REUTLINGEN. Achteinhalb Jahre Haft forderte am Montag Staatsanwalt Nicolaus Wegele für einen 41-Jährigen aus Reutlingen. Wegele wirft dem Angeklagten Zwangsprostitution, Vergewaltigung und Betrug vor. Die Taten sollen zwischen 2020 und 2023 geschehen sein. Opfer sind die Frau des Angeklagten sowie die minderjährige Tochter seiner früheren Lebensgefährtin. Ein Urteil will die 2. Große Strafkammer des Tübinger Landgerichts am Donnerstag verkünden.
Wegele ging in seinem Plädoyer mit dem Angeklagten hart ins Gericht. Der Angeklagte, der eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufweist, habe in einem »Wolkenkuckucksheim gelebt«. Sein Selbstbildnis sei von Realitätsferne geprägt gewesen. »Alles war Fake«, erklärte Wegele, der Angeklagte sei ein Prahler »und nichts dahinter«. Sein Verhalten sei immer zu Lasten der beiden Frauen gegangen.
Angeklagter besorgte Minderjähriger Kokain
Durch seine manipulativen Fähigkeiten habe der Angeklagte seine Ehefrau dazu gebracht, sich zu prostituieren. Als die 38-Jährige aussteigen wollte, so Wegele weiter, habe der 41-Jährige eine Drohkulisse aufgebaut, die so massiv gewesen sei, dass die Frau »nicht mehr in der Lage war, sich dem zu entziehen« und deshalb weitergemacht habe.
Ähnlich bedrängte der Angeklagte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auch die minderjährige Tochter seiner Ex-Freundin. Auch sie manipulierte er so, dass sie über eine Internet-Plattform der Prostitution nachging. Als sie damit aufhören wollte, drohte er ihr, alles ihrer Mutter und ihrem Freund, die beide von nichts wussten, zu erzählen. Auf diese Weise habe er die junge Frau, der er zudem Kokain besorgt habe, auch dazu gebracht, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, »obwohl sie deutlich zu erkennen gegeben hat, dass sie das nicht wollte«, so Wegele weiter.
Einer der Freier wollte die damals 15-Jährige mit 35.000 Euro aus der Prostitution herauskaufen. Der Angeklagte steckte das Geld ein, ließ das Mädchen aber nicht gehen. Hier handle es sich um Betrug, erklärte Wegele.
Erhebliche psychische Folgen bei den Opfern
Auch die Einnahmen aus der Prostitution der beiden Frauen steckte der 41-Jährige zum größten Teil in die eigene Tasche. »Der Angeklagte hat nie reell gearbeitet«, meinte Wegele in seinem Plädoyer.
Die psychischen Folgen für die beiden Frauen seien ganz erheblich. Sie müssten nun ein Leben lang damit zubringen, das Erlebte zu verarbeiten. Dazu habe die 38-jährige Noch-Ehefrau wegen des Angeklagten einen Berg von Schulden angehäuft, den sie derzeit abtragen müsse. Eine Haftstrafe von achteinhalb Jahren für den 41-jährigen Reutlinger sei tat- und schuldangemessen.
Der Angeklagte habe die Tochter der Ex-Partnerin manipuliert, bedroht und herabgewürdigt, so Nebenklagevertreter Hans-Christoph Geprägs, der am Montag für den verhinderten Rechtsanwalt Achim Unden eine Erklärung verlas. Die junge Frau habe durch die Gewalt und die sexuellen Übergriffe eine schreckliche Zeit erlebt, nur weil der 41-Jährige seine Geldsucht habe befriedigen wollen.
Im Gerichtssaal
Gericht: Dr. Christoph Kalkschmid (Vorsitzender Richter), Dr. Simon Salzbrunn. Schöffen: Eser Turgut, Rainer Bauser. Staatsanwalt: Nicolaus Wegele. Verteidiger: Matthias Obermüller, Martin Mosat. Nebenklagevertreter: Achim Unden. Sachverständiger: Dr. Stephan Bork.
Verteidiger Matthias Obermüller versuchte für seinen Mandanten Pluspunkte zu sammeln, indem er auf die schwierige Kindheit des 41-Jährigen verwies, die sicher mit dazu beigetragen habe, dass der Angeklagte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung entwickelt habe. Der 41-Jährige habe bei den beiden Frauen keine direkte körperliche Gewalt angewandt und sie letztlich gehen lassen. »Er hatte mit allem abgeschlossen«, erklärte Obermüller. Er verzichtete auf die Forderung nach einem Strafmaß, hoffe aber auf die Milde des Gerichts.
Der Angeklagte hatte den ganzen Prozess über geschwiegen. Auch bei seinem Schlusswort blieb er still. Das Verfahren gegen seine Noch-Ehefrau wegen Förderung der Prostitution der 15-Jährigen wurde am Montag eingestellt. (GEA)