Viele bemerkenswerte Sololeistungen, auch in der kleinsten Besetzung. Die Roaring Sixties in ihrem quirlig-überdrehten Lebensrausch. Das ist markerschütternder Soul, das sind heiße Beats, das ist Negro-Day und Teen-Revolte. Das sind getanzte rosarote Träume. »Wild things« außer Rand und Band. Und: Danke für die erste Reihe.
»Im normalen Schulalltag schafft ein Lehrer diese intensive Beziehung nicht«Das waren drei Stunden authentisch strahlende Sympathie in jedem einzelnen Gesichtszug, bewegendes Theatertalent zu splitternder Komik, eine geniale Choreografie zu überraschender Szenik und von rechts im Ohr: musikalische Glanzleistung vom Schulorchester in Broadway-Qualität. »Wow« – für die schillernde Gesamtinszenierung und fassungslos glückliche Gesichter beim frenetischen Schlussapplaus. Die Wittumhalle in Rommelsbach war zur Premiere des neuen Musical-Blockbusters am Bildungszentrum Nord zum Bersten gefüllt. Nur für die heutige Vorstellung um 20.30 Uhr von »Hairspray« gibt’s noch Karten. Die beiden bisherigen Aufführungen haben 1 500 Besucher gesehen
Das amerikanische Baltimore in den Siebzigern ist geprägt von Rassenhass und Diskriminierung. Die andere Seite der »Integration«. Model-Castings gab es schon damals. Und: Teenager sind, was sie sind. Tracy ist aus der »Unterschicht« und passt in kein Fernsehformat. Sie hört nicht auf zu kämpfen und setzt sich gegen Biss, Jähzorn und Konventionen durch: »Mit treuen Freunden und dem Glauben an sich selbst ist alles möglich. Niemand stoppt den Beat!«
Ein Thema, das Generationen infiziert und ein zentraler Teil amerikanischen Understatements ist. Regisseur und Drehbuchautor John Waters hat seine Kino-Kult-Komödie 1988 einer »Drag Queen«, also einem Travestiekünstler gewidmet. Premiere am Broadway war 2002. Die deutsche Besetzung von Tracys Mutter Edna spielte in Köln Uwe Ochsenknecht.
In der aktuellen Musicalaufführung des BZN in Rommelsbach übernimmt Fabian Schlobach den zentralen Part. Die moppelig getrimmte Tracy Turnblad (Berya Yildiz Inci) tanzt für ihr Leben gern mit ihrer etwas verpeilten Freundin Penny (Isabel Sulzberger) durchs Quartier, zunächst gegen alle Widerstände von Zuhause.
Einzig ihr Vater – selbst ein Außenseiter – erkennt ihr Talent (Tobias Veit als Wilbur). Sternchen Corny Collins (Johannes Kicherer) ist mit seiner Tanzshow Quotenstar im Fernsehen. Link (Marc Weinmann) ist Teil einer verzwickten Eifersuchtsgeschichte zwischen Tracy und ihrer hinterhältigen Casting-Konkurrentin Amber (Anne Raab), die gleichzeitig Star einer glamourösen Teenie-TV-Show ist, gemacht von ihrer noch biestigeren Mutter Velma (Selina Jetter). Schminken verboten, »Hairspray« hat seine eigenen Gesetze.
Wenn es zur Aufführung keine dunkelhäutigen Darsteller gibt, sind sie eben das, was sie sind: Weiße. In Rommelsbach die geniale Soulstimme von Big-Mama Motormouth (Alicia Köhnke), Underdog Seaweed (Benjamin Burballa) und seine streighte kleinen Schwester Inez (Sophia Naser).
Bis auf eine Ausnahme: geniales »Schwarzes Theater« in der fingierten Zelle des »Baltimore State Prison«. Die Massen-Szenen aus dem Straßenkampf erinnern an »Nabucco«. Martin Luther King im Großformat auf der Leinwand, 1962 im Hexenkessel des US-Amerikanischen Aufbruchs: »I have a dream!«.
»Schüler und Lehrer sitzen über lange Zeit im selben Boot«Keine zentrale Aussage fehlt, jede einzelne ist wie ein Scherenschnitt inszeniert. Ohne Pathos, in rasantem Tempo, bewegt und diszipliniert bis in die Fingerspitzen. Da sitzt alles. Nur ein einziger Wermutstropfen: Worum es geht, ist so brisant wie vor 50 Jahren. Die Wortfetzen, die die Schüler ins Publikum schreien, sind Geschichte und gelebte Gegenwart.
Auch wenn das Ensemble in diesem Jahr »verdammt jung« ist, haben die Initiatoren über 15 Jahre Musical AG doch eines gelernt: »Im normalen Schulalltag schafft ein Lehrer diese intensive Beziehung nicht. Schüler und Lehrer sitzen über lange Zeit im selben Boot und begegnen sich dabei auf Augenhöhe«, sagt der Medienbeauftragte des Projekts, Ewald Walker. »Dabei entstehen Bindungen, die die Schulzeit überdauern.« Und atemraubende Momente. (GEA)