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Reutlinger Vater angeklagt: Das sagen Kindergärtnerin und Psychiater

Zeugenaussagen von Erzieherinnen und die Beurteilung eines Sachverständigen belasten den wegen Vernachlässigung seines Sohnes angeklagten Vater im Prozess vor dem Amtsgericht Reutlingen.

Das Amtsgericht Reutlingen.
Das Amtsgericht Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Das Amtsgericht Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Schwer verständlich ist im Prozess gegen einen Vater, der seinen Sohn laut Anklage über Jahre hinweg vernachlässigt haben soll, so einiges. Am zweiten Verhandlungstag erscheint der Beschuldigte vor dem Schöffengericht im Amtsgericht Reutlingen mit einer schwarzen Mundmaske, wodurch er kaum zu verstehen ist. Der 42 Jahre alte Mann, der nach eigenen Angaben Cannabis konsumiert, wehrt sich heftig gegen die Vorwürfe, ein schlechter Papa zu sein.

Ein Sachverständiger beschreibt den Angeklagten dagegen »als nicht verantwortungsvoll agierend«. Im Zeugenstand treten Erzieherinnen auf, die über seinen Sohn sagen, »wir hatten nicht den Eindruck, das er hundertprozentig altersgemäß entwickelt ist«. Aber wenn das stimmt, wieso dauerte es dann so lange, bis das Kind der Obhut des Vaters entzogen wurde?

Der Rechtsstaat scheut weder Kosten noch Mühen, um dem Fall gerecht zu werden. Zum Prozessauftakt hatten sich Richter Eberhard Hausch und die Schöffen Frank Degner und Benjamin Meier zu Fuß auf den Weg zur Besichtigung der Wohnung des Angeklagten gemacht. Dem wirft Staatsanwalt Dr. Burkhard Werner vor, als Vater nicht in der Lage gewesen zu sein »auch nur seinen minimalsten Fürsorgepflichten nachzukommen«. Am zweiten Verhandlungstag werden sechs Zeugen und ein Sachverständiger dazu gehört – vier Stunden lang. Zunächst verliest Hausch jedoch Mails des Angeklagten.

»Ich fordere die Einstellung des Verfahrens«

In einem Schreiben fordert der Angeklagte die »sofortige Einstellung des Verfahrens, Rückführung meines Kindes, Schmerzensgeld und Entschuldigung«. Er adressiert diese Mail an diverse Staatsanwaltschaften, Politiker sowie Organisationen bis hin zur Bundesregierung. Auch der GEA wurde angeschrieben.

Er besteht darauf, dass die Vorwürfe gegen ihn auf »falschen Behauptungen beruhen« und wirft dem Jugendamt Reutlingen unter anderem vor, sein Sohn sei »seit sechs Monaten nicht mehr zu einem Arzt gebracht worden«. Amtsrichter Hausch, den zuständigen Staatsanwaltschaft sowie eine Gutachterin bezichtigt er einer »Zusammenarbeit zum Nachteil meines Kindes, um mich mundtot zu machen und die rechtswidrige Inobhutnahme zu legitimieren«. Dieser langen Liste von Vorwürfen widerspricht der Verfahrensverlauf. Das Gericht unternimmt eine gründliche Beweisaufnahme.

So berichtet eine Polizeikommissarin im Ruhestand von ihren Ermittlungen nach einer Anzeige des Vaters, die es in sich hat. Der Mann bezichtigte seinen Mitbewohner des Missbrauchs zum Nachteil seines Kindes – obschon er an anderer Stelle davon berichtet hatte, wie der Filius ausgerechnet mit diesem Menschen gerne zur Imbissbude gegangen sei.

Die Zeugin erinnert sich, der heftige Vorwurf habe bei ihrer Befragung des Vaters keine wesentliche Rolle gespielt. Letztlich wurde das Verfahren gegen den Mitbewohner eingestellt. Im Rahmen ihrer Ermittlungen habe sie jedoch, sagt die Polizistin, anderes erfahren: »Der Sohn trug mit fünf Jahren immer noch Windeln. Es kam zu hohen Fehlzeiten im Kindergarten«. Außerdem habe der Vermieter besorgt das Jugendamt zur Hilfe gerufen, »weil sich der Vater nicht um das Kind kümmerte«. In dieses Bild passt auch die nächste Zeugenaussage.

Auch die Nachfolgerin der Kommissarin beschäftigte sich mit dem Fall, befragte Kindergärtnerinnen. Dabei seien einerseits »Verbesserung festzustellen« gewesen. Aber der Junge »hatte außerhalb der Kindertagesstätte keinen Kontakt zu anderen«, sagt die Beamtin aus. Vom Jugendamt habe sie zu dem Fall »keinerlei Auskünfte bekommen«.

Ähnliches berichten auch zwei Erzieherinnen. Der Fall des Vaters und seines Sohnes beschäftigte sie mehrfach und immer wieder bei Elterngesprächen, wobei die Mutter des Kindes wegen psychischer Probleme teils nicht dabei gewesen sei. »Uns ist aufgefallen, das die Mutter aus einer Klinik angerufen hat. Ihr Sohn hat von Beginn an sehr wenig gesprochen, hatte Schwierigkeiten auf Kinder zuzugehen«. Was die Lage kaum einfacher gemacht habe, sei das »sehr unregelmäßige Erscheinen« des Jungen gewesen. Laut Vater habe sein Kind einfach »keine Lust« auf Kindergarten gehabt, sei außerdem autistisch – wofür es allerdings keine medizinische Diagnose geben soll. Im Sinne des Kindeswohles wurde der Knabe im August 2024 durch das Jugendamt dem Vater entzogen.

»Der Angeklagte hat krankhafte seelische Störungen«

Die Einschätzung der Gesamtlage, sagen die Kindergärtnerinnen, sei für sie schwierig gewesen. So habe es zwar auch runde Tische mit dem Jugendamt gegeben, aber dabei seien offenbar manche Informationen aus Gründen des Datenschutzes nicht an sie weitergereicht worden. »Wir konnten nicht feststellen, dass der Sohn akut gefährdet ist«, meint eine der Frauen rückblickend.

Ziemlich klar ist die Beurteilung von Dr. Hubertus Friederich vom Zentrum für Psychiatrie in Zwiefalten. Der Psychiater hatte sich die Mühe gemacht, den Angeklagten Anfang März in dessen Wohnung zu besuchen, empfand dort allerdings »ein aggressives Verhalten« des Mannes. Seiner Einschätzung nach sei der Vater voll schuldfähig, leide unter »krankhaften seelischen Störungen« und habe »wiederholt psychische Probleme«. Die Fortsetzung des Verfahrens ist auf Mittwoch, 2. April, 9 Uhr terminiert. (GEA)