REUTLINGEN. Ende Januar 2024 endet in der Karlstraße eine Ära. Galeria Kaufhof gibt seine Filiale auf (wir berichteten), ein großes und absolut stadtbildprägendes Gebäude wird somit für Nachnutzungen frei. Das eröffnet der Stadt viele Chancen, birgt aber auch Risiken. Denn Gebäude und ein Großteil des Grundstücks gehören nicht ihr.
Nun wird erstmals bekannt, was sich die Stadtverwaltung konkret als Nachnutzung vorstellen kann. Für Untergeschoss, Erdgeschoss und eventuell das erste Obergeschoss »sollen Einzelhandelsnutzungen gefunden werden, die die innerstädtischen Sortimente ergänzen und damit die Altstadt als Einkaufsstandort des Oberzentrums Reutlingen stärken«. Will man dort einen Supermarkt etablieren? Die jüngste Gemeinderats-Drucksache legt’s zumindest nahe. »Insbesondere im Bereich der Versorgung mit Lebensmitteln und Produkten für den täglichen Bedarf besteht in der gesamten Kern- und Altstadt Ausbaubedarf«, heißt es darin. Aber auch im Bereich Elektro-Fachartikel, Kleidung und Schuhe könne »das Innenstadtsortiment ergänzt werden«.
Kommt ein Club für die jungen Reutlinger?
In den oberen Geschossen könne man sich Büros vorstellen, aber auch Gastronomie oder ein Fitnessstudio. Zudem hat man im Rathaus klar den Wunsch vieler junger Reutlinger wahrgenommen: eine Wiederbelebung des Nachtlebens. Kommt ein Club? Eine Bar? Eine Eventlocation? Die Stadt will hiervon zumindest mal nichts ausschließen. Der Standort würde jedenfalls ideal liegen: Per Auto, Bus und auch Zug gut zu erreichen.
Die Stadt begleitet den Besitzer des Gebäudes bei der Suche nach Mietinteressenten. Und will durch einen weiteren Schachzug verhindern, dass Nachnutzungen kommen, die ihr nicht gefallen. In der jüngsten Gemeinderatssitzung wurde die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans beschlossen. Klingt erstmal sperrig – macht aber absolut Sinn, wie Stefan Dvorak, der Leiter des Amts für Stadtentwicklung und Vermessung, erklärt. Durch die Änderung des Plans und eine sogenannte Vorkaufsrechtsatzung wolle die Stadt verhindern, dass Nutzungen kommen, »die wir für falsch halten«. Welche das sind? Blieb offen.
Schwammige Eigentumsverhältnisse
Dank Vorkaufsrecht hätte die Stadt die »Möglichkeit, zum Verkehrswert in die Kaufverträge einzusteigen, wenn wir merken, hier entsteht eine Falschnutzung«, so Dvorak. Auch wenn das Geld hierfür aktuell eigentlich nicht zur Verfügung steht, wolle man sich diese Option auf jeden Fall offen halten. Außerdem müsse dringend Klarheit in die Eigentumsverhältnisse gebracht werden. Auch dafür will die Stadt die ihr möglichen Schritte in die Wege leiten. Teile des Grundstücks gehören der Stadt selbst, das Gebäude aber nicht. Auf Teilen des Gebäudes liegt zudem ein Erbbaurecht, das in wenigen Jahren ausläuft. Diese schwammigen Verhältnisse müssen laut Dvorak schnell geklärt werden.
Pläne, die alle Gemeinderatsmitglieder gut fanden. Einstimmig wurde zugestimmt, sich durch die erwähnten Schritte so viel Mitbestimmung wie möglich zu sichern. »Vorausschauend« (Treutlein, SPD) und »vernünftig« (Schrade, AfD) sei dieser Weg. FDP-Frau Regine Vohrer mahnte an, den Reutlingern nochmal ins Bewusstsein zu rufen, dass man den örtlichen Einzelhandel auch unterstützen müsse: »Wenn die halbe Stadt da eingekauft hätte, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.« Auch der Grüne Holger Bergmann mahnte: »Landauf, landab« würden Kaufhäuser schließen, »selbst Shopping-Malls wie die Müller-Galerie kämpfen«. Und währenddessen eröffne in der Metzgerstraße »Frisör Nummer 14«.
Mehr Probleme als Lösungen?
Dr. Jürgen Straub wollte nicht so vollumfänglich in den Jubel einsteigen: »Für alle Nutzungen, die kein Kaufhaus sind, bietet das Gebäude sicher mehr Probleme als Lösungen«, glaubt er.
Die Stadtverwaltung betont, dass man einen Abriss eigentlich vermeiden wolle. Man könne ihn aber nicht ausschließen. Was indes klar ist: Es ist kein Denkmalschutz vorhanden, auch für die bekannten »Horten-Kacheln« nicht. Diese könne man »als stadtbildprägendes Element neu interpretieren«, heißt es in einer Drucksache.
Für Stadtplaner Dvorak ist klar: Hier geht gestaltungstechnisch auf jeden Fall einiges. »Wenn man sich die Beispiele aus anderen Städten anschaut, macht das Mut!« Mitgebracht hat er in die Gemeinderatssitzung Fotos aus seiner Geburtsstadt Neuss. Dort wurde die ehemalige Kaufhof-Filiale stark zurückgebaut, vom ehemals so wuchtigen Quader ist nichts mehr zu erkennen. Einschnitte ins Gebäude, eine helle und freundliche Fassade und viel Freiraum vor dem Gebäude sorgen für einen absolut veränderten Eindruck. (GEA)