REUTLINGEN. Aus den Startlöchern direkt zum Erfolg: Auch so etwas gibt es in Reutlingen - Projekte, die von Anbeginn gut oder sogar sehr gut laufen und deshalb mit Fug und Recht als Shootingstars bezeichnet werden dürfen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, seien im Folgenden sechs gelungene Initiativen vorgestellt, die die Achalmstadt bereichern und beweisen, dass Gedankenblitze zuweilen trefflich einschlagen können.
Echter Gewinn für Reutlingen: Der Flowpark bei der Stadthalle
Spritzbeton auf 500 Quadratmetern Fläche zum Preis 260.000 Euro: Die Skater-Anlage im Bürgerpark war nicht eben günstig, ist indes jeden Cent wert. Denn sie wird von der Bevölkerungsgruppe »13 plus« bestens angenommen. In enger Kooperation mit Teenagern von Jugendforum und Jugendgemeinderat konzipiert, erweist sie sich als echter Knaller. Auch deshalb, weil der sogenannte »Flowpark« dem ausdrücklichen Wunsch seiner Nutzer - von der Öffentlichkeit nicht völlig abgeschottet zu sein - entspricht.
»Harmonisch ins Gesamtgelände integriert«, so Architekt Christian Thomas, sei die modellierte Betonwanne und für ein breiteres Publikum ausgelegt. Konkret: Nicht nur Cracks auf Rollen können hier trainieren, sondern Boarder aller Leistungsklassen sowie BMX-Fahrer. Einziger Wermutstropfen: Windelträger und Bobbycar-Piloten auf der Piste. Die haben dort eigentlich nichts zu suchen, mischen sich aber trotzdem immer wieder unters skatende Volk …
Shootingstar Echazhafen: Ein kultureller Ankerplatz
Ein Mammut-Projekt wurde Ende Juni 2021 Wirklichkeit: Der Echazhafen ging an den Start. Lokalpolitiker, Projektpartner und 250 Mitglieder des Kulturzentrums franz.K wohnten der Taufe bei und freuten sich über den neu geschaffenen multifunktionalen Kulturort unter Schatten spendenden Bäumen.
Das Open-Air-Gelände wird geprägt von 25 ausrangierten Schiffscontainern, die als Spielstätte und Kulisse dienen. Live-Musik gab’s bei der Einweihungsfete und knallende Korken. Die Stimmung war heiter, konnte und sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es schwere Wasser waren, durch die die Macher des franz.K navigieren mussten, um letztlich doch noch glücklich im Echazhafen ankern zu können: Lärm- und Umweltschutzrichtlinien sowie eine wacklige Finanzierung des Vorhabens hatten den Planern die Realisierung ihres Traumes schwer gemacht.
Phasenweise drohte er sogar zu platzen. Doch dann konnte Vollzug gemeldet werden. Und die Achalmstadt verfügt seither über einen Ankerplatz für die Kultur, der beileibe nicht nur die Jugend anspricht. Der Reutlinger Echazhafen ist ein generationenübergreifender Publikumsmagnet, ein Erfolgsmodell, das aus dem Stand heraus auf reichlich Zuspruch stieß. Zu Buche geschlagen hat das Open-Air-Areal übrigens mit rund 350.000 Euro.
Auf Schmähung folgt Liebe: Knaller-Kampagne mit enormer Reichweite
Blankes Entsetzen hier, vergnügtes Schmunzeln da: Als Mitte Juni quasi über Nacht an zwanzig Standorten im Reutlinger Stadtgebiet selbstironische Schmäh-Plakate auftauchten, ging eine Ruck durch die Achalmstadt. »Leben, wo keiner Urlaub macht« oder »Reutlingen feiert sich für die engste Straße der Welt. Das sagt alles« waren Slogans, die die Gemüter erhitzten.
Auch nach Auflösung der rätselhaften Anti-Reutlingen-Kampagne und dem damit einhergehenden Outing von Kommunalverwaltung und Stadtmarketing zur Urheberschaft ebbten die Diskussionen längere Zeit nicht ab. Denn der Werbefeldzug polarisierte die Echazmetropole. Mehr noch: Er sorgte dafür, dass Reutlingen plötzlich auch jenseits seiner Stadtgrenzen Aufmerksamkeit erfuhr. Zumal sich die »Reutlingen kannst Du nicht mögen«-Aktion wie ein Flächenbrand durch die Sozialen Netzwerke fraß und bald auch Radio- und Fernsehsender auf den Plan rief.
Wow! Was für ein PR-Genie-Streich, der erst neckte, um sodann mit seiner »Lieblingen«-Fortsetzung zu punkten und zu begeistern. All dies übrigens für verblüffend wenig Geld. Schlug die reichweitenstarke Kampagne doch mit nur 25.000 Euro zu Buche. Ein Schnäppchen, wenn man so will.
