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So magisch ist's im Reutlinger Eichenhain

Eine Exkursion mit fachkundiger Führung in den alten Eichenhain im Wasenwald ist ein Erlebnis.

Marcus Pietruschinski und Heike Jacob sind begeistert von ihrer Aufgabe.
Marcus Pietruschinski und Heike Jacob sind begeistert von ihrer Aufgabe. Foto: Frank Pieth
Marcus Pietruschinski und Heike Jacob sind begeistert von ihrer Aufgabe.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Werden und Vergehen werden eins im alten Eichenhain im Damwildgehege im Markwasen. Mutmaßlich als Dank für den Westfälischen Frieden 1648 gepflanzt, sind die ältesten Bäume dort nun bald 380 Jahre alt. Manche stehen noch prächtig, andere strecken kahle Äste in den blauen Himmel. Doch selbst in der absterbenden Substanz von Stamm und Ästen, in Stammfußhöhlungen und Spechtlöchern gedeiht das pralle Leben: Allein bis zu 6.000 Arten von Insekten können in und an einem solch alten Baum leben. Selbst wenn ein Riese gefallen ist, beherbergt der Sterbende noch unzählige Bewohner, bietet Kühlung, Nahrung und Schutz – zelebriert Ökologie als konstruktives Miteinander von Leben und Tod.

Der magische Ort bewegt. Jeden und jede. Nur höchst selten steht am Ende eines Pressetermins eine Hölderlin-rezitierende Biologin vom städtischen Tiefbauamt unter einem Baumriesen. Dr. Heike Jacob ist sichtlich begeistert, dass der Baumhain in ihr Ressort fällt.

Die ältesten Baumriesen sind rund 380 Jahre alt.
Die ältesten Baumriesen sind rund 380 Jahre alt. Foto: Frank Pieth
Die ältesten Baumriesen sind rund 380 Jahre alt.
Foto: Frank Pieth

Das gilt auch für den externen Berater, Marcus Pietruschinski vom »Baumpflegeteam Bodensee«. Der 51-Jährige betreut sonst immerhin so bemerkenswerte Orte wie die Blumeninsel Mainau, kommt aber besonders gern zu den Uraltriesen beim Schützenhaus. »So etwas sieht man auch als Baumexperte nicht oft.«

Der lichte Hain konnte entstehen, weil die Bäume mit 15, 20 Metern Abstand voneinander gepflanzt wurden. Viele Exemplare verästeln sich bereits in Bodennähe stark. Das zeigt laut Pietruschinski, dass sie Platz hatten und haben für ihre Entwicklung. Lange wurden Schweine ins Gelände getrieben, die sich gern an den nahrhaften Eicheln gütlich tun. Heute sorgt das Damwild im Gehege dafür, dass kein weiterer Wald aufwächst.

»So etwas sieht man auch als Baumexperte nicht oft«

Eichen sind langlebig, haben eine hohe Holzdichte, Gerbsäure macht sie widerstandsfähig gegen Schadstoffe. Und: Sie können gut mit Wassermangel umgehen und damit dem Klimawandel besser als viele andere Bäume trotzen. Ihre lange Lebensdauer macht sie zur idealen Herberge für faunistische Vielfalt.

Schaffer fürs Klima: Alte Bäume

Sauerstoffproduktion, Luftfilterung, Kühle spenden: Tagtäglich arbeiten Bäume fürs Klima. »Das wird als selbstverständlich gesehen«, sagt Dr. Heike Jacob vom Reutlinger Tiefbauamt. Die Leistung gerade der alten Riesen werde missachtet, sei »schwer zu vermitteln«. Das liege auch daran, dass die Arbeit »monetär nicht zu beziffern« sei. Jakob zitiert eine Dresdner Studie, die sich 2023 mit dem Thema beschäftigt hat. Ein Ergebnis: Um die Ökoleistung eines 60 Jahre alten Baumes zu generieren, müssen 400 Jungbäume gepflanzt werden – und rund eine Million Euro investiert. (igl)

Schnellkäfer, Bockkäfer, Rosenkäfer, Prachtkäfer, Juchtenkäfer: Für eine Studie wurden allein 243 Holzkäferarten detektiert. Insekten, Vögel wie Kuckuck oder Baumfalke, Amphibien, Reptilien teilen sich das Biotop. Als Zoo taugt das umzäunte Areal abseits der Hirsch-Beobachtung allerdings nicht. Die faszinierende Fauna ist klein und/oder schreckhaft und/oder nachtaktiv und zeigt sich dem Betrachter nicht. Abseits von einem kecken Fröschlein, einer bunten Raupe, die umständlich durch die Wiese kraucht, und ein paar Hornissen, die aus einem Spechtloch herausschwirren, ist beim morgendlichen Pressetermin Ruhe. Selbst das Damwild hat sich verzogen.

Weitgehend unsichtbar: Doch auch im toten Holz gedeiht das Leben.
Weitgehend unsichtbar: Doch auch im toten Holz gedeiht das Leben. Foto: Frank Pieth
Weitgehend unsichtbar: Doch auch im toten Holz gedeiht das Leben.
Foto: Frank Pieth

Das umfriedete Areal darf normalerweise nicht mehr betreten werden. Eingriffe wären unerlässlich, um der Verkehrssicherungspflicht Genüge zu leisten. Lange war der Hain der Festplatz der Reutlinger: Ein Stadtplan aus dem Jahr 1955 benennt das Gelände noch so. 1971 wurde das Wildgehege eingerichtet. 1999 wurde der Eichenhain als »flächenhaftes Naturdenkmal« ausgewiesen – nebst seinen Linden. Die schon früh dazwischengepflanzte Baumart lieferte mit ihren Blüten nicht nur die Grundlage für Tee, sondern bis heute auch Nektar für die Insekten.

Für Marcus Pietruschinski sind die Uraltbäume auch »lebenden Zeitzeugen, die eine Verbindung zu vorangegangenen Generationen schaffen.« Und wenn alles gut geht, werden noch viele Generationen nach uns ergriffen vor den Riesen stehen dürfen: Eichen können bis zu tausend Jahre alt werden. (GEA)