REUTLINGEN. Es ist ein absolut stadtbildprägendes Gebäude: das 1966 fertiggestellte Rathaus am Marktplatz. Es ist nun also fast 60 Jahre alt - und deswegen in vielen Bereichen in die Jahre gekommen. Die Sanierung und ihr Ausmaß werden seit vielen Jahren diskutiert. In der jüngsten Gemeinderatssitzung wurden neue Details wie auch Kostensteigerungen bekannt. Ein Überblick.
Die Sanierung. Die Sanierung des Rathauses ist unumgänglich, darin sind sich alle Beteiligten einig. Mit Formaldehyd belastete Baustoffe müssen ausgebaut werden. Die ursprüngliche Planung sah vor, dass alle Schadstoffe beseitigt werden. Aufgrund der Kostensteigerungen ist das so nicht mehr zu halten, »statt Schadstofffreiheit gibt's jetzt nur noch die Schadstoffsanierung«, so Baubürgermeisterin Angela Weiskopf. »Im Estrich verbaute Schadstoffe, von denen keine Gefahr ausgeht, bleiben.« Der Brandschutz muss optimiert werden, die Fassade wird saniert, die rund 60 Jahre alten Fenster sind thermisch nicht mehr auf dem neusten Stand, die Technik ist in die Jahre gekommen und sorgt deshalb für zu hohe Kosten. Die tragenden Bauteile des Gebäudes funktionieren nach Aussage von Architekt und Planern weiterhin, es ist die Rede von einer »guten und nutzwertigen Architektur«.
Die neuen Büros. Teeküche, Familientisch, Kreativraum, Raum für Schwangere und Stillende, offenes Teambüro und Teambox: Wer sich den Plan von SFP Architekten anschaut, bekommt einen Einblick in das Einmaleins von modernen Arbeitswelten. Man will weg von den strikten Einzelzimmern, der »rigorosen Zellenstruktur«, wie es Architekt Simon Weber ausdrückt, hin zu einer offenen Bürostruktur.
Der Denkmalschutz. »Das Rathaus entstand rund zwanzig Jahre nach Kriegsende als Schlusspunkt des Wiederaufbaus von Reutlingen und als Symbol für die offene, demokratische Verwaltung.« Das steht in der Begründung für den Denkmalschutz des Gebäudes aus dem Jahr 2013. Einfach sanieren, was man eben sanieren will? Fehlanzeige! Enge Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt ist nötig. Man will, vor allem auch im Eingangsbereich, viel von der ursprünglichen Optik bewahren. Der Plan der Architekten war eigentlich, eine Heiz-Kühldecke aus Metall einzubauen. Da schritt dann aber das Landesdenkmalamt ein, nun wird ein Kompromiss mit einer Heiz-Kühldecke in Holzoptik angestrebt. Auch die komplette Erneuerung der Holzfenster muss noch mit dem Denkmalamt geklärt werden, ebenso der Plan, Räume nur noch durch Systemtrennwende abzutrennen. Insgesamt hat das Planungsbüro Drees & Sommer rund neun Millionen Euro als »Kostenrisiko« beim Denkmalschutz einkalkuliert.
Die Zwischenlösung. So lange am Marktplatz saniert wird, wird ein großer Teil der Stadtverwaltung im alten Kreissparkassengebäude in der Tübinger Straße untergebracht. Von September 2025 bis Juli 2026 soll dort umgebaut werden, berichtet Kathrin Berger, die Leiterin der städtischen Gebäudemanagements. Die Umzug vom Marktplatz in die Tübinger Straße könne dann »im dritten Quartal 2026 sukzessive losgehen«, damit wird der Weg für die Rathaussanierung freigemacht. Der Umbau der KSK-Zwischenlösung kostet nach aktuellem Stand 3,37 Millionen Euro.
Der Zeitplan. Im vierten Quartal 2026 sollen dann alle Vorplanungen abgeschlossen sein, der Gemeinderat kann den endgültigen Baubeschluss zur Sanierung fassen. 2027 soll die Sanierung beginnen, bis 2031 soll sie in den beiden Hauptgebäuden abgeschlossen sein. 2034 soll der ganze Rathauskomplex dann in neuem Licht erstrahlen, wenn es nach den Planungen von Drees & Sommer geht.
»Jedes weitere Jahr Verzögerung kostet uns aufgrund der Baukostensteigerungen nochmal rund vier Millionen Euro«
Die Kosten. Die Sanierung soll sich finanziell selbst tragen, betont Finanzbürgermeister Roland Wintzen. Durch die Abmietung von bisher genutzten Außenstellen könne man viel einsparen. Ändert nichts daran, dass die Kosten hoch (und ziemlich gestiegen) sind: Die Stadt rechnet mittlerweile mit 165 Millionen Euro, in dieser Summe sind Baupreissteigerungen einkalkuliert. Im April 2023 war im Gemeinderat noch von 110 Millionen Euro die Rede gewesen. Um die Kosten irgendwie nochmal zu drücken, hatte sich das Drees & Sommer "ein halbes Jahr lang" nochmal alles angeschaut. Um 16 Millionen Euro konnten die Baukosten schließlich gesenkt werden. Die Zeit drängt nun, eine weitere Verzögerung kann sich die Stadt eigentlich nicht leisten: Denn »Jedes weitere Jahr Verzögerung kostet uns aufgrund der Baukostensteigerungen nochmal rund vier Millionen Euro«, betont Oberbürgermeister Thomas Keck.
Die Modernisierung. Im Zuge der Rathaussanierung will die Verwaltung ihre gesamte Arbeitsweise ändern. »Wir wollen digitaler, flexibler und moderner werden«, sagt Hauptamtsleiter Philipp Riethmüller. Im sanierten Gebäude soll es in Zukunft »Desksharing« geben. Mitarbeiter haben also keinen festen Arbeitsplatz mehr. Rund 40 Prozent der Belegschaft soll dann im Homeoffice arbeiten, für 1.000 Mitarbeiter soll es nur noch 650 Plätze geben. Zudem sollen alle wichtigen Akten digitalisiert werden. Bei einer ersten Durchsicht sei man auf »rund 10 Kilometer Akten gekommen, die man scannen müsste«, so Riethmüller. »Das ist echt viel. Also haben wir ausgemistet.« Acht Kilometer blieben übrig - von denen nun noch viereinhalb Kilometer wirklich gescannt werden müssen, »Akten, die wir täglich brauchen«. Ein Dienstleister will nun rund einen Kilometer pro Jahr digitalisieren.
Die Diskussion. In seiner jüngsten Sitzung stimmte der Gemeinderat den aktualisierten Kosten und einem Einstieg in die weiteren Planungen mehrheitlich zu (mit einer Gegenstimme von Udo Weinmann, CDU). Vor allem die (gestiegenen) Kosten wurden von vielen Stadträten kritisiert, auch angesichts der knappen Haushaltslage der Stadt. (GEA)