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Reutlinger SPD-Kandidat Sebastian Weigle für wehrhafte Demokratie

Was der Kandidat der Sozialdemokraten im Wahlkreis Reutlingen unter »Mut für Morgen« versteht und wofür er steht.

SPD-Kandidat Sebastian Weigle (links), diskutiert mit dem DGB-Landesvorsitzenden Kai Burmeister.
SPD-Kandidat Sebastian Weigle (links), diskutiert mit dem DGB-Landesvorsitzenden Kai Burmeister. Foto: Stephan Zenke
SPD-Kandidat Sebastian Weigle (links), diskutiert mit dem DGB-Landesvorsitzenden Kai Burmeister.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN/PFULLINGEN. Wenn Politik immer so verständlich wie diese Süßigkeit wäre. Draußen auf der roten Tüte steht klipp und klar, was drinnen ist: Fruchtgummis mit Fruchtgeschmack. Bedruckt sind die Beutel mit dem Namen Sebastian Weigle, Direktkandidat der SPD im Wahlkreis Reutlingen. Was bei ihm für die Wählerschaft drin ist, erklärt der 47 Jahre alte Sozialdemokrat auch in ganz kleiner Runde.

Gerade mal 16 Bürgerinnen und Bürger haben sich im Pfullinger Bürgertreff eingefunden, um mehr zu Weigles »Mut für Morgen. Für den Wahlkreis Reutlingen« zu erfahren. Auf einem roten Stuhl sitzt vorne der Kandidat im blauen Anzug mit schwarzen Schuhen und vornehm gemusterten Hemd – da kommt der Berufsmensch als »Direktor eines internationalen Beratungsunternehmens, welches in Deutschland marktführend in der Verwaltung von Betriebsrenten ist« durch. Mitgebracht hat der Vater von drei Kindern einen prominenten Freund aus der Landeshauptstadt: Kai Burmeister, DGB-Landesvorsitzender und davor lange bei der IG Metall für »den Daimler« zuständig. Der Gewerkschafter trägt nur Jeans, dafür aber knallrote Turnschuhe. Eine modisch lockere Kombination für ein ernstes Thema. »Das Ländle in der Transformation. Arbeit sichern, Wirtschaft stärken«, steht auf dem Programm.

»Keine Politik für fünf Prozent der Reichsten«

Die SPD-Kreisvorsitzende Ronja Nothofer-Hahn stimmt die Zuhörer, keiner ist unter 30 Jahre alt, auf einen spannenden Abend ein. Es gehe um die Arbeitnehmerseite des Wandels in der Automobilindustrie. Damit kennen sich einige Rentner im Bürgertreff aus, haben sie doch »beim Bosch« oder anderen Zulieferern gearbeitet. Weigle strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, die in Jahrzehnten politischen Engagements gewachsen ist. Nur mal kurz ein Blick in seine Biographie.

1996 ist er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands eingetreten, seitdem auch Gewerkschaftsmitglied. Von 2000 bis 2005 ist er Vorsitzender des Reutlinger Stadtjugendrings. Seit 2016 Vorsitzender des AWO-Ortsvereins Reutlingen. Die Führung des SPD-Stadtverbandes hatte er von 2002 bis 2007 in seinen Händen, danach leitete er bis 2016 den SPD-Kreisverband. In den Jahren von 2004 bis 2022 diente der Familienvater den Reutlingern als Gemeinderat. Dazu kommen weitere Engagements, etwa als Mitglied des Vereins »Menschen ohne Kette«, der sich um die Weiterentwicklung der psychiatrischen Betreuung von Betroffenen in Westafrika einsetzt. Weigle ist ein durch und durch politischer Mensch, soviel ist klar. Aber auch einer, der gekonnt über das weite Feld der wirtschaftlichen Transformation führt.

Die SPD möchte das Wahlvolk mit kleinen roten Tüten voller Fruchtgummi beglücken.
Die SPD möchte das Wahlvolk mit kleinen roten Tüten voller Fruchtgummi beglücken. Foto: Stephan Zenke
Die SPD möchte das Wahlvolk mit kleinen roten Tüten voller Fruchtgummi beglücken.
Foto: Stephan Zenke

Wie sei denn das mit der von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz behaupteten »Deindustrialisierung Deutschlands«, fragt er seinen Gesprächspartner Burmeister. Der Gewerkschafter antwortet, »wir haben in Baden-Württemberg eine Menge zu verlieren«. Da habe sich »einiges an Krise entwickelt. Viele Kollegen erleben Arbeitsplatzangst«. Diese Analyse passt perfekt zum Wahlprogramm Weigles, das Weiß auf Rot gedruckt ausliegt.

Der Sozialdemokrat setzt sich für eine starke Wirtschaft ein. Sein zentrales Thema ist, sagt er, »die wirtschaftliche Transformation«. Um den Herausforderungen für die kommenden Jahre begegnen zu können, »brauchen wir einen klaren Plan für die Wirtschaft«. Die SPD werde »die Energiepreise für Unternehmen senken, in leistungsfähige und digitale Infrastruktur investieren und Zukunftstechnologien gezielt fördern«.

