REUTLINGEN. Schnelle Beats, provokante Zeilen und stylische Outfits. Um mehr junge Menschen auf Ausbildungs- und Studienplätze aufmerksam zu machen, hat sich die Stadt Reutlingen im Rahmen ihrer Azubi-Kampagne etwas einfallen lassen: den Stadtkind-Song. Ein Rap inklusive Musikvideo, welches auf den Social-Media-Kanälen der Stadt Reutlingen veröffentlicht wurde. Auch auf den gängigen Streamingplattformen ist der Song verfügbar.
»Von Betzingen bis zur Skyline, Thommy hat´s geschafft«
Ausgestattet mit Goldketten, dicker Uhr und einer großen Gruppe versucht die »Azubi-Rapperin« Nadine Schöllkopf auf humorvolle Art und Weise Aufmerksamkeit für die Stadt Reutlingen als Ausbildungsbetrieb zu generieren und so neue Mitarbeiter anzulocken. Kurioserweise ist es aber nicht Schöllkopf selbst, die den Text tatsächlich rappt, sondern die Reutlinger Künstlerin MissFemBé. Während ihre Stimme im Musikvideo zu hören ist, liefert Schöllkopf die dazu passende Schauspieleinlage. »Das war am Anfang ein komisches Gefühl, aber dann wurde ich immer lockerer«, sagt sie.
Im Übrigen hatte sie vor dem Dreh des Musikvideos keinerlei Vorerfahrung in diesem Bereich: »Das war komplett neu für mich, ich wusste gar nicht worauf ich mich da einlasse«, so die 22-Jährige. Angesprochen von der Personalabteilung, war die Auszubildende schnell von dem Projekt begeistert. Wieso man ausgerechnet sie für die Rolle ausgesucht hat? »Ich glaube, weil ich eine offene Person bin und keine Hemmungen habe, neue Dinge auszuprobieren.«
Über vier Drehtage und weitere kürzere Drehs hatte Schöllkopf mit ihren Azubi-Kollegen viel Spaß vor der Kamera. Als Vorbereitung auf die Drehtage lernte sie lediglich den Songtext auswendig: »Ich wusste ja gar nicht, was mich erwartet.« Das Endprodukt kann sich laut der angehenden Verwaltungswirtin jedenfalls sehen lassen: »Ich bin sehr zufrieden und war beim ersten Schauen des Videos überrascht. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es wird, wenn man alle Szenen zusammenschneidet.« Schöllkopf glaubt, dass das Musikvideo vor allem bei jüngeren Menschen gut ankommt. Die ältere Generation »feiert es glaube ich nicht so.«
»Wir machen pünktlich Afterwork in einer feinen Wirtschaft«
Nicht nur die Auszubildenden, sondern alle Beteiligten des Musikvideos - wie die Werbeagentur und die Produktionsfirmen - stammen aus Reutlingen. Auch die Räumlichkeiten im Rathaus wurden für den Dreh genutzt. Dadurch werden die Kosten für die Kampagne verringert. Auf GEA-Nachfrage wollte die Stadt allerdings keine Angaben machen, wie hoch diese sind: »Wir bitten um Verständnis, dass wir mit Rücksicht auf die beteiligten Firmen keine Angaben zu den Kosten machen«, so die Pressestelle. Man könne aber sicher sein, dass man alles getan habe, um sie so gering wie möglich zu halten.
Selbst Oberbürgermeister Thomas Keck war sich für einen Auftritt nicht zu schade. Nachdem er bereits in Promo-Videos für den Stadtkind-Song auftauchte, ist ihm auch eine eigene Zeile im Song gewidmet: »Von Betzingen bis zur Skyline, Thommy hat's geschafft!« Dass sowohl der OB als auch Finanzbürgermeister Roland Wintzen in dem Musikvideo auftauchen, verdeutlicht, dass die Verwaltungsspitze sofort von dem Konzept begeistert war. »Die beiden waren total locker drauf und hatten glaube ich auch Spaß dabei«, meint Schöllkopf. Und das, obwohl Keck für eine Szene mit verschüttetem Kaffee »einige Hemden gebraucht hat.«
Mit dem Stadtkind-Song soll eine Identifikation mit der Stadt Reutlingen hervorgerufen werden - sowohl bei den vorhandenen Mitarbeitern als auch bei potenziellen Nachwuchskräften. Provokante Zeilen wie »Was für Überstunden, Alter, es ist 16.30«, oder »Wir machen pünktlich Afterwork in einer feinen Wirtschaft«, ziehen sich durch den Song. Sie sollen einem klischeehaften Denken über den öffentlichen Dienst entgegenwirken und davon überzeugen, dass eine Arbeit im Bereich der öffentlichen Verwaltung Spaß machen kann. Zum Schluss kommt die Aufforderung: "Komm zu uns aufs Amt, wenn du dich traust!"
Doch wie kommt diese, für eine Stadtverwaltung eher ungewöhnliche, Kampagne an? Auf Instagram lautet die Antwort: Sehr gut! Nach wenigen Tagen hatte das Video bereits mehr als 35.000 Aufrufe. Auch die zahlreichen Kommentare fallen zum Großteil positiv aus. »Eine Stadt, die mit der Zeit geht und junge Leute wirklich erreichen und ansprechen möchte!«, meinte beispielsweise ein User. Außerdem verzeichnet die Stadt Reutlingen seit dem Start der Kampagne einen vermehrten Zugriff auf ihre Karriereseite. Dementsprechend ist die Stadt mit der generierten Aufmerksamkeit sehr zufrieden.
»Was für Überstunden, Alter, es ist 16.30«
Aber was sagt eigentlich die Zielgruppe, die jungen Menschen, dazu? Der GEA hat sich auf der Wilhelmstraße umgehört. Mia (18) meint: »Mich würde das Musikvideo nicht dazu motivieren, mich zu bewerben.« Dem schließt sich ihre Freundin Aisha (20) an: »So wie ich unsere Generation einschätze, glaube ich, dass es eher als unangenehm empfunden wird.« Das sieht Louis (17) anders: »Ich finde es ist eine coole Herangehensweise und ich könnte mir vorstellen, dass es manche jungen Leute zur Bewerbung motiviert.« Luca (20) und Marie (18) sehen das Musikvideo zum ersten Mal: »Ich finde es gut gemacht, es erinnert ein bisschen an die «Reutlingen kann man nur lieben»-Kampagne«, sagt Luca. Marie platzt beim Schauen des Videos heraus: »Das ist mega lustig!« Dass sich mehr junge Menschen aufgrund des Videos bei der Stadt bewerben, glauben aber auch die beiden nicht. (GEA)


