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Rief Reutlinger Moschee zur »Tötung Ungläubiger« auf?

Laut Nachrichtenportal des Ex-Bild-Chefs Julian Reichelt soll Reutlinger Moschee zur »Tötung Ungläubiger« aufgerufen haben. Was Polizei, Verfassungsschutz, Stadt, Islam-Experten und Moschee-Vertreter dazu sagen.

Blick ins Innere der Al-Ikhlas-Moschee in der Reutlinger St. Leonhardstraße.
Blick ins Innere der Al-Ikhlas-Moschee in der Reutlinger St. Leonhardstraße. Foto: Privat
Blick ins Innere der Al-Ikhlas-Moschee in der Reutlinger St. Leonhardstraße.
Foto: Privat

REUTLINGEN. Julian Reichelt, unehrenhaft entlassener Ex-BILD-Chefredakteur, verbreitet über das Nachrichtenportal NiUS als selbst ernannte »Stimme der Mehrheit« rechtspopulistische Inhalte mit markigen Headlines. Nun kursiert ein Solcher nebst Video in den sozialen Medien und sorgt dort für Aufregung. Im Beitrag geht es um die Al-Ikhlas-Moschee in der Reutlinger St. Leonhardstraße. Überschrift: »Salafistische Moschee ruft zur Tötung von Ungläubigen auf – und ist offizieller Partner der Stadt Reutlingen.« Im Video rezitiert ein Prediger (auf Arabisch) Sure 9, Vers 5 aus dem Koran, wo es unter anderem übersetzt heiße: »Tötet die Götzendiener, wo immer Ihr sie findet« oder »kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah glauben«.

Auf GEA-Nachfrage heißt es beim Reutlinger Polizeipräsidium, dass Kriminalpolizei Esslingen und Staatsanwaltschaft in Stuttgart den Vorfall bereits geprüft haben. Ergebnis: Das Rezitieren von Koranversen sei kein strafrechtlich relevantes Verhalten. »Das ist das heilige Buch der Muslime. Da steht die Botschaft halt so drin«, sagt ein Pressesprecher. Und: Die Moschee sei bisher bei der Reutlinger Polizei noch nicht aufgefallen.

Verfassungsschutz: Verein der salafistischen Szene zugerechnet

Der Verfassungsschutz in Stuttgart gibt sich zugeknöpft. »Die Al-Ikhlas-Moschee beziehungsweise die Internationale Islamische Gemeinschaft (IIG) in Reutlingen sind uns bekannt«, heißt es auf Nachfrage schriftlich. Und weiter: »Sie werden der salafistischen Szene zugerechnet.«

Was »bekannt« heißt, ob der Staatsschutz die Moschee beobachtet, wie die salafistische Szene in Reutlingen eingeschätzt wird und ob die Stadtverwaltung Abstand davon nehmen sollte, mit der IIG zusammenzuarbeiten, dazu gibt es keine weiteren Informationen. Von der Pressestelle heißt es, man bitte um »Verständnis«, aber man könne die Auskunft nicht ergänzen.

Übliche Rezitation im Ramadan?

In der Internationalen Islamischen Gemeinschaft gibt man sich empört: »Wir sind sprachlos«, sagt Mohammed Hafafsa, stellvertretender Vereinsvorsitzender. Das Video sei in der Moschee aufgenommen, ja, aber nicht, wie es heißt, im August, sondern im April und zwar im Ramadan. Im Fastenmonat der Muslime sei es üblich, dass der Koran komplett rezitiert werde, also auch der kritische Vers. »Das ist ganz normal. In allen Moscheen dieser Welt. Seit 1.400 Jahren. Das ist kein Aufruf zur Gewalt.«

Die Videosequenz und knapp zwei Dutzend weitere Ausschnitte der Rezitation seien teils von ihm selbst, teils von Moschee-Mitgliedern gedreht und dem Imam geschickt worden: einem Gastprediger, der wieder in Algerien sei. Wie das Video den Weg zu NiUS fand, weiß Hafafsa nicht.

