenn jemand die Verbotsschilder missachtet. Regelmäßig entsteht hier ein kleines Verkehrschaos mit Autos und Transportern, die eigentlich hier nichts zu suchen haben. Hilde Lutz, die für die Landsmannschaft der Banater Schwaben vor Ort ist, sagt klipp und klar: »Nein. Ich habe keine Angst. Wir stehen hinter der Kirche und hoffen auf den Schutz des Heiligen Geistes«. Dabei befalle sie »Erschrecken« angesichts der Nachrichten aus Magdeburg. Hier in Reutlingen »fühlen wir uns sehr sicher. Die Polizei ist sehr präsent«, ergänzt die alte Frau noch.

»Wir dürfen nicht aus Angst unsere Gewohnheiten ändern. Wir sollten weiter unser Leben leben«

Nach der Todesfahrt von Magdeburg sei man im Reutlinger Polizeipräsidium »noch sensibler als wir es davor schon waren«, sagt ein Sprecher. Die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen für die Weihnachtsmärkte werden nach derzeitigem Stand aber nicht verschärft. Die Polizei werde weiter eine hohe Präsenz vor Ort zeigen, etwa durch Fußstreifen oder Streifenwagen. »Im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten« werden bei Personen auch Kontrollen von Waffen- und Messerverboten durchgeführt. Ob zivile Polizisten auf den Reutlinger Märkten unterwegs sind, wollte der Polizei-Sprecher aus »einsatztaktischen Gründen« nicht verraten. Für Reutlingen wie auch für ganz Baden-Württemberg liegen laut Innenminister Thomas Strobl keine Erkenntnisse oder Hinweise vor, aus denen sich eine konkrete Gefährdung für Weihnachtsmärkte ableiten ließe.

Das Reutlinger Ordnungsamt plant derzeit ebenfalls keine Verschärfung des bestehenden Sicherheitskonzeptes. Auch wenn es eine hundertprozentige Sicherheit nie geben kann, sagt Amtschef Keppler: »So sicher waren die Reutlinger Weihnachtsmärkte wahrscheinlich noch nie.« Trotzdem werde man »nicht stillstehen«, das bestehende Sicherheitskonzept analysieren und weiterentwickeln. Damit in Reutlingen auch künftig gemütlich und genüsslich an den Ständen und Buden geschlendert werden kann. (GEA)