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So bereitet sich die Reutlinger Feuerwehr auf künftige Waldbrände vor

Wer entscheidet, was bei Waldbränden als erstes gelöscht werden muss? Der Reutlinger Feuerwehrkommandant Stefan Hermann sprach im Fachforum Feuer und Wald in Rottenburg über die schwierigen Entscheidungen im Falle eines Brandes.

In Portugal brennen regelmäßig die Wälder. Bisher ist das in der Region noch nicht so weit, aber die Reutlinger Feuerwehr bereit
In Portugal brennen regelmäßig die Wälder. Bisher ist das in der Region noch nicht so weit, aber die Reutlinger Feuerwehr bereitet sich umfangreich darauf vor, für den Ernstfall gerüstet zu sein. Foto: Elena Fernandez/zuma press wire
In Portugal brennen regelmäßig die Wälder. Bisher ist das in der Region noch nicht so weit, aber die Reutlinger Feuerwehr bereitet sich umfangreich darauf vor, für den Ernstfall gerüstet zu sein.
Foto: Elena Fernandez/zuma press wire

REUTLINGEN/ROTTENBURG. Was ist wertvoller: der artenreiche alte Staatswald oder der Privatwald mit hiebreifem Altholz? Kann Löschwasser aus dem nahe gelegenen Biotop gepumpt, oder muss eine Schlauchleitung gelegt werden? Wer entscheidet, was bei Waldbränden als erstes gelöscht werden muss? Der Reutlinger Feuerwehrkommandant Stefan Hermann sprach im Fachforum Feuer und Wald in Rottenburg über die schwierigen Entscheidungen im Falle eines Brandes.

Für ein mögliches Szenario haben die Reutlinger Feuerwehrleute mit einer Drohne der Bosch-Werkfeuerwehr das Gelände am Albtrauf bei Gönningen erkundet. Der fiktive Fall: Der Wald brennt auf einer Fläche von fünf Fußballfeldern. Es ist 34 Grad Celsius heiß, trocken, die höchste Waldbrandstufe, mit einer Regenwahrscheinlichkeit von fünf Prozent in den nächsten Tagen. Das Feuer breitet sich schnell aus. Im Gebiet gibt es eine Stromleitung, ein Funksendemast, ein Teich am Waldrand, ein Wildgehege und in der Ferne ist das Wanderheim am Roßberg zu sehen. Aber wo muss als erstes das Feuer bekämpft werden? »Ich seh da nur viel trockenen Wald«, erklärt Hermann. Die Feuerwehr sei zwar Priorisierungen in bewohntem Gebiet gewohnt, aber in diesem Bereich habe man sich bisher keine Gedanken gemacht.

Es ist die klassische Triage, wie sie auch im medizinischen Katastrophenfall auftreten kann. Wen rette ich zuerst, wer muss aufgegeben werden, um nicht das Gesamtsystem zu gefährden? Auch in diesem Fall ist das eine schwierige Entscheidung. »Ich als Einsatzleiter der Feuerwehr weiß wenig vom Wald«, gibt Hermann zu. Deshalb haben sich die Reutlinger mit der Hochschule für Forstwirtschaft zusammengetan, um gemeinsam vom gegenseitigen Wissen zu profitieren.

»Der Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume«

Es können jede Menge unterschiedliche Interessen sein, die bei einem Waldbrand zu berücksichtigen sind. »Der Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume«, erklärt Bastian Kaiser, Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft, den Feuerwehrleuten. Er ist Erholungs- und Lebensraum, Rohstoffquelle, Sehnsuchtsort, Sport- und Freizeitstätte, aber auch für seine Eigentümer Anlagevermögen und Einkommenssicherung. »Waldbrände vernichten Vermögen, lassen Träume und Hoffnungen platzen und vermindern Einkommen«, sagt Kaiser. Das alles gilt es zu berücksichtigen und abzuwägen, wenn Feuerwehrleute zu einem Brand ausrücken.

Wer über den Wert des Waldes nachdenkt, der muss auch die Ökologie berücksichtigen, betont Matthias Rupp. Lässt man Wälder ungestört wachsen, haben sie einen Lebenszyklus von 600 Jahren, erklärt der Professor für Landschaftsökologie und Naturschutz. »In wenigen Phasen kann dort Feuer auftreten.« Vor allem lichte Wälder sind Lebensräume, in denen stark gefährdete Arten vorkommen. Verbrennen sie, sind sie womöglich unwiederbringlich verloren. Gleiches gelte auch für sehr alte Wälder, die nicht ersetzt werden können. Wenn es also zu einem Feuer kommt, gilt es auch zu klären, welche Lebensräume betroffen sind.

Das ist aber lange noch nicht alles. Letztendlich geht es auch um vergleichsweise banale Frage: Wer muss den Einsatz bezahlen? Ab wann muss ein Hubschrauber gerufen werden, der immerhin in seiner kleinsten Variante 40 Euro pro Minute Einsatz kostet? Bis er in Gönningen vor Ort wäre, dauere es locker zwei Stunden, erklärt Hermann.

»Die Kiefer hat die größte Widerstandskraft gegen Feuer, Dürre und Sturm«

Eindeutige Handlungsanweisungen gibt es auf dem Fachforum in Rottenburg nicht. Dazu ist die Materie zu komplex. Dafür aber jede Menge Wissen über Wälder, ihre Bedeutung für Menschen und Natur. Feuer war in diesem Zusammenhang nicht nur ein Feind des Waldes, erklärt Johann Georg Goldammer von der Arbeitsgruppe Feuerökologie in Freiburg. Es zerstört nicht nur Lebensräume, sondern kann auch Ökosysteme erhalten oder schaffen. Heidelandschaften in Norddeutschland wurden früher regelmäßig abgebrannt. Die Heide treibt anschließend kräftig wieder aus, der Baumbewuchs wird zurückgehalten. Mit dem »kontrollierten Brennen« experimentiert heute der Feuerökologe.

Ganze Waldlandschaften sind in Nordamerika durch Blitzeinschläge entstanden. Auch in Sibirien brennen Wälder alle 20 bis 30 Jahre. Kiefern überleben das Feuer in der Regel. »Die Kiefer hat die größte Widerstandskraft gegen Feuer, Dürre und Sturm«, sagt Goldammer. Eine Erfahrung aus der Geschichte sei auch: »Waldbestände, die immer wieder gebrannt haben, sind relativ resilient gegen Brände.« In diesen lichten Wäldern ist am Boden nur noch wenig Brennbares vorhanden. Ganz anders sieht es da in Wäldern mit viel Totholzbeständen aus. »Wir brauchen Totholz« betont Goldammer. Der Wissenschaftler empfiehlt allerdings, die Bestände räumlich zu ordnen. Ähnlich wie in Nordamerika könnten Waldbrand-Schutzkorridore geschaffen werden. Das sind lichte Wälder, in denen geschreddertes Brennmaterial als Mulch am Boden liegt. Das hilft nicht nur dem Wald, sondern auch der Feuerwehr. Von dort aus kann ein Brand leichter bekämpft werden. (GEA)