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Reutlinger Schulalltag: Wie viel Handy darf's sein?

Mobiltelefone sind aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. In Schulen sollten sie freilich nur klar reglementiert und kontrolliert zum Einsatz kommen. Das baden-württembergische Kultusministerium plant darob verbildliche Nutzungsregeln. Was Lehrer und Medienpädagogen dazu sagen.

Dieses Bild kennt man von vielen Pausenhöfen. Selbst  Kinder, die kein eigenes Handy haben, können sich der Omnipräsenz der digi
Dieses Bild kennt man von vielen Pausenhöfen. Selbst Kinder, die kein eigenes Handy haben, können sich der Omnipräsenz der digitalen Medien kaum entziehen. Foto: imago/photothek
Dieses Bild kennt man von vielen Pausenhöfen. Selbst Kinder, die kein eigenes Handy haben, können sich der Omnipräsenz der digitalen Medien kaum entziehen. Foto: imago/photothek

REUTLINGEN. Während des Unterrichts klammheimlich chatten, mal g’schwind whatsAppen oder - in einem unbeobachteten Moment - die Instagram-Nachrichten checken: Mit derlei digitaler Ablenkung soll in baden-württembergischen Klassenzimmern demnächst Schluss sein. Das hat jetzt Kultusministerin Theresa Schopper in Aussicht gestellt und mit ihrem Vorstoß ganz nebenbei manch' Pädagogen düpiert.

In Reutlinger Lehrerzimmern hält sich - wie Meinungsstichproben belegen - die Begeisterung über den von Schopper angekündigten restriktiveren Umgang mit Handys spürbar in Grenzen. Wobei es weniger inhaltliche Kritik ist, die hier geäußert wird, sondern vielmehr formale.

Die Nutzung digitaler Konzentrationskiller beschränken

Zum einen ärgern sich Kollegien darüber, nicht aus erster Hand, sondern durch die Medien von den in Stuttgart geschmiedeten Plänen erfahren zu haben. Zum anderen wundert sie der späte Zeitpunkt. Verfügen zwischenzeitlich doch mutmaßlich alle Schulen im Ländle über hauseigene Reglements, die die Nutzung digitaler Konzentrations-Killer mehr oder weniger stark beschränken.

Privates Chatten, WhatsAppen und Nachrichten-Checken - in Reutlingens Klassenzimmern war das während des Unterrichts schon immer untersagt, und Regelbrüche kommen nur in seltenen Ausnahmefällen vor: weil in übersichtlichen Räumen Kontrolle vergleichsweise leicht fällt. Derweil auf weitläufigen Pausenhöfen, in verwinkelten Fluren oder in den sanitären Anlagen Gamen und Posten durchaus drin ist.

Viele Kinder haben bereits  vor ihrer Einschulung ein eigenes Smartphone.  Das schafft Probleme.
Viele Kinder haben bereits vor ihrer Einschulung ein eigenes Smartphone. Das schafft Probleme. Foto: Tobias Hase/dpa
Viele Kinder haben bereits vor ihrer Einschulung ein eigenes Smartphone. Das schafft Probleme.
Foto: Tobias Hase/dpa

Diesem Treiben könnte lediglich ein generelles Handy-Verbot Einhalt gebieten. Doch ein solches wird von Schopper mitnichten angestrebt. Vielmehr geht es dem Kultus-Ressort darum, dass in intensivem Lehrer-Eltern-Austausch verbindliche Nutzungsregeln aufgestellt und den spezifischen Bedürfnissen einer Schulgemeinschaft angepasst werden.

Am Reutlinger Albert-Einstein-Gymnasium (AEG) war und ist genau dies der Fall. Hier haben sich Pädagogen, Eltern und sogar mit Schüler zusammengesetzt und eine verbindliche Vereinbarung getroffen: eine Beschränkung, jedoch kein grundsätzliches Verbot. Denn Letzteres, so die Mehrheitsmeinung, wäre weniger zielführend. Verleiten Verbote doch eher zu Übertretungen als zeitlich limitierte Nutzungszugeständnisse. Mal ganz davon abgesehen, dass Handy-Verbote ausschließlich auf schulischem Terrain greifen. Wer das Gelände beispielsweise in der Pause verlässt, kann sein Mobiltelefon natürlich trotzdem zücken und damit zocken oder anderes tun.

»Insel-Verbote« scheinen ein bissle weltfremd

Vor diesem Hintergrund scheinen General-Verbote tatsächlich ein bissle weltfremd. Und das umso mehr als, wie Lehrer Christoph Rabe sagt, »elektronische Endgeräte aus dem Alltag doch gar nicht mehr wegzudenken sind« - selbst wenn sie mitunter missbräuchlich oder gesetzeswidrig eingesetzt werden. Was am AEG indes absoluten Seltenheitswert habe. Rabe sowie seine beiden Kolleginnen Anne Fehling und Maria Hofgärtner können sich diesbezüglich an keinen einzigen kriminellen Verstoß entsinnen. Wenn überhaupt, dann muss ein solcher in ferneren Vergangenheiten stattgefunden haben. »Uns ist da nichts bekannt.«

Die drei Pädagogen haben am AEG federführend die Einführung einer neuen Nutzungsordnung vorangetrieben. Diese schreibt den allgemeinen digitalen Umgang im täglichen Miteinander fest, zitiert rechtsverbindliche Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch und listet außerdem schulspezifische Besonderheiten.

