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Aktuell Männer und Motoren

Sein erstes Auto war die Rennpappe

REUTLINGEN. Sie hatten nicht viel im Vergleich zu uns. Trabant und Wartburg, Simson und MZ, das war's im Wesentlichen. Die motorisierte Welt der ehemaligen DDR war überschaubar, Highlights im Straßenbild waren hie und da ein russischer Moskwitsch oder ein tschechischer Skoda. Man wartete zehn Jahre und mehr, bis die Partei eine »Rennpappe« zuteilte.

Foto: Hans-Jörg Conzelmann
Foto: Hans-Jörg Conzelmann
Umso größer war die Freude an einem »Westwagen«, als die Mauer fiel. Auch Maik Burkhardt (41) konnte sich dem nicht entziehen: Als er rüber kam, kaufte er sich einen Mercedes E 400, vielleicht der Inbegriff des kapitalistischen Westens schlechthin.

Maik ist in einer Kleinstadt bei Leipzig geboren und aufgewachsen, zwischen all den ockerfarbenen Duroplastbombern aus Zwickau. Nach der Grenzöffnung blieb er zunächst in der Heimat und wünschte sich nichts sehnlicher als einen VW Scirocco. Als er 18 war, bot ihm ein Bekannter das Gegenstück an: Einen Trabi 601, supergepflegt, kaum gefahren, einer der letzten Zweitakter vor der Wende. Maik griff zu, wenngleich auch halbherzig, doch für tausend Mark bekam er ein echtes Schnäppchen. Der Trabi-Hype heutiger Tage lag noch in weiter Ferne.
»Wenn ich damit zum ersten Mal durch Reutlingen fahre«
Maik und seine Freunde begannen zu basteln. Sie zerlegten den Plastikbomber komplett, legten das Fahrwerk tiefer, gaben ihm einen neuen Motor und einen neuen Anstrich: Aus papyrusweiß wurde giftgrün, die Frontschürze reicht jetzt bis zum Boden. Der Innenraum spricht die Sprache der Vollgasfraktion: kleines Lenkrad, Gewichtsreduktion bis zu den Lochpedalen und ein Kessel Buntes auf dem Armaturenbrett. Aber 600 Kubik bleiben 600 Kubik und 26 Pferdestärken sind auch nicht gerade ein Ausbund an Kraft und Elastizität. Dennoch: Maik liebte seinen Zweitakter, immerhin war er sein erstes Auto.

Zehn Jahre lang fuhr der gelernte Gas- und Wasserinstallateur auf Montage in den Westen. Die Fahrten mit dem Trabant zuhause beschränkten sich aufs Wochenende, bis er ihn schließlich ganz einmottete, als er mit seiner Frau endgültig in den Raum Reutlingen zog. Der Trabant blieb genauso im Osten wie zwei Mopeds aus der beliebten Simson-Vogelserie, nämlich eine »Schwalbe« vom Opa und eine »Star«, beide aus den 80er-Jahren und damals reif für die Schrottpresse, weil sie keiner haben wollte. Die »Schwalbe« hat Maik wie den Trabant giftgrün lackiert, »wegen der Harmonie«.

Heute ist die Vogelserie ein begehrtes Sammelobjekt der West- und Ostjugend. Wie der Trabant erleben die Simson-Mopeds einen regelrechten Boom, Liebhaber zahlen Mondpreise. Hätte Maik noch den »Spatz«, den »Habicht« und den »Sperber« in der Garage stehen, wäre der Royal Flush im DDR-Poker komplett.

Den Hype um die DDR-Flotte kennt Maik aus eigener Erfahrung. Nach der Wende bekam er die Teile für seinen Trabant geschenkt, heute müsste er tief in die Tasche greifen. Trabis wechselten für einen Kasten Bier den Besitzer und landeten am Schluss auf dem Müll. Das Militär entsorgte ganze Flotten von Trabants im Schredder. »Hätte ich bloß eine große Halle gehabt, ich hätte das alles gesammelt«, sagt Maik heute.

Auf einem Lastwagen holte er den Trabant und die zwei Simsons nach Reutlingen. Nächstes Jahr will er den Trabant fahrbereit haben - seit zehn Jahren steht der Motor und muss behutsam gangbar gemacht werden, obwohl er damals fachgerecht stillgelegt wurde. Auf den Tag der Wiederbelebung freut sich Maik wie ein Kind. »Wenn ich damit zum ersten Mal durch Reutlingen fahre, kennt mich hier jeder«. (GEA)



MÄNNER UND MOTOREN

Die Serie "Männer und Motoren" stellt die Besitzer von Oldtimern und ihre Fahrzeuge vor. Sie erscheint in loser Folge während der Sommermonate. Wenn Sie einen Oldtimer haben, egal ob Zwei- oder Vierrad, melden Sie sich bei uns. Alle bisher erschienenen Beiträge finden sich im Internet auf der GEA-Homepage. (GEA)

oldtimer@gea.de gea.de/maenner-und-motoren