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Reutlinger Rohrkrepierer: Sieben Projekte ohne Zukunft?

Erst geplant, dann geplatzt: In Reutlingen schwirren immer mal wieder Eintagsfliegen umher, denen man eigentlich eine längere Lebensdauer gewünscht und zugesprochen hätte - von der »Straßen-Uni« bis zum »Death Café«.

Nach, manchmal auch vor der Premiere verabschiedet: Etliche Reutlinger Projekte haben aus unterschiedlichsten Gründen ein jähes
Nach, manchmal auch vor der Premiere verabschiedet: Etliche Reutlinger Projekte haben aus unterschiedlichsten Gründen ein jähes Aus gefunden. Foto: GEA
Nach, manchmal auch vor der Premiere verabschiedet: Etliche Reutlinger Projekte haben aus unterschiedlichsten Gründen ein jähes Aus gefunden.
Foto: GEA

REUTLINGEN. Innovationen haben zuweilen eine sehr geringe Halbwertszeit. Auch in Reutlingen gibt es Projekte, deren Beständigkeit an die Lebensdauer von Eintagsfliegen erinnert. Und zwar aus unterschiedlichsten Gründen. Mal floppen Vorhaben, weil sie mit der Weitsicht eines Maulwurfs geplant wurden und ein andermal, weil sie finanziell letztlich doch nicht zu stemmen sind. Corona-Opfer gibt es und Veranstaltungsformate, die zwar den Publikumsgeschmack treffen, aber trotzdem keine Fortsetzung finden. Im Folgenden eine kleine Auswahl geplatzter Projekte.

Mutmaßliche Eintagsfliege: Die »Straßen-Uni« im Ringelbachgebiet

Zum Auftakt kamen ungefähr vierzig Zuhörer, die dem Reutlinger ZEIT-Journalisten Wolfgang Bauer in strömendem Regen und auf Bierbänken sitzend lauschten. Das war im Oktober 2023 zur Premiere der Reutlinger »Straßen-Uni« im Ringelbachgebiet, in deren Rahmen die Projektverantwortlichen davon sprachen, »mit den ersten Veranstaltungen vor allem Erfahrungen sammeln zu wollen«.

Knapp 40 Interessierte waren im Oktober 2023 zur ersten und bis dato letzten Veranstaltung der Reutlinger »Straßen-Uni« gekommen
Knapp 40 Interessierte waren im Oktober 2023 zur ersten und bis dato letzten Veranstaltung der Reutlinger »Straßen-Uni« gekommen. Foto: Norbert Leister
Knapp 40 Interessierte waren im Oktober 2023 zur ersten und bis dato letzten Veranstaltung der Reutlinger »Straßen-Uni« gekommen.
Foto: Norbert Leister

Dass ihre Erkenntnis-Kollekte bis heute maximal mager ausgefallen ist – es