Intensive Diskussionen in der Schul- und Gesamtlehrerkonferenz

Was Letztere betrifft, können sie als das Herzstück der Vereinbarung bezeichnet werden: weil sie alltagspraktisch sind. So dürfen elektronische Endgeräte prinzipiell von jedermann ins AEG mitgebracht werden, müssen aber - Ausnahmen gibt es für die Oberstufe - innerhalb der Unterrichtszeiten stumm geschaltet sein. Lediglich während der großen Pausen und der individuellen Mittagspausen ist eine auf Mensa und Schulhof beschränkte Handy-Nutzung gestattet. Und: Das Erstellen und Verbreiten von Bildern, Videos und Audio-Dateien kategorisch strikt verboten.

Ein Regelwerk, dem viele Diskussionen sowohl in der Schul- als auch in der Gesamtlehrerkonferenz vorausgegangen sind. »Insbesondere die Schüler«, so Christoph Rabe, »hätten sich mehr Freiheiten gewünscht«, wurden aber von den beteiligten Erwachsenen überstimmt - und halten sich trotz dieser »Unterlegenheit« weitgehend an die Hausregeln.

Diese werden von den drei AEG-Lehrern als »Kompromiss-Lösung« bezeichnet, die sich indes zwischenzeitlich bewährt hat. Allerdings: Jenseits des Schutzraums Schule geschehen mitunter dennoch Dinge, die nicht tolerabel sind. Von beleidigenden Einzel-Posts bis hin zu Cybermobbing ist auch in der Schülerschaft des Albert-Einstein-Gymnasiums zuweilen Unerfreuliches geboten. Wobei dieses Unerfreuliche fast immer in der Freizeit geschieht - etwa per WhatsApp.

Ans Licht kommen digitale Verunglimpfungen und Schmähkampagnen - »wir gehen von einer größeren Dunkelziffer aus« - nur dann, wenn Opfer den Mut dazu aufbringen, sich gegenüber Lehrern oder der Schulsozialarbeit zu outen. Manchmal sind es freilich auch besorgte Mütter und Väter, die von digitalen Entgleisungen berichten.

Kein Handy in der Schule -  manche halten das was richtig und gut, andere Zweifeln begründet den Nutzen eines solchen Verbots an
Kein Handy in der Schule - manche halten das was richtig und gut, andere Zweifeln begründet den Nutzen eines solchen Verbots an. Foto: Sebastian Widmann/dpa
Kein Handy in der Schule - manche halten das was richtig und gut, andere Zweifeln begründet den Nutzen eines solchen Verbots an.
Foto: Sebastian Widmann/dpa

Jedoch: Diesen außerschulischen Umtrieben ist seitens der Bildungseinrichtungen nicht beizukommen. Hier sind definitiv die Erziehungsberechtigten gefragt. Weswegen Maria Hofgärtner Handy-Verbote an Schulen für eine viel zu stumpfe Präventions-Waffe im Kampf gegen Digital-Delikte hält. »Das würde nichts bringen.« Derweil ihre Kollegin Anne Fehling ein Verbot für Schüler bis Klassenstufe 9 durchaus begrüßen würde. Umso mehr, als es aktuell diese Gruppe ist, die am AEG durch intensives Gamen auffällt: In nahezu jeder Pause belagern Schülertrauben aus Unter- und Mittelstufe die Mensa und begeben sich per Smartphone in die »Battle Arena« des derzeit angesagten Spiels »Brawl Stars«. Das, betont Christoph Rabe, »ist ein noch recht neues Phänomen. Vor zwei Jahren waren es maximal zwei Handvoll Schüler, die in den 20-Minuten-Pausen überm Handy hockten. Jetzt sind es bis zu 100, die jedes zeitliche Schlupfloch ausnutzen, um zu daddeln.«

Elternhäuser sind in der Pflicht

Doch auch beim Spiel-Verhalten sehen Rabe und seine beiden Kolleginnen in erster Linie die Elternhäuser in der Pflicht. Vielleicht sollte hier der Dialog Schule mit Mama oder Papa intensiviert werden? Für Martin Krohmer, Leiter des Reutlinger Kreismedienzentrums, wäre das der richtige Ansatz. Er nämlich hält den Austausch zwischen Pädagogen und Eltern für »essentiell - weil sich das digitale Leben, weil sich Social Media eben doch hauptsächlich im Privaten abspielt. Eltern haben hier Vorbildfunktion.«

Wünschenswerterweise sollten Erziehungsberechtigte möglichst präzise wissen, was der Nachwuchs auf mobilen Endgeräten treibt und sollten mit ihm besprechen, was sinnvoll ist, um sodann verbindliche Regeln festzulegen. Allerdings hängen Eltern dem technischen Fortschritt vielfach hinterher und können mithin kaum einschätzen, was Töchter und Söhne tun. Weswegen es Krohmer ausdrücklich begrüßt, dass mit der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) verstärkt Medienbildung in die Lehrpläne einfließen wird. Damit Kinder zu mündigen Usern heranwachsen, die nicht unreflektiert konsumieren, sondern digitale Inhalte auf Plausibilität prüfen und Fake News künftig besser als solche entlarven können.

Dabei gilt für Martin Krohmer: Je eher die Kompetenzförderung beginnt, desto besser. Denn schon heute häufen sich im Kreismedienzentrum Anfragen von Kindergärten, die nahelegen, dass Medienpädagogik bereits in die frühkindliche Erziehung einfließen sollte. (GEA)