REUTLINGEN. Samstagmarkt in Reutlingen, trotz grimmiger Kälte ist es proppenvoll. Oberbürgermeister-Kandidat Dr. Christian Schneider verteilt mit seinem Helferteam Flyer, sein Info-Stand ziert ein Banner mit dem Konterfei des CDU-Mannes. Thomas Keck, der Konkurrent der SPD, ist auch da. Ohne Werbe-Equipment, denn das ist noch nicht fertig, dafür ganz privat und mit Einkaufskorb unterm Arm: Am Sonntag kocht er für die Familie. Ungestreift kommt er nicht durch die Menge. Man kennt ihn in Reutlingen und er kennt die Leute.
Ursula Handel läuft ihm über den Weg. »Hallo, Thomas, das finde ich gut, dass Du es machst«, sagt die langjährige frühere SPD-Ortschaftsrätin von Ohmenhausen, »ich drück’ fest die Daumen.« Zwei Marktstände weiter ein Ehepaar, das er kennt. Diesmal wenig Worte, dafür Daumen hoch. Thomas Keck macht sich auf die Suche nach Spitzkraut. Sein 15-jähriger Sohn mag es am liebsten fein geschnitten und scharf angebraten. »Ein Rezept von Lafer«, sagt der Herr Papa, der sonntags Chef in der Küche ist und dort von niemandem gestört werden will. »Ich koche leidenschaftlich gern«, sagt der 55-Jährige. Am liebsten italienisch, ganz schnörkellos.
Oder eben schwäbisch. Zum Spitzkohl wandert ein Meerrettich in den Korb, dazu noch von einem anderen Stand ein Glas Honig aus Melchingen. Mit den Händlern kommt er schnell ins Gespräch. Und outet sich als Kenner. Er weiß, dass das Spitzkraut beinahe ausgestorben wäre, weil es sich nur schwer maschinell verarbeiten lässt. »Was halten Sie von mehr Blumenwiesen auf öffentlichen Flächen in der Stadt?«, fragt er den Honighändler. Super wäre das für die Bienen, findet der.
Thomas Keck ist ein naturverbundener, bodenständiger Mensch, der nicht nur gerne kocht, sondern auch gerne wandert. Jetzt läuft er sich warm für den Wahlkampf. Die Flyer sind im Druck, »Keck kann’s«, heißt sein Slogan. Demnächst wird er mit den Vor-Ort-Besuchen loslegen. Die Dissonanzen im Vorfeld seiner Nominierung in der SPD hat er abgehakt. »Das ist bereinigt. Da gibt es keinen Scherbenhaufen.« Er habe Unterstützung von der Partei, der Fraktion und auch von überparteilicher Seite.
Thomas Keck stammt aus einer liberalen Familie, trat 1985 aber in die SPD ein. Eigentlich wegen Erhard Eppler. »Das war der Erste, der ausdrücklich gesagt hat: Wachstum ist nicht nur Steigerung des Bruttosozialprodukts, sondern auch der Lebensqualität unter Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Heute würde man es Nachhaltigkeit nennen.« Mit dem SPD-Ticket kam er 1994 in den Gemeinderat, 1999 in den Kreistag. In den Betzinger Ortschaftsrat wurde er zum ersten Mal 1989 gewählt, seit 2004 ist er dort Bezirksbürgermeister. »Das ist eine Aufgabe, die mir sehr viel Freude macht.«
Als kommunalpolitischer Newcomer profitierte Thomas Keck von seinem Namen, denn der war bekannt in der Stadt. Der Großvater war fast 40 Jahre lang »Amtsmann« von Betzingen, der Vater Leiter des Reutlinger Standesamtes. Er selbst studierte in Ulm und Tübingen, erst ein paar Semester Medizin, später Politikwissenschaft. Seit über 22 Jahren ist Keck Geschäftsführer des Mieterbundes Reutlingen-Tübingen, dazu kommen Ämter im Landes- und Bundesmieterverband, außerdem ist er Vizepräsident des Schwäbischen Albvereins.
