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So soll das Reutlinger Stadtbus-Konzept verbessert werden

Knapp vier Jahre ist das neue Stadtbus-Konzept nun alt. Um es zukunftsfähig und finanzierbar zu halten, wird es bald einige Änderungen geben. Welche das sind und wie die Verantwortlichen auf die vergangenen vier Jahre zurückblicken.

»Alles wird busser«: Seit nahezu vier Jahren gibt es das neue Stadtbus-Konzept in Reutlingen, die Gartenstraße ist die zentrale
Symbolbild eines Stadtbusses des Reutlinger Stadtverkehrs (RSV). Foto: Steffen Schanz
Symbolbild eines Stadtbusses des Reutlinger Stadtverkehrs (RSV).
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. Diese Frage war erwartbar bei diesem Werbe-Slogan: »Herr Dvorak, ist denn wirklich alles busser geworden?« Es ist nun knapp vier Jahre her, dass das neue Stadtbus-Konzept eingeführt wurde. »Ja, es ist vieles busser geworden. Aber nicht alles«, sagt Stefan Dvorak, der Leiter des Amts für Stadtentwicklung und Vermessung. »Weil in diesen vier Jahren etwas passiert ist, was keiner auf dem Radar hatte und was uns den Boden unter den Füßen weggerissen hat.« Nämlich die Corona-Pandemie.

Home-Office, Lockdown, Angst vor Ansteckung: Die Fahrgastzahlen brachen auch bei der Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) um bis zu 60 Prozent ein. Dabei hatte es so gut angefangen...

»Wir hatten 2019 rund eine Million mehr Fahrgäste als 2018«, sagt Dvorak. 2018 habe die RSV knapp 1.000 Jahresabos verkauft. 2019, nach Einführung des neuen Konzepts, als das Jahresabo nur noch 365 Euro kostete, wurden 4.500 Stück verkauft. Für Dvorak ein klarer Beleg für den Erfolg des neuen Konzepts. Und ein Zeichen dafür, dass in der »Auto-Stadt« Reutlingen durchaus Bus-Potential vorhanden ist.

Thomas Görtzen (rechts) und Stefan Dvorak beim GEA-Gespräch.
Thomas Görtzen (rechts) und Stefan Dvorak beim GEA-Gespräch. Foto: Steffen Schanz
Thomas Görtzen (rechts) und Stefan Dvorak beim GEA-Gespräch.
Foto: Steffen Schanz

Doch »Corona und Fehlkalkulationen« (OB Thomas Keck) brachten die RSV nur ein Jahr nach Startschuss finanziell in ziemliche Schieflage. So sehr, dass Einsparmaßnahmen beschlossen wurden: Nachtbusse und Quartiersbusse wurden gestrichen. Verträge mit Busfahrern, die man 2019 noch händeringend gesucht hatte, wurden nicht verlängert. Die Fahrplan-Kilometer wurden von 6,4 Millionen auf 5 Millionen reduziert.

Und dann lief auch noch die Förderung vom Bund aus, das Jahresabo wurde wieder deutlich teurer. Man habe sich erhofft, weitere Fördermittel zu bekommen, sagt Dvorak. Vergeblich. Die Stadt musste in die Bresche springen, ein Interims- und später ein neuer Geschäftsführer nahmen sich der RSV an. Nun haben sich die Fahrgastzahlen laut RSV-Chef Thomas Görtzen deutlich erholt: »Wir sind noch 10 bis 15 Prozent unter den Vor-Corona-Werten.« Was Anpassungen im Fahrplan erforderlich macht. Diese werden von Dezember an in Kraft treten. Der Gemeinderat stimmte dem am Donnerstagabend mehrheitlich zu, nur AfD-Mann Hansjörg Schrade enthielt sich.

1.) Verbesserte Pünktlichkeit

»Als ich nach Reutlingen gekommen bin, habe ich schnell festgestellt: Da geht mehr«, sagt Görtzen. »Man kann die vorhandenen Fahrplankilometer deutlich intelligenter nutzen.« Und so habe man Fahrzeit-Messungen durchgeführt. Mit dem ernüchternden Ergebnis, »dass viele Fahrpläne aktuell nicht mehr fahrbar sind. Selbst im normalen Verkehr.« Heißt übersetzt: Dass sie viel zu unpünktlich sind. Genaue (Un-)Pünktlichkeitsquoten für Reutlingen hat er nicht parat. Nur so viel: Ab einer Verspätung von »drei Minuten wird es schlichtweg unattraktiv für den Fahrgast.« Das soll sich mit dem angepassten Stadtbus-2.0-Konzept nun ändern. Nun liegen dem Fahrplan reale Fahrzeitmessungen und nicht mehr nur errechnete Fahrzeiten zu Grunde.

2.) Die Ringlinie 2/22 kommt wieder

Aus einer Streichung war schnell ein Politikum geworden: Die Linie 22, für die der Ohmenhäuser Ortschaftsrat 30 Jahre lang gekämpft hatte, war im Frühjahr 2021 im Zuge der RSV-Sparmaßnahmen gekappt worden. Nach heftigen Protesten gab es eine Teil-Reaktivierung: Die Linie 22 fuhr zwar weiter, allerdings nicht als Ringverkehr, werktags nur bis 19 Uhr und am Wochenende gar nicht. Der Ortschaftsrat akzeptierte zähneknirschend diese Lösung, beantragte aber mehrfach, die Linie 22 bei der nächsten Fahrplanumstellung wieder komplett und mit verlängertem Takt aufzunehmen.