Gelebter Traum: Der Reichenecker Dorfladen funktioniert
Kann das tatsächlich gut gehen? Kann - nachdem der kleine »Tante Weller«-Laden im Herzen Reichenecks mangels Rentabilität und aus energetischen Gründen seine Türen schließen musste - ein ihm nachfolgender Nahversorger überleben? Er kann, wie heute, acht Jahre nach Eröffnung des Reichenecker Dorfladens, definitiv feststeht.
Mit einem auf den Flecken passgenau ausgerichteten Sortiment und auf genossenschaftlicher Basis von Ehrenämtlern betrieben, hat sich die kleine Einkaufsquelle im Rathaus-Parterre längst etabliert. Und das, obschon ihr vor der Premiere von vielen jedwede Erfolgs-Chance abgesprochen wurde. Jedoch: Auch wenn das Lädle zuweilen mit Tiefschlägen fertig werden musste - am Ende jedes Jahres stand mindestens eine schwarze Null.
Kein Zweifel: Reichenecks Nahversorgerle ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass Gemeinschaftssinn und Beharrlichkeit Positives zeitigen können. Denn: Bis sich die Ladentür erstmals öffnete, mussten dicke Bretter gebohrt werden. Gestaltete sich die Genossenschaftsgründung doch zäh - weil der Dachverband Baden-Württemberg dem Projekt mangels finanzieller Perspektiven eine Absage erteilte. Was sein Hamburger Pendant indes anders sah. Hier bewertete man das Konzept als tragfähig und sollte mit dieser Einschätzung goldrichtig liegen.
Wiewohl der Laden nach wie vor kein Selbstläufer ist. Immer wieder springen ehrenamtliche Kräfte - umzugs- oder altersbedingt - ab und sorgen für Pegel-Schwankungen im Personalpool. Deshalb sind helfende Hände stets gefragt.
Erfolgsmodell »Lebenswert«: Ein Stück gelungener Quartiersarbeit
Den Anfang markierte ein Besuchsdienst. Ehrenamtliche der Kreuzkirchen-Gemeinde schwärmten aus, um Nachbarn mit Krankenbesuchen oder kleinen Handreichungen unterstützend aufzumuntern. Ergänzend zu den seelsorgerischen Diensten des dreiköpfigen Pfarrteams taten sie das - und rannten offene Türen ein. Ja, es war ein Stück Lebensqualität, dass da offeriert und auch dankend angenommen wurde.

Weshalb die Kreuzkirchen-Gemeinde dazu überging, sich sukzessive weiter für die Wohnviertel Ringelbach, Unterm Georgenberg und Kammweg zu öffnen und zusätzliche Mitstreiter ins Boot zu holen: Diakonieverband, Stadt Reutlingen, Vereine wie die TSG und die Sportfreunde 02, das Kinder- und Familienzentrum sowie die katholische Heilg-Geist-Gemeinde - Kooperationspartner wurden gesucht und gefunden. Und: Die Initiative erhielt den Namen »Lebenswerte Nachbarschaft«, wurde, weil ihr Portfolio wuchs, professionalisiert: Im Oktober 2019 schlug die Geburtsstunde der »Stiftung Lebenswert«.
Heute gilt »Lebenswert« als Vorzeige-Netzwerk und seine Quartiersarbeit als Musterbeispiel für ein gelingendes Miteinander. Denn niemand ist ausgeschlossen: Ob Jung, ob Alt, Ur-Reutlinger oder Migrant, Single oder Familie, »Lebenswert« hat für alle Geschmäcker und Bedürfnisse passende Angebote.
Betzinger Zehntscheuer: Ein Glanzlicht, das Nachahmer findet
Ein attraktives Gebäude mit reizvollem Drumherum: Längst ist die Zehntscheuer als Veranstaltungsort aus Betzingens Ortsmitte nicht mehr wegzudenken. Lange Jahre dem Verfall preisgegeben, ist es das Verdienst des rührigen Fördervereins Ortskern Betzingen, dass die marode Immobilie generalsaniert wurde und einen zweiten Frühling als Bürgerhaus erleben darf. Seiner neuen Bestimmung übergeben wurde das gründlich aufpolierte Schmuckstück anno 2008 im Beisein von Wirtschaftsminister Ernst Pfister, der lobend vom »Betzinger Modell« sprach und auf Nachahmer hoffte.
Nun, die gibt es - sogar in nächster Nachbarschaft. Ob Oferdingen mit seiner im Mai 2017 eingeweihten Kulturscheune oder Sickenhausen mit seiner (im Werden begriffenen) Kulturwache: Hier wie da sind es Fördervereine, die für den Erhalt historischer und ortsbildprägender Bausubstanz powern und alte Gemäuer einer neuen Nutzung zuführen - zum Besten der Bürgerschaft. (GEA)