ROMMELSBACH. Eine Braut, die sich nicht traut? So was kommt vor. Etwa als cineastische Komödie auf Leinwand, zuweilen aber auch als Tragödie im wirklichen Leben. Wobei es mitnichten immer fehlender Mut sein muss, der vor einem Ja-Wort zurückschrecken lässt. Mitunter stehen dem Einlaufen in den Ehehafen nämlich ganz andere Dinge entgegen. So geschehen bei jener Braut, um die es im Folgenden gehen wird.
Besagter Heirats-Kandidatin fehlte es nämlich keineswegs an Mumm. Sie wollte sich schlichtweg nicht verkuppeln lassen und pochte auf freie Partnerwahl. Was ihr indes wenig nützte. Denn die Stuttgarter Landesregierung kannte kein Erbarmen und zwang die Widerspenstige letztlich dazu, sich mit einem ungeliebten Partner zu verbandeln und eine arrangierte Ehe einzugehen.
Fünf Dekaden – wir schrieben den 1. Juli 1974 – liegt all dies nun zurück und mündete damals in einer Hochzeitszeremonie, bei der keinerlei Champagnerlaune aufkommen wollte. Denn die Braut trug Trauer und nach der Vertragsunterzeichnung den Doppelnamen Reutlingen-Rommelsbach.
Zur kooperativen und respektvollen Beziehung gereift
Seither hat sich die Ehe als tragfähig erwiesen. Von inniger Liebe kann zwar nach wie vor – insbesondere bei Zeitzeugen der Kommunalreform – nicht die Rede sein. Wohl aber von einer kooperativen und respektvollen Beziehung. Was bei Weitem mehr ist, als man in den Siebzigern und frühen Achtzigern erwartet hätte. Zumal sich Rommelsbach einstmals mit Vehemenz dagegen gewehrt hatte, seine Unabhängigkeit aufzugeben.
Emanzipiert war die Kommune zuvor gewesen. Stolz. Sie galt als begütert und mithin als überaus gute Partie. Doch jedwedes Selbstbewusstsein half ihr am Ende wenig: Mit der Eingemeindungsreform verlor das souveräne Dorf – es hatte ursprünglich angestrebt, im Verbund mit Altenburg, Sickenhausen, Oferdingen und Degerschlacht zur Kapitale des Nordraums aufzusteigen – seine Eigenständigkeit. Übrigens just zu jenem Zeitpunkt, da bis auf das aufmüpfige Mittelstadt alle heutigen Bezirksgemeinden bereits in Reutlingen integriert waren. Hatten sich Rommelsbachs Nordraumpartner doch nach und nach als abtrünnig erwiesen. Böse Zungen lästerten damals, sie hätten sich kaufen lassen.
Zu bröckeln begonnen hatte die Allianz der fünf Kleinen mit dem Ausscheren Oferdingens, das sich im Laufe des Jahres 1970 von der Idee einer Verwaltungsgemeinschaft unter Federführung Rommelsbachs verabschiedete, dem Werben Reutlingens nachgab und sich zum 1. Januar 1971 eingemeinden ließ.
Statt Kapitale hieß es für Rommelsbach jetzt Kapitulation. Allerdings keine kampflose. Denn der Ort – zwischenzeitlich zu einer Enklave innerhalb Reutlingens mutiert – und sein damaliger Bürgermeister Hans Auer bäumten sich im Vorfeld der Eheschließung noch einmal auf und veranlassten unter anderem im Februar 1974 eine Bürgerabstimmung – nachdem der baden-württembergische Landtag den Flecken per Dekret zur Zwangsehe verdonnert hatte. Bis spätestens zum Neujahrstag 1975, so lautete das Ultimatum aus Stuttgart, müssten auch die letzten eigenständigen Dörfer unter die Haube gebracht sein. Rommelsbach war eines davon.
