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Senior in Reutlingen brutal geschlagen und gewürgt

Er schlug den Senior mit der Faust ins Gesicht, würgte ihn mehrfach, stieß ihn brutal zu Boden, verhöhnte ihn und filmte seine Tat auch noch: Was einem 36-jährigen rumänischen Pfleger vorgeworfen wird, ist brutal. Nun stand er vor dem Reutlinger Schöffengericht.

Das Amtsgericht Reutlingen.
Das Amtsgericht Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Das Amtsgericht Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Es kommt selten vor, dass einem Gericht ein so detailliertes Tatvideo zur Verfügung steht. Der Täter, der aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde, hatte es selbst aufgenommen und dann seiner Mutter nach Rumänien geschickt. Das Schöffengericht beim Amtsgericht Reutlingen unter Vorsitz von Richter Eberhard Hausch sowie die Beteiligten des Prozesses mussten sich am Freitag, dem zweiten Verhandlungstag, die gut zehn Minuten dauernde Sequenz ansehen. Und damit auch die Brutalität, mit der der 88-jährige Reutlinger Senior von seinem rumänischen Pfleger behandelt worden war. Fast unerträglich war die Situation auch für eine der Töchter des Seniors, die der Verhandlung bewohnte und die das Video zum ersten Mal sah. Schläge, Faustschläge ins Gesicht, Drohungen, Stöße zu Boden, mehrfaches Würgen des Opfers, all dies zeigte die Aufnahme. Und die flehentlichen Bitten des Seniors, doch endlich aufzuhören.

Der 36-jährige Pfleger war Mitte November 2024 über eine Leonberger Agentur, die bundesweit Pflegekräfte vermittelt, in den Haushalt des Reutlinger Ehepaars gelangt. Er sollte sich sowohl um den Senior als auch um dessen demenzkranke Ehefrau kümmern, und wohnte bei ihnen im Haus. Ungeklärt blieb für das Gericht bis zum Schluss, welche Qualifikationen der so genannte Pfleger denn überhaupt hatte. Eine Vertreterin der Vermittlungsagentur, die vor Gericht erschien, brachte es kurz auf den Punkt: »Bei dem Pflegenotstand nehmen wir jeden. Wir können nicht wählerisch sein.« Ob man sich überhaupt Papiere und Unterlagen zum späteren Angeklagten vorlegen ließ, dazu konnte oder wollte sich die Zeugin jedenfalls nicht äußern.

»Bei dem Pflegenotstand nehmen wir jeden. Wir können nicht wählerisch sein«

Gerade mal eine Woche wohnte der Pfleger bei dem Ehepaar, als erste Spannungen und Streit aufkamen. Jedenfalls alarmierte der Senior einen Tag vor der eigentlichen Tat die Polizei, weil er sich vom Pfleger bedroht fühlte. Diese informierte dann auch die Töchter. Die jedoch waren überzeugt, dass der Vater auch seinen Teil zu den Spannungen beigetragen habe und nahmen das Ganze nicht so ernst. Tags darauf kündigte der Pfleger dann seiner Mutter in Rumänien in einem Chat an, aus Rache für den Anruf bei der Polizei werde er den Senior fortan terrorisieren. Am Abend kam es dann zu der Gewalt.

Die Staatsanwaltschaft nennt in der Anklageschrift die Details der gefährlichen Körperverletzung, auch die Demütigung des Opfers und die Drohung des Täters: »In einer halben Stunde bist Du im Mülleimer.« Er packte sein Opfer, schlug dem Mann mit der Faust ins Gesicht, packte ihn am Hals, stieß ihn mit dem Kopf gegen ein Regal. Der Senior erlitt multiple Hämatome am ganzen Körper, vier Rippenbrüche, eine Kopfplatzwunde, eine Schnittwunde an der Hand. All diese Verletzungen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, seien geeignet gewesen, das Leben des Opfers zu gefährden. Nicht nur, dass der Täter alles filmte, sondern er fragte danach seine Mutter, wie er am besten das viele Blut entfernen könne. Außerdem kündigte er an, sollte die Polizei kommen, werde er sagen, der Senior sei auf der Treppe gestürzt.

»Dass er dann auch noch das Video verschickt, dazu braucht es schon eine gewisse Rohheit«

Am Freitag waren beim Amtsgericht nochmals Zeugen geladen. Vor allem die Polizisten, die zu dem Ehepaar gerufen worden waren, teilten ihre Eindrücke und Beobachtungen mit. Bereits nach der ersten Alarmierung am Tag hatten die Beamten, so ihre Beschreibung, ein ungutes Gefühl. Da jedoch die Töchter darauf bestanden, dass der Pfleger bleibt, hatten sie keine Handhabe. Tags darauf eskalierte die Situation.

Staatsanwältin Rinoa Stephan bezeichnete in ihrem Plädoyer die Tat als »besonders roh und demütigend«. Der Senior sei zudem kaum wehrfähig und sehr erschöpft gewesen. Sie forderte deshalb, genauso wie Nebenklagevertreterin Katrin Lingel, eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Verteidiger Matthias Obermüller bat das Gericht um Milde und um eine Bewährungsstrafe. Der Angeklagte habe sich entschuldigt und schäme sich für die Tat. Er sei mit der Betreuung des Seniors und seiner Frau überfordert gewesen. Eine Argumentation, der das Schöffengericht nicht folgte. Vielmehr verhängte es die von der Anklage geforderten zwei Jahre und sechs Monate Haft sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 Euro. Der Senior sei sicherlich schwierig gewesen, so Richter Eberhard Hausch. Dennoch sei die ganze Tat nicht im Affekt geschehen, sondern durchorchestriert gewesen. »Dass er dann auch noch das Video verschickt, dazu braucht es schon eine gewisse Rohheit.« Dies beweise eine erhebliche kriminelle Energie des Täters.

Der Senior und seine Frau leben seit der Tat in einem Pflegeheim. Die Wunden des 88-Jährigen seien, so berichtete das Gericht, inzwischen weitgehend verheilt. Zumindest die körperlichen. Die seelischen werden bleiben. (GEA)

Im Gerichtssaal

Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch; Schöffen: Dr. Utz Wagner, Frank Degner; Staatsanwältin: Rinoa Stephan; Nebenklagevertreterin: Katrin Lingel; Verteidiger: Matthias Obermüller.