REUTLINGEN. Sind manche Orte in Reutlingen gerade bei Nacht gefährlicher als andere? Wenn es um Ängste geht, tauchen insbesondere der Bahnhof und sein Umfeld, Bürgerpark und ZOB, aber auch die Pomologie als Räume auf, in denen sich Bürger unwohl fühlen.
Spiegeln sich diese Ängste in den Zahlen des Kriminalitätslageberichts 2024 wieder? Die Zahlen des Statistikwerks für den gesamten Präsidiumsbereich (der GEA berichtete) gibt es nun auch speziell für die Stadt Reutlingen aufbereitet. Michael Schlüssler, der Leiter des Reutlinger Polizeireviers, stellte sie im zuständigen Ausschuss vor.
Ausnahme Drogenhandel
Die Polizei sieht danach »keine Kriminalitäts-Hotspots« in der Stadt. Ausnahme ist der Drogenhandel: Hauptumschlagplätze seien Bürgerpark, Pomologie und Volkspark. Am Listplatz würden insbesondere Ausweichmittel verkauft.
Ansonsten spricht Schlüssler von einer »großen Streuung« der übrigen Delikte. Es gebe »keine klassischen Brennpunkte«. Die Statistiker weisen nicht nur die Fallzahlen für die einzelnen Stadtteile gesondert aus, sondern auch für die Kernstadt und einzelne ihrer Quartiere.
Höchsten Kriminalitätszahlen im Stadtkern
Der Stadtkern habe die höchsten Kriminalitätszahlen. Normal: Hier verdichtet sich Stadtleben – rund um die Uhr. Für den Bereich Innenstadt/Fußgängerzone/Gerberviertel verzeichnet die Polizei 979 Straftaten, darunter 144 Körperverletzungen und 489 Diebstähle im Jahr 2024. Für den Zentralen Omnibusbahnhof ZOB/ Kalbfellplatz sind 108 Delikte aufgelistet, darunter 22 Körperverletzungen und 10 Diebstähle. Für Volkspark und Pomologie führt die Statistik 14 Delikte insgesamt auf, darunter 3 Körperletzungen und 2 Diebstähle.
Für den Bereich Listplatz/Bahnhof/Regionaler Omnibusbahnhof sind in diesem Jahr 408 Delikte insgesamt verzeichnet, darunter 85 Körperverletzungen, 107 Diebstähle. Auch hier müssen die hohen Zahlen laut Polizei ins Verhältnis zum extrem hohen und zudem wechselnden Publikumsverkehr gesehen werden. Insbesondere am Listplatz sei »viel los«, erläuterte Schlüssler: Der kleine Park dort ist Treffpunkt für Suchtabhängige und Obdachlose.
Weniger Fahrraddiebstähle
Insgesamt sei Reutlingen weiterhin wie in den Jahren zuvor »die sicherste Großstadt Baden-Württembergs«, betonte der Revierleiter. Indikator hierfür ist der Polizei die Anzahl der Straftaten (7.330) im Verhältnis zur Einwohnerzahl (118.528). 7.330 Straftaten bedeuten im Vergleich zu 2023 einen Rückgang um 3,8 Prozent. Gleichwohl zeigt die Linie im Zehnjahresvergleich – mit Ausreißern nach unten und oben – einen Trend nach oben. Und: Die Straftatenanzahl ist die dritthöchste im Zehnjahresvergleich.
Rückgänge gibt es in der Mehrheit der Deliktbereiche. Ausnahmen machen unter anderem die 82 Raubdelikte (2023: 72) und die einfache Körperverletzung mit 725 Fällen (2023: 689).
Eklatant ist der Anstieg der Vermögens- und Fälschungsdelikte. 1.706 verzeichnete Fälle bedeuten eine Zunahme von 64,5 Prozent. Der Großteil resultiere aus Spoofing: Betrüger geben sich als Amtspersonen aus, um Arglose um ihre Ersparnisse zu bringen. Ebenfalls sprunghaft angestiegen ist das Schwarzfahren in der Stadt von 130 auf 670 Fälle.
Messerangriffe rückläufig
Ein versuchter Mord, drei versuchte Totschläge, 14 Vergewaltigungen und 929 Körperverletzungen sind verzeichnet. In den 1.467 Rohheitsdelikten sind 46 Messerangriffe gesondert aufgeführt (2023: 58). Die Zahl sei »rückläufig und in Reutlingen konstant gering«, so Schlüssler. 21 davon geschahen in der Öffentlichkeit, 3 davon in Parks. Insgesamt seien die Tatorte aber »über die ganze Stadt verteilt«. Was gegen eine Verbotszone spreche, wie sie beispielsweise in Freiburg eingerichtet worden sei. Die Frage bleibe jedoch »brisant«.
1.948 Diebstähle sind verzeichnet und 29 Fälle von Straßenraub. 25 Autos wurden geklaut – und 194 Fahrräder, was eine erfreuliche Entwicklung ist: 2023 waren 367 Fälle verzeichnet.
Die Betäubungsmittelkriminalität (314 Delikte) ging statistisch um fast 40 Prozent zurück. Das hört sich gut an. Die Zahlen sind aber wegen des neuen Cannabis-Gesetzes nicht valide. Dieses sollte die Arbeit der Polizei erleichtern. Man sieht aber laut Schlüssler »keine Entlastung«. Und: »Die Legalisierung lässt den Jugendschutz außer Acht.« Drei Rauschgifttote sind im Stadtgebiet verzeichnet, allesamt Langzeitkonsumenten.
44 Prozent der Tatverdächtigen keine deutschen Staatsangehörigen
Über 26 Prozent der Tatverdächtigen sind zwischen 11 und 21 Jahre alt. Allein 144 Kinder sind verzeichnet: Diebstahl (58 Fälle) und Körperverletzung (46) sind ihre häufigsten Delikte. »Früchtchen« nützten ihre Strafunmündigkeit aus. Das Thema müsse diskutiert werden, findet Schlüssler. Gut 44 Prozent der Tatverdächtigen sind keine deutschen Staatsangehörigen. 514 Straftaten wurden laut Statistik von Flüchtlingen/Asylbewerbern begangen, darunter 88 Körperverletzungen und 30 Bedrohungen.
Gut 68 Prozent aller Straftaten wurden 2024 aufgeklärt. Soweit die Zahlen. Sie helfen nach Schlüsslers Dafürhalten bei der »Objektivierung« von Angstgefühlen.
Gleichwohl werden Befindlichkeiten der Bürger damit nicht abgetan. Mit dem Unsicherheitsgefühl soll sich der im April neu gegründete »Arbeitskreis sichere Innenstadt« beschäftigen: Darin sind neben der Polizei und verschiedenen Rathausämtern das Stadtmarketing Start, die Reutlinger Wohnungsgesellschaft GWG und die Stadtverkehrsgesellschaft RSV vertreten. (GEA)