Islamkritiker nehmen den sogenannten »Schwertvers« als Beleg für die vermeintliche Gewalttätigkeit der Religion. Muslimischen Extremisten dient er als Rechtfertigung für ihre Untaten. Doch er bedarf der wissenschaftlichen Auslegung und Einordnung. Man müsse den Inhalt im historischen Kontext sehen, sagt auch Hafafsa, und nicht »aus dem Zusammenhang gerissen«.

Internationale Islamische Gemeinschaft arbeitet viel mit der Stadt zusammen 

Die Internationale Islamische Gemeinschaft arbeitet in vielen Bereichen mit der Reutlinger Stadtverwaltung zusammen, unter anderem im Rat der Religionen. Sie nimmt auch an zahlreichen Veranstaltungen teil, die den interreligiösen Dialog in der Stadt fördern sollen, so etwa dem Tag der offenen Moschee oder der Interkulturellen Woche. Türken, Araber, Tunesier, Afrikaner, Asiaten: Sunniten aus verschiedensten Nationen frequentierten die Moschee. »Wir sind offen, jeder kann rein«, sagt Hafafsa. Diese Offenheit und die Zusammenarbeit mit städtischen Institutionen führten dazu, dass die Gemeinde Anfeindungen nicht nur von ausländer- und islamfeindlicher Seite ausgesetzt sei, sondern auch von Muslimen, denen sie »zu liberal ist, zu weich«.

Im Hinblick auf die vom Landesverfassungsschutz nicht näher konkretisierte Einschätzung in Sachen Salafismus beteuert Hafafsa: »Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wir sind keine Salafisten. Wir sind das hundertprozentige Gegenteil davon.« Seit zehn Jahren sei die Moschee in der St.Leonardstraße. »Wir sind in der Mitte und jetzt sollen wir wieder an den Rand.« Er fürchtet um die guten Beziehungen mit der Stadt: »Wenn die Stadt uns allein lässt, ist das eine Katastrophe.«

Die Verwaltung reagiert auf Anfrage mit einer schriftlichen Stellungnahme. Es gebe in unterschiedlichen Religionen Aussagen, »die nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Einklang sind«. Deshalb sei es wichtig, wie diese Aussagen in Religionsgemeinschaften diskutiert und ausgelegt würden. Aus dem in NiUS veröffentlichten Videoausschnitt sei der Kontext nicht erkennbar. »Wir werden mit dem Moschee-Verein in Kontakt treten und diese Dinge klären.«

Wie üblich ist es, Sure 9, Vers 5 zu rezitieren? Wie ist die Verwendung einzustufen? Gerne hätte der GEA Experten aus dem Tübinger Institut für Islamistik befragt. Doch es fand sich kein Gesprächspartner, eine schriftlich erbetene Stellungnahme blieb ebenfalls unbeantwortet.

Unauffällig: das Moscheegebäude von außen.
Unauffällig: das Moscheegebäude von außen. Foto: Frank Pieth
Unauffällig: das Moscheegebäude von außen.
Foto: Frank Pieth

Am Berliner Institut für Islamische Theologie nahm man sich die Zeit für eine zeitnahe Einschätzung. Serdar Kurnaz, Professor für Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart, bestätigt die Aussage des IIG-Vorstands: »Muslime haben die Tradition, dass im Monat Ramadan der Koran entweder während eines für den Monat Ramadan speziellen Gebets, das Tarawih, oder außerhalb dessen in Lesezirkeln in Moscheen oder Privathäusern vollständig rezitiert wird.«

Das Video zeige ein Tarawih-Gebet, das Muslime für gewöhnlich in Gemeinschaft verrichteten und das sich von der Form her von den gewöhnlichen täglich fünfmal zu verrichtenden Gebeten nicht unterscheide. Es sei davon auszugehen, dass der Imam im Rahmen eines solchen Gebets auch Sure 9 rezitiert sowie alle anderen Suren nacheinander auch, verteilt über den gesamten Ramadan hinweg, was man auch am Tempo der Rezitation erkennen könne. Es handele sich, so Kurnaz’ Resümee, nicht um eine Predigt, in der zu Gewalt aufgerufen werde, sondern um »eine unkommentierte, melodische Rezitation des gesamten Korantexts innerhalb eines Ritualgebets, wo es auf die Rezitation des gesamten Korans ankommt«. (GEA)