REUTLINGEN-ROMMELSBACH. Uuu. Uuuuu. Iiiiiii. Li-le-la-lo-lu. Iiiiiii. Uuuuu. Die Töne und Laute, die an diesem Übungsabend im Rommelsbacher Martin-Luther-Gemeindehaus zur Einstimmung angeschlagen werden, haben mit Wohlklang herzlich wenig zu tun. Um einen melodiösen Unfall handelt es sich aber trotzdem nicht. Sondern um eine schiere Notwendigkeit. Geht es doch darum, die Stimmbänder zu lockern und sich aufs Intonieren und saubere Artikulieren von Gospels und Spirituals vorzubereiten.
Sogar die Körperhaltung singt mit. Strammstehen verbietet sich. Stattdessen sollen die Sängerinnen und Sänger der Joyful Voices sich und ihre Schulterpartien entspannen. Weshalb zunächst ein paar gymnastische Übungen fällig werden, ehe Chorleiterin Susann Fenchel nach einigem Recken und Strecken, Schütteln und Schlenkern zum ersten Song überleitet.
Wir werden nicht umsonst gelebt haben
»I shall not live in Vain« (sinngemäß: Wir werden nicht umsonst gelebt haben) lautet der Titel, mit dem der Abend startet und die Joyful Voices unter Beweis stellen, dass sie’s draufhaben. Tenöre und Bässe, Altstimmen und Soprane formieren sich zum harmonischen Klangkörper: rhythmisch, mitreißend und lebensfroh. Gospel-Gesang mit Leib und Seele.
Zu Gehör gebracht wird er von 35 Amateuren im Altersspektrum zwischen 12 und 82 Jahren, die unter dem Dirigat von Susann Fenchel bereits zahlreiche, mit sattem Applaus honorierte Auftritte absolviert haben. Gibt die Musikerin bei den Joyful Voices doch seit bald fünfzehn Jahren den Takt vor - mit Herzblut und Humor, Knowhow und, ja, auch das, mit Charisma. Indes: Damit ist demnächst Schluss. Hat Fenchel ihrem Gospelchor doch Mitte November vergangenen Jahres eröffnet, dass sie sich in Bälde aus Rommelsbach zurückziehen wird.
Chorleitung gesucht
Wenn die langjährige Chorleiterin der Rommelsbacher Joyful Voices Ende März den Taktstock niederlegt, wäre es für die 35-köpfige Gospel-Combo wünschenswert, möglichst nahtlos weitermachen zu können. Die Sängerinnen und Sänger hoffen deshalb, rasch eine Nachfolge zu finden, die sie – auf Honorarbasis – für Gottesdienstauftritte und Konzerte fit hält. Wer sich für den Posten interessiert, ist gebeten, sich per Mail an Pfarrer Jonathan Hörger-Jebe zu wenden. Außerdem freut sich der Chor über stimmliche Verstärkung. Wer sich unverbindlich informieren oder ausprobieren möchte, ist willkommen, entweder einen der Übungsabende zu besuchen (außerhalb der Ferien immer freitags, 19 bis 20.30 Uhr im Gemeindehaus der Martin-Luther-Kirche) oder über die Homepage des Gospelchors Kontakt aufzunehmen. (ekü)
»Für uns«, verrät Sänger Ralf Schreg, »war das erst mal ein Schock.« Allerdings einer, den der Chor zwischenzeitlich verdaut hat. Zumal Fenchels Beweggründe nachvollziehbar sind. Sie habe sich, sagt die seit elf Monaten verrentet Krankenschwester, mit Eintritt in den Ruhestand vorgenommen, auch nebenberuflich »kürzerzutreten« und zumindest einen der drei von ihr geführten Chöre abzugeben - um mehr Zeit für die Familie und ihr eigenes Musik-Projekt zu haben. Konkret: für ihre Band Shady Lane, die sich dem Electric Blues verschrieben hat.