Die Eckpunkte des Wahlprogramms von Keck stehen inzwischen. Ganz oben: die Mobilität. »Da sind wir sicher nicht vorne dran, aber es wurde ein gutes Fundament geschaffen.« Vorhandene Räume müssten adäquat genutzt werden. »Wir werden eine automobile Gesellschaft bleiben, aber Rad- und Fußverkehr, Bus und Bahn müssen so nebeneinander existieren, dass es stressfrei wird.« Dieselfahrverbote gelte es zu verhindern. Dem seien die verkehrslenkenden Maßnahmen geschuldet, die für viel Ärger in Reutlingen sorgen. »Da muss man die Bürger besser mitnehmen.« Manches sei aktionistisch angepackt worden und müsse eventuell nachgebessert werden.
Leib- und Magenthema von Keck ist die Wohnungspolitik. Es sei nicht nur wie überall zu wenig gebaut worden in Reutlingen, »auch wir haben zugeschaut, wie mehr Sozialbindungen ausgelaufen sind als neue geschaffen wurden«. Um die »katastrophalen Auswirkungen« in den Griff zu bekommen, brauche es wieder einen »nennenswerten öffentlichen Wohnungsbestand mit langfristiger Sozialbindung«. Dazu gehöre unabdingbar eine »aktive Grundstückspolitik«. Wohnungspolitik, sagt Keck, ist auch Sozialpolitik und Familienpolitik – und deshalb so immens wichtig.
»Es wäre anmaßend zu meinen, man könne den Kurs allein bestimmen«
Kultur, Aufenthaltsqualität in der Stadt, Schulen, Kinderbetreuung, der hohe Stellenwert der Stadtbezirke – Thomas Keck nennt detailliert die Punkte, wo es aus seiner Sicht gut läuft, wo es klemmt und wo er als Oberbürgermeister ansetzen würde. Aber nicht als »Leithammel«, wie er betont, sondern als Motivator und Moderator. »Es wäre anmaßend zu meinen, man könne den Kurs allein bestimmen.« Vorangehen könne es nur, wenn die Zusammenarbeit gut sei – in der Verwaltung, mit dem Gemeinderat, mit Bürgern und Interessensverbänden. »Man muss ja nicht das Pulver neu erfinden. Es gehört auch dazu, dass man sich selber nicht so wichtig nimmt«, sagt Keck zu seiner Sichtweise des »vielschichtigen OB-Amtes«.
Die Vorhaltungen, dass er mit einem großen Apparat wie der Stadtverwaltung nicht umgehen könne und als »Eigengewächs« schlechte Chancen bei der OB-Wahl habe, entbehren aus Sicht des SPD-Kandidaten jeglicher Grundlage. Thomas Keck sieht es nicht als Nachteil, sondern als großen Vorteil an, zu wissen, wie die Reutlinger ticken und wie die Verwaltung funktioniert. »Als Bezirksbürgermeister habe ich ja fast täglich damit zu tun. Und durch mein Mandat als Stadtrat kenne ich die Verwaltung in- und auswendig.« Er wisse, wo es Reibungsverluste, also auch Handlungsbedarf gebe. Nicht, dass es nicht gut laufe. »Aber es könnte besser sein.« Als Beispiel nennt er die Kommunikationsstränge zwischen den Dezernaten und den Abteilungen. Die Verwaltung, findet er, leiste hervorragende Arbeit. »Da schlummern Schätze. Man tut gut daran – und das gilt auch sonst – Betroffene einzubeziehen.« (GEA)
DER KANDIDAT
Thomas Keck, SPD
Geboren: 2. Februar 1963
Wohnort: Reutlingen-Betzingen
Familienstand: verheiratet, 2 Söhne
Konfession: evangelisch
Beruf: Leitender Angestellter
Bevorzugtes Verkehrsmittel: Wenn’s geht zu Fuß, ansonsten Auto
Aktuelle Lektüre: "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" von Andrea Wulf
Lieblingsmusik: Klassik, Jazz und Pop
Lieblingsfilm: »Das Fenster zum Hof« von Alfred Hitchcock
Lieblings-App: Wetter-App
Hobbys: Wandern, Kochen, Segeln
Vorbilder: Carlo Schmid, Bruno Kreisky, Herbert Wehner