REUTLINGEN. Schmutzige Wäsche aus einem Mietshaus landet nicht nur in der Waschmaschine, sondern beschäftigt im sprichwörtlichen Sinne auch das Reutlinger Amtsgericht. Dort muss sich eine Frau wegen der angeblichen sexuellen Belästigung eines Jugendlichen verantworten. Der Knabe gehört zu einer Familie, die laut Zeugenaussagen im Haus immer wieder für Schlägereien und andere Konflikte gesorgt haben soll. Am ersten Prozesstag kommt so einiges zur Sprache, das fassungslos macht. Die Suche nach der Wahrheit wird fortgesetzt.
Auf der Grundlage einer Anzeige, die der junge Mann im Dezember des vergangenen Jahres bei der Reutlinger Polizei gestellt hat, verliest Staatsanwalt Patrick Pomreinke eine Anklageschrift voller heftiger Vorwürfe. Die 34 Jahre alte Frau, die mit ernstem Gesicht neben ihrem Rechtsanwalt Matthias Rath auf der Anklagebank sitzt, soll Ende 2024 dem vermeintlich geschädigten 17 Jahre jungen Nachbarssohn »mit entblößten Bauch« entgegengetreten sein. Wenige Tage vor Weihnachten habe sie dem Minderjährigen gegen seinen Willen schließlich bei einer Begegnung mit den Worten »Ich weiß, Du willst das doch auch«, zunächst an die Brust sowie dann in den Schritt gefasst. Das wäre ganz klar eine strafbare sexuelle Belästigung. Wenige Augenblicke später sieht der Fall im Gerichtssaal ganz anders aus.
Im Gerichtssaal
Richterin: Celine Eich. Staatsanwalt: Patrick Pomreinke. Verteidiger: Matthias Rath.
Zur Tatzeit einkaufen gewesen
Denn die solchermaßen beschuldigte Frau nimmt ausführlich Stellung. »Ich war an diesem Tag mit einer Freundin einkaufen und zur Tatzeit nicht zu Hause«, stellt die Angeklagte nüchtern fest. Auf ihrem Smartphone zeigt sie dem Gericht digitale Einkaufsbelege fürs Shopping in Reutlingen und Dettingen, wo die Freundin ihren dort arbeitenden Mann besuchte. Richterin Celine Eich nimmt dies zur Kenntnis, fragt nach die Beschuldigte nach ihrem sonstigen Verhalten gegenüber dem jungen Mann. »Ich habe mich immer von dem distanziert«, betont die Frau. Die Hausverwaltung habe sie schon bei ihrem Einzug vor der Familie des Jugendlichen gewarnt. Wie kann sie sich diese Anzeige dann erklären?
Nach einer »Schlägerei vor dem Haus«, bei der sie selbst unbeteiligt gewesen sei, habe sie als Zeugin gegen den Jugendlichen ausgesagt, denn sie habe keine Angst. Dies sei wohl der Grund für die haltlosen Anschuldigungen. Die Einladung der ermittelnden Polizeibeamten, zur Anzeige eine Aussage zu machen, habe sie nur deswegen nicht wahrgenommen, »weil die Anzeige lächerlich ist«. Ihrerseits habe es keinerlei Begegnungen mit dem 17-Jährigen gegeben, geschweige denn ein unangemessenes Verhalten. Alles dies sagt die Angeklagte ganz ruhig und sachlich. Emotional wird dagegen die Zeugenaussage ihrer Freundin, mit der sie einkaufen gewesen sein soll.
Die Portugiesin, nach eigenen Angaben schon lange zufriedene Mieterin im Haus, beschreibt den Besuch eines Verwandten mit Kleinkind als Anfang eines belastenden Streits mit der Nachbarsfamilie. Immer wieder hätten die über ihr wohnenden Leute die Polizei wegen angeblicher Ruhestörung die Polizei gerufen - so lange, bis die Beamten die Nase voll gehabt hätten. Sie spricht davon, ein Reifen am Auto ihres Sohnes sei zerstochen worden. Außerdem erzählt sie mit Tränen in den Augen von körperlichen Auseinandersetzungen und lautstarken Streitgesprächen. »Ich hatte immer Angst um meine Kinder«. Mittlerweile laufen wohl Zivilprozesse wegen Schadenersatz in diesen Fällen.
Viele Vorfälle - bis zur Morddrohung
Das Bild einer belasteten Hausgemeinschaft vervollständigen die Zeugenaussagen jenes Polizeibeamten, der die Anzeige des jungen Mannes wegen sexueller Belästigung damals aufgenommen hatte. Er berichtet von den Anschuldigungen, für die das angebliche Opfer aber keinerlei Augenzeugen benennen konnte. Aufschlussreich ist der Bericht eines anderen Jugendlichen aus dem Haus: »In den letzten Jahren gab's schon viele Vorfälle mit denen«, sagt er mit Blick auf die Nachbarn. Die hätten auch schon »mit Mord gedroht«. Er habe keine Ahnung, wieso die so seien.
Doch ein wesentlicher Zeuge zur Klärung des Sachverhaltes fehlt am ersten Verhandlungstag: das angebliche Opfer. Der Grund dafür erschließt sich Richterin Celine Eich durch einen Hinweis der Angeklagten. Die Familie, mit der es so viel Ärger gegeben haben soll, wohnt nicht mehr im Haus. Deswegen ging die Ladung zum Prozess offenbar ins Leere. Der Prozess wird am Dienstag, 8. Juli, um 8.30 Uhr fortgesetzt. Dann wird die Beweisaufnahme erneut wieder spannend werden. (GEA)