»Wir haben eine Menge zu verlieren«

Auf Ursachenforschung erzählt der DGB-Landesvorsitzende von seinen tiefen Einblicken hinter die Fassaden der Automobilbranche. »Viele Zulieferer haben nicht an Veränderungen geglaubt«, lautet eine seiner Analysen. »Man hat die Industrie auf hohe Renditen eingestellt, aber vergessen, in Forschung und Entwicklung zu investieren«, glaubt er. Weigle fordert »eine europäische Industriestrategie«, macht sich aber auch Sorgen um sichere Arbeitsplätze und gute Löhne.

Obschon Deutschland ein reiches Land ist, wüssten »viele Menschen nicht, ob ihr Geld bis zum Monatsende reicht. Deshalb: keine Politik für fünf Prozent der Reichsten, sondern Respekt für die Leistungsträger/innen in unserer Gesellschaft«. Wer hart arbeitet, müsse am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben. Die SPD stehe für eine »echte Entlastung von 95 Prozent der Steuerzahler/innen. Damit mehr Geld im Geldbeutel bleibt«. Das kann sich jeder bei der Wahlveranstaltung selbst ausrechnen. Als kleine Seitenhiebe auf den Kanzlerkandidaten der Christdemokraten liegen Bierdeckel aus, in Erinnerung daran, dass Friedrich Merz 2003 ein vereinfachtes Steuersystem forderte, bei dem die Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen solle. Über ein Jahrzehnt später behaupten die Pappdeckel der SPD: »Hier ist mehr für Dich drin«. Auf der Rückseite listet die Partei auf, wie sich die von ihr geplanten Entlastungen oder Leistungserhöhungen auf den Haushalt einer Familie mit zwei Kindern auswirken sollen. Pro Monat seien es 243,09 Euro mehr.

Vor der überschaubaren Runde im Pfullinger Bürgertreff beklagt Weigle mittlerweile, »wir reden uns auch schlecht« in Sachen Wirtschaft. Sein Gegenüber Burmeister befindet, »wir haben in der Vergangenheit viel Zeit verloren. Aber wir haben Ingenieure, die viel können«. Manche dieser Fachleute fallen dem Arbeitsplatzabbau in Konzernen zum Opfer, weil sie wie die gesamte Gesellschaft gealtert sind.

Sebastian Weigle fragt sich, ob solche Programme nicht zu kurz gedacht seien: Erst bewährte Kollegen entlassen, um scheinbar Kosten zu sparen, dann wieder anheuern müssen – weil es zu wenig Fachkräfte gibt. »Wenn Zigtausende Jobs beim Bosch auf der Kippe stehen, dann hätte ich das früher nicht erwartet«. Ganz klar sieht das der Landesvorsitzende des DGB »kritisch« und wünscht sich »Klugheit und Weitsicht«.

Anschließend verlässt die Diskussion automobile Herausforderungen, wendet sich der vielfach als Ärgernis empfundenen Bürokratisierung in den Geschmacksrichtungen »nicht funktionierende Verwaltung« oder »überbordende Vorschriften« zu. Burmeister spricht vielen mit seiner Kritik aus der Seele: »Wenn ich für einen Reisepass einen Tag Urlaub nehmen muss, ist das total irre«. Jetzt bringen sich einige Zuhörer ein, was Weigle sehr begrüßt – »es soll kein Vortrag, sondern eine Diskussion sein«.

Wahlkampf in kleiner Runde im Pfullinger Bürgertreff. Da kommt bei Sebastian Weigle gerne auch das Publikum zu Wort.
Wahlkampf in kleiner Runde im Pfullinger Bürgertreff. Da kommt bei Sebastian Weigle gerne auch das Publikum zu Wort. Foto: Stephan Zenke
Wahlkampf in kleiner Runde im Pfullinger Bürgertreff. Da kommt bei Sebastian Weigle gerne auch das Publikum zu Wort.
Foto: Stephan Zenke

Einer der Herren aus Reihe zwei gibt dem Kandidaten sowie dem Gewerkschafter zu bedenken, »Gesetze werden von der Politik gemacht. Es liegt nicht an den Ausführenden«.

Es bleibt noch Zeit, sich mit weiteren politischen Zielen des Direktkandidaten zu beschäftigen. Dazu gehört eine zuverlässige Infrastruktur sowohl in der Stadt als auch im ländlichen Raum. In einen Satz packt Weigle millionenschwere Wünsche, indem er Investitionen »in Straßen wie ÖPNV, unsere Schulen wie für unsere Kliniken und Notfallpraxen« fordert. Fragt sich noch, wieso ausgerechnet er, der 2022 mit dem Hinweis auf den hohen Zeitaufwand sowie berufliches Weiterkommen den Reutlinger Gemeinderat verlassen hat, jetzt für den Bundestag kandidiert.

Da wird Sebastian Weigles Blick noch direkter als ohnehin den ganzen Abend über. Der Grund für seine Kandidatur seien die Ereignisse des 6. November im vergangenen Jahr gewesen. An diesem Mittwoch wurde Donald Trump mit überraschendem Vorsprung zum US-Präsidenten wiedergewählt, während gleichzeitig die FDP in Berlin die Ampelkoalition platzen ließ. Da sei ihm ziemlich klar geworden, »es geht nicht nur um eine Bundestagswahl, sondern darum, wie wehrhaft unsere Demokratie ist«.

Den Wahlkampf erlebt er als »kurz und knackig«. Sein Fazit: »Die politischen Angebote unterscheiden sich deutlich. Die Leute haben wirklich die Wahl«. (GEA)

www.sebastian-weigle.de