REUTLINGEN. »Es kann doch nicht Ausdruck von Ukraine-Solidarität sein, dass wir möglichst lange dafür sorgen, dass Ukrainer sterben.« SPD-Mann Ulrich Bausch hat eine klare Meinung zur aktuellen Ukraine-Politik der Bundesregierung: Er hält sie für gescheitert. Diese Meinung teilen 17 andere prominente Genossen mit ihm, die größtenteils aus dem Land stammen. Gemeinsam mit ihnen hat Bausch für die Baden-Württemberg-Gruppe der Initiative »Mehr Diplomatie wagen« einen Aufruf veröffentlicht, in dem er einen Strategiewechsel fordert.
Neben Bausch haben unter anderem diese SPD'ler unterschrieben: Die in Dußlingen lebende ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und ihr Mann Wolfgang, die in Tübingen lebende ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid, Reinhard Glatzel, der in Metzingen unter anderem als Friedensaktivist bekannt ist, sowie Thomas Puchan, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Nehren.
»Die SPD hat noch einmal viele Stimmen verloren, auch weil sie für viele Wähler nicht mehr als Friedenspartei zu erkennen ist«
»Die SPD hat bei der Europawahl noch einmal viele Stimmen verloren, auch weil sie für viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr als Friedenspartei zu erkennen ist«, heißt es in dem Aufruf. Deshalb fordere man einen Waffenstillstand und Verhandlungen, statt weiterer militärischer Eskalation. Denn »eine Politik, die das Gegenteil ihrer Ziele erreicht, darf nicht weiterverfolgt werden«.
Bausch betont: Die Unterzeichner des Aufrufs bekennen sich klar dazu, dass »Russland der Aggressor« ist. Das unterscheide den Aufruf beispielsweise von den Positionen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). »Wir bekennen uns klar zu den Zielen der Bundesregierung, glauben aber, dass die aktuelle Strategie nicht zielführend ist«, so Bausch, der aktuell noch Geschäftsführer der VHS-Reutlingen ist. Russland sei durch die westlichen Sanktionen nicht geschwächt worden. Vielmehr sei es aktuell militärisch besser aufgestellt, als noch vor dem Krieg. »Auch die russische Gesellschaft ist voll auf Kriegskurs«, so Bausch. »Selbst ehemals moderate Kräfte sind radikalisiert.« Er befindet düster: »Da rasen zwei Züge aufeinander zu, ohne, dass wir eine Exit-Strategie definiert haben.«
»Wir bekennen uns klar zu den Zielen der Bundesregierung, glauben aber, dass die aktuelle Strategie nicht zielführend ist«
Bausch sagt: »Ja, wir sind aktuell eine Minderheit im Partei-Establishment. Aber ich kenne viele Genossen, die auch sagen: Wo soll das noch hinführen?« Der Politikwissenschaftler will mit seinen Positionen, die in der breiten deutschen Öffentlichkeit ja durchaus umstritten sind, nicht hinter dem Berg halten. Denn »es kann doch nicht sein, dass wir das Richtige nicht sagen, weil es die Falschen sagen«. Die Frage, ob Russlands Präsident Wladimir Putin überhaupt zu Verhandlungen bereit ist, wird im Aufruf nicht thematisiert. Das dreiseitige Papier, das dem GEA vorliegt, ist Ausdruck eines großen Konflikts in der SPD: Einerseits pochen vor allem die linken Kräfte auf die Tradition als Friedenspartei. Andererseits stellt sich Kanzler Olaf Scholz als Regierungschef immer wieder demonstrativ an die Seite der Ukrainer. (GEA)