Nun ist klar: Die Ringlinie kommt ab Dezember wieder. »Wir freuen uns extrem darüber«, kommentierte dies Ohmenhausens Bezirksbürgermeisterin Andrea Fähnlein in der jüngsten Ortschaftsratssitzung. Es habe viele Gespräche mit Stadtverwaltung und RSV gegeben, das Nachhaken und die Anträge des Gremiums hätten Früchte getragen. »Ohmenhausen hat es konsequent und hartnäckig gefordert«, bestätigt Stefan Dvorak. Der damals nicht erwartet hätte, »wie groß der Aufschrei nach der Streichung sein wird«.

Busse am ZOB: Bis September 2019 großer Busbahnhof, nun fahren und halten hier noch einzelne Busse.
Busse am ZOB: Bis September 2019 großer Busbahnhof, nun fahren und halten hier noch einzelne Busse. Foto: Steffen Schanz
Busse am ZOB: Bis September 2019 großer Busbahnhof, nun fahren und halten hier noch einzelne Busse.
Foto: Steffen Schanz

3.) Durchgängig 20-Minuten-Takt

Bislang gibt es Unterschiede zwischen Haupt- und Nebenverkehrszeiten. Mal fahren Busse im 20-, mal im 30-Minuten-Takt. Auch das soll von Dezember an Geschichte sein. Montags bis freitags wird es dann bis circa 19 Uhr auf allen Linien einen 20-Minuten-Takt geben. Außerdem entfallen von Dezember an auch die Ferienfahrpläne, es wird nur noch einen Fahrplan geben.

Auf manchen Strecken wird sogar ein 10-Minuten-Takt erreicht, sagt Dvorak. Nämlich auf solchen, die von zwei Linien angefahren werden. Als Beispiel nennt er die Verbindung nach Eningen. Die Linien 1 und 11 fahren aktuell in der Gartenstraße noch nahezu nacheinander. Heißt: Die Eninger bekommen alle 20 Minuten »ein Doppelangebot«. Dieser Fauxpas hat sich eingeschlichen, als die RSV das Linienangebot eindampfen musste. Auch er soll im Dezember korrigiert werden. Die Linie 9 nach Altenburg wird entfallen. Sie wird durch die Linie 11/12 ersetzt, die dann komplett nach Eningen durchfährt.

4.) Die Nachtbusse kommen wieder, die Quartiersbusse nicht

Was noch vor Dezember geschieht: Am 28. Juli, also in einer Woche, werden die Nachtbusse wieder in Betrieb genommen. Deren Streichung hatte für fast so viel Aufregung in der Stadt gesorgt wie das Linie-22-Politikum. Alle neun Nachtbuslinien werden wieder fahren, freitags, samstags und feiertags, zwei Mal pro Nacht. Wie frequentiert diese Busse tatsächlich sind, kann Stefan Dvorak nicht sagen. »Die Fahrten übernimmt ein Subunternehmer, deshalb liegen mir keine Fahrgastzahlen vor.«

Für die Quartiersbusse sieht's dagegen schlecht aus, die kommen vorerst nicht wieder. »Aber man muss sich das nochmal genau anschauen«, sagt Görtzen. Und bringt ein »bedarfsorientiertes System« ins Gespräch.

5.) Durchgängige Linien

Viele Bus-Kilometer werden in Reutlingen aktuell umsonst gefahren. Die Linien 4 und 9 beispielsweise haben den Leonhardsplatz als Endhaltestelle. Um wieder auf die Gartenstraße zu kommen, müssen sie eine Schleife fahren. Auf dieser Schleife sammeln sich pro Jahr »mehrere hunderttausend Kilometer«, die den Fahrgästen fast nichts bringen, führt Dvorak aus. Deshalb setzt das Stadtbus-2.0-Konzept ganz auf sogenannte Durchmesserlinien. Deren Endhaltepunkte liegen nicht mehr in der Stadtmitte.

Das neue Stadtbus-Konzept

Im September 2019 war es - nach nur sechsmonatiger Planungszeit - in Betrieb gegangen: Das neue Stadtbus-Konzept mit dem griffigen Werbe-Slogan »Alles wird busser«. Reutlingen hatte sich dieses Mega-Projekt nur leisten können, da die Stadt als eine von fünf Modellstädten bundesweit mit 14,5 Millionen Euro vom Bund gefördert worden war. Mehr als 100 zusätzliche Haltestellen wurden gebaut, zehn neue Linien eingeführt, 25 neue Busse gekauft. (kk)

Kosten wird das veränderte Busangebot laut Dvorak und Görtzen: nichts. Die eingesparten Fahrplan-Kilometer wurden schlichtweg auf andere Routen und Angebote »verschoben«. »Ich glaube, dass wir mit Stadtbus 2.0 ganz nah an das Vor-Corona-Netz rankommen«, sagt RSV-Chef Görtzen. Der einige Wünsche an Verwaltung und Landkreis hat. »Beispielsweise die Umweltspur in der Lederstraße: Wieso dürfen wir die eigentlich nicht dauerhaft befahren?« Außerdem wünscht sich der RSV-Chef mehr Ampelvorrangschaltungen. In Tübingen sind diese ziemlich oft zu finden, in Reutlingen nur vereinzelt. Diese Schaltungen ermöglichen den Bussen eine grünere Welle, als aktuell.

Er hat aber nicht nur Wünsche. Er hat auch gute Nachrichten. Die RSV, die Ende 2020 mit 14,2 Millionen im Defizit war, sei finanziell nun wieder im richtigen Fahrwasser. »Wir haben weiterhin ein defizitäres Ergebnis, aber ein geringes.« Vor Einführung des neuen Bus-Konzepts habe die Stadt die RSV einer Million Euro pro Jahr bezuschusst. Aktuell betrage der jährliche Zuschuss rund acht Millionen pro Jahr, so Dvorak. (GEA)