Nur 23 Wahlberechtigte fanden den Weg zur Urne
Am Tag der Bürgerabstimmung zählte es 2.451 Einwohner, von denen alle Volljährigen aufgefordert waren, ihr Votum pro beziehungsweise contra Eingemeindung abzugeben. Doch, hallöchen! Was war da los? Lediglich 23 Stimmberechtigte beteiligten sich am Urnengang. Die anderen waren einem Boykottaufruf gefolgt, der vier Tage vor der Bürgeranhörung, am 16. Januar 1974, im Amts- und Mitteilungsblatt zu lesen gestanden hatte und von samt und sonders allen damals amtierenden Rommelsbacher Gemeinderäten unterzeichnet worden war.
Diese witterten nach der kollektiven Stimmen-Verweigerung noch einmal einen Hauch von Morgenluft und wagten darob zusammen mit Bürgermeister Auer einen allerletzten Vorstoß: Der Schultes und eine Handvoll Delegierter sprachen im Landratsamt vor – und bissen beim eigens aus Stuttgart angereisten Innenminister Karl Schieß auf Granit. »Beschluss ist Beschluss«, soll er der Rommelsbacher Abordnung mit auf den Nachhauseweg gegeben haben.
Fortan ging es in der Nordraumgemeinde also mehr oder minder um Schadensbegrenzung. Da die Eingliederung – mancher sprach frustriert von Einverleibung, Enteignung und Entrechtung – nicht zu verhindern war, sollte wenigstens größtmöglicher Nutzen für den Flecken rausgeschlagen werden. Hans Auer beraumte zu diesem Behufe am 15. März 1974 eine weitere Bürgerversammlung an – um letzte Fragen zu klären.
Fünfzig Jahre Eingemeindung: Ausstellung und buntes Programm
Samstag, 29. Juni: 16 Uhr – Ausstellungseröffnung »50 Jahre Eingemeindung Rommelsbach« durch Oberbürgermeister Thomas Keck in der Bibliothekszweigstelle
17. 30 Uhr – Fassanstich und Hockete
18 Uhr – Public Viewing zur Fußball-Europameisterschaft
ab 18.30 Uhr – Kinderdisco in der Bibliothekszweigstelle
Sonntag, 30. Juni: 10 Uhr – Gottesdienst
12 bis 14 Uhr – Foto-Aktion mit Äffle und Pferdle
ab 14 Uhr – Bühnenprogramm mit Darbietung von Kindergarten, Grundschule, BZN-Bläserklasse, SV Rommelsbach, Sängerkranz und Narrenzunft
13 bis 17 Uhr – Wasserspiele mit der Jugendfeuerwehr und Ausstellung von diversen Feuerwehrfahrzeugen, Tennis-Kleinfeldspiel, Tombola, Kinderschminken, Buttons-Basteln
14, 15 und 16 Uhr – Geschichtenoase im Saal der Bibliothek
Während des gesamten Jubiläums-Wochenendes gibt es für Besucher ein breites kulinarisches Angebot mit Festtagsbraten, Salattellern, Roten Würsten, (vergetarischen) Hamburgern und Pommes Frittes, mit Eiscreme aus dem Eismobil sowie am Sonntag ab 13 Uhr mit Kaffee und Kuchenbüfett
Im Beisein von Reutlingens Oberbürgermeister Manfred Oechsle ging es dem Schultes, wie im GEA nachzulesen war, vor allem darum, »aus einer Entwicklung, die wir sicher alle nicht wollten, das Beste zu machen«. Konkret: Würde sich Rommelsbach »gezwungenermaßen freiwillig« eingemeinden lassen, könnte es wenigstens den Ehevertrag für sich günstig beeinflussen.