Wobei Susann Fenchel der Abschied von den Joyful Voices alles andere leicht fällt. Entsprechend emotional dürfte es denn auch am 15. März in der Martin-Luther-Kirche zugehen, wenn die beliebte Chorleiterin den Rommelsbachern um 19.30 Uhr unter der dem Motto »Zeit zum Durchatmen« musikalisch Servus sagt.
Viele Erinnerungen in Herz und Hirn
Klar, dass dann viele Erinnerungen durch Herzen und Hirne huschen werden. Zumal Fenchels Gospelchor neben konzertanten Auftritten auch immer wieder Gottesdienste im Reutlinger Nordraum begleitet und so Verbundenheit geschaffen hat.
Los ging Fenchels Engagement unterm Dach der evangelischen Kirchengemeinde übrigens am 1. Mai 2010. Via Mundpropaganda war die Musikerin damals mit den Joyful Voices zusammengekommen. Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt weder Chorleitungserfahrung noch eine entsprechende Lizenz vorweisen konnte. Stattdessen brachte sie - sozusagen als Softskills - ihre Liebe zu Spirituals und Gospels, jede Menge Frauenpower sowie die ihr wesenseigene höchst ansteckende Begeisterungsfähigkeit mit.
Kurzweilig-beschwingte Übungsstunden und Proben
Alles andere, davon waren damals sowohl Kirchengemeinderat als auch Gesangsformation überzeugt, würde sich schon finden - und fand sich tatsächlich. Denn Susann Fenchel durchlief alsbald eine staatlich anerkannte Ausbildung zur Chordirigentin und schloss diese in Trossingen mit dem B-Schein ab.
Nebenbei und zwischendurch: kurzweilig-beschwingte Übungsstunden und Proben, Gottesdienste und Konzerte. Hatten die Joyful Voices einst pro Jahr lediglich einen Liederabend gestaltet, nahm mit Susann Fenchel die Zahl der öffentlichen Auftritte zu. Vier bis fünf per annum sind es jetzt. Und: Der Chor vergrößerte sich - auch, weil begeisterte Zuhörern zuweilen zu aktiven Sängern mutierten. Sogar zu solchen, die, wie die scheidende Chorleiterin sagt, »nicht bloß mit voller Kehle für die Seele« singen, sondern dazu bereit sind, an ihrer Stimme zu arbeiten und sich aufmerksam hinhörend in ein großes Ganzes einzufügen.
Nun freilich: die bevorstehende Zäsur, verbunden mit der (bangen) Frage, ob und wie es nach dem Weggang von Susann Fenchel weitergehen wird. Zumal die Joyful Voices laut Birgit Gropius und Anette Nußbaum »unbedingt am Ball bleiben wollen«. Offen seien sie »für neue Inspiration sowie für kreative Impulse« und optimistisch, dass sich zeitnah eine Nachfolge findet: auf Honorarbasis, versteht sich. Denn der Kirchengemeinde ist ihr Chor wichtig. Dafür ist sie bereit, Geld in die Hand zu nehmen.
Konzert mit Kathy Kelly in Orschel-Hagen
Ausgeschrieben wird die Leitungsstelle seitens der Verbundkirchengemeinde Nord. Was die Joyful Voices nicht davon abhält, flankierend die Werbetrommel zu rühren und auf sich aufmerksam zu machen. Derweil Susann Fenchel ein wenig Rückschau hält. Was ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist? Prompte Antwort: »Das Konzert mit Kathy Kelly in Orschel-Hagen.«
500 Zuhörer hatte das Gospel-Event im Mai 2012 in die Jubilatekirche gelockt und den Adrenalinspiegel der sonst so coolen und von Lampenfieber - »Ich bin eine Bühnenmensch« - gänzlich befreiten Chorleiterin in nie da gewesene Höhen getrieben: weil die irisch-US-amerikanische Sängerin nicht wie vereinbart zur Anspielprobe gekommen war. »Sie stand im Stau« … und legte zur Erleichterung aller schließlich doch noch eine Punktlandung hin. Das Konzert konnte ohne Verzögerung beginnen und geriet zum feinen Erfolg. (GEA)