REUTLINGEN. Über 100 Gäste kamen am Donnerstagabend zum 30-jährigen Bestehen des Vereins »Menschenkinder«, der sich ehrenamtlich um Kinder sucht- und psychischkranker Eltern kümmert und derzeit über 34 Mitglieder verfügt. Holger Hummel, Regionalvorstand der gastgebenden Volksbank, begrüßte unter den Gäste auch Thomas Poreski MdL. Für die musikalische Umrahmung sorgten mit einfühlsamen Liedern Johanna Pommranz und Band.
Der Verein, so Hummel, sei ein »unerlässlicher Baustein der Gesellschaft«, da er Tabuthemen an die Öffentlichkeit bringe. Joachim Haas, Leiter des städtischen Sozialamts, betonte, das Schicksal der Kinder werde laut Leistungsrecht bei der Eingliederungshilfe zu wenig berücksichtigt.»Der Verein hat uns angeregt, hier aktiver zu werden.« Hierfür gab es Beifall.
Wanderausstellung »Gesicht zeigen«
Kern der Veranstaltung war die Wanderausstellung »Gesicht zeigen« mit zehn Rollups, auf denen Erwachsene ihr Schicksal als Kind und ihre Wege zur Selbstfindung und -entfaltung durch Musik, Tanz, Fußballverein oder Religion beschreiben. »Ich dachte als Kind immer, ich selbst sei das Problem«, sagte Jan-Boris Rätz aus Reutlingen, der ebenfalls an der Ausstellung teilnimmt und dessen Eltern alkoholabhängig waren. Das Schlimmste sei das Schweigen.
Auch die beiden Vorsitzenden Sabrina Pommranz und ihre Stellvertreterin Arlette Zappi betonten, das Stigma müsse aufgebrochen worden. Man dürfe nicht wegschauen, wenn Kinder belastet seien. In Deutschland wüchsen drei Millionen Kinder mit einem suchtbelasteten Elternteil auf. 14.000 Kinder seien es im Landkreis Reutlingen und 3.000 im Stadtgebiet. Wenn Kinder in solchen Verhältnissen groß werden, sei das Risiko sechsfach so hoch, selbst an Sucht zu erkranken. »Deshalb machen wir präventive Arbeit«, so Pommranz. Fünf Gruppen wurden bislang in Reutlingen, Tübingen, Mössingen und Rottenburg gegründet, die Kindern einen geschützten Rahmen und Sicherheit bieten. Jeweils acht bis zwölf Grundschulkinder können dort anderthalb Stunden spielen, Struktur, Verlässlichkeit und Gemeinschaft erleben, aber auch von ihren Sorgen berichten. »Wir streben an, dass es diese Kindergruppen in jeder größeren Stadt gibt.« Ziel des Vereins seien auch Aufklärung und die Verbreitung präventiver Konzepte.
Mit Schuld und Scham verbunden
Da das Thema Sucht mit Schuld und Scham verbunden sei, brauche es manchmal etliche Gespräche mit den Eltern, bevor ein Kind in die Gruppe kommen darf. Die meisten Kinder erreiche man, wenn sie bereits an andere Hilfen wie die Schulsozialarbeit angebunden seien. Doch es sei wichtig, dass auch Nachbarn sich melden, wenn Kinder ihnen belastet erscheinen.
Was die Kinder an Ängsten, Einsamkeit, Unsicherheit und Schuldgefühlen erleben, schrieben sie selbst nieder. Ihre Texte wurden von »Kinderschauspielern« vorgetragen, um niemanden bloßzustellen. In der Galerie sind Bilder ausgestellt, die die Kinder gemalt haben und in denen sie ebenfalls ihre Gefühle darstellen. Die Bilder, die aus Herz und Seele kommen und unter die Haut gehen, stießen auf viel Interesse. Die Ausstellung ist in der Volksbank noch bis zum 11. Oktober 2024 zu sehen. (GEA)