Ob derlei strategische Überlegungen etwas in den Köpfen der Bürger bewegt haben? Nicht wirklich. Denn ein eilends organisierter zweiter Urnengang stieß abermals auf äußerst kümmerliche Resonanz. Von 1.800 stimmberechtigten Rommelsbachern gaben nur 411 ihr Votum ab – 305 von ihnen sprachen sich letztlich für die Zwangsehe aus, die denn auch vollzogen wurde. Pikantes Detail: Nicht Bürgermeister Hans Auer unterzeichnete den Eingemeindungsvertrag, sondern sein Vize Alfred Haussmann. Der gelernte Bäcker Auer konnte sich schlichtweg nicht dazu durchringen, seinen Namen unter die Urkunde zu setzen. Ihm blutete das Herz. Und er zog persönliche Konsequenzen: Hans Auer legte sein, wie er es empfand, stark entwertetes Schultesamt nieder. 1981 wurde er übrigens Bürgermeister von Mössingen.
Allerlei »Zuckerle« für Rommelsbach eingetütet
Vor seinem Abtritt hatte er jedoch tatsächlich allerlei »Zuckerle« für Rommelsbach eintüten können. Etwa die Errichtung des Bildungszentrums Nord (BZN), das 1978 auf Rommelsbacher Markung eingeweiht wurde. Zumal die Gemeinde seit Ende der Fünfzigerjahre mit Rasanz gewachsen war, absehbar weiterwachsen würde und darob zusätzliche Räumlichkeiten für Schüler schaffen musste.
In den Ehevertrag aufgenommen wurde damals außerdem der Bau einer Schwimmhalle. Auf den Namen Schönrainbad hätte die projektierte Sportstätte getauft werden sollen. Jedoch: Dieses Vorhaben verlief trotz intensiv betriebener Planung im Sande. Stattdessen bekam Rommelsbach seine Bibliothekszweigstelle – und seine Wittumhalle. Ein, wie man im Flecken rückblickend findet, mit glücklichem Händchen getätigter »Tausch«, der die Bedeutung des Teilorts innerhalb des Nordraums weiter vergrößerte.
Weniger glücklich: das Wohnquartier Mähder. An ihm »zahnt« manch’ betagter Einwohner bis heute. Und zwar nicht weil der »Satellit« im Südwesten ein Eigenleben führen würde – die Integration Hunderter Neubürger, die hier seit den 1990er-Jahren eine Bleibe gefunden haben, ist nach anfänglichen Problemen längst gelungen –, sondern weil etliche Eingemeindungskritiker von damals bis heute Eingemeindungskritiker geblieben sind. Sie knabbern nach wie vor daran, dass die Mitgift der Braut Rommelsbach unverhältnismäßig üppig ausgefallen war.
Allein die Ländereien, auf denen Mähder aus dem Boden gestampft wurde, seien goldwert gewesen. Hätte Rommelsbach sie weiland an die GWG verkauft, heißt es, wäre genug Kapital vorhanden gewesen, um die örtliche Infrastruktur aus eigener Kraft zukunftsfit zu machen.
Die reichste Nordraumgemeinde einkassiert
So jüngst auch in einem Leserbrief angedeutet, dessen Verfasser, wie er schreibt, »nicht zum Feiern zumute ist« – weil Reutlingen vor 50 Jahren zwar »die reichste Nordraumgemeinde einkassiert, versprochene Ausgleichszahlungen allerdings nur teilweise erfüllt hat«.
Eine Feststellung, die nahelegt, dass die Zeit Wunden mitunter eben doch nicht heilt, sondern lediglich vernarben lässt; und dass die bevorstehende Goldhochzeit, von manchem Rommelsbacher durchaus kritisch beäugt wird.
Dessen ist man sich im Teilort sehr bewusst. Und deshalb wird das Jubiläum am kommenden Wochenende, 29. und 30. Juni, auch nicht als Fete, sondern eher als Gedenktermin deklariert. Wiewohl eben dieses Gedenken munter ausfallen wird – mit einem bunten Unterhaltungsprogramm (siehe Informationskasten), das für Alt und Jung gleichermaßen etwas zu bieten hat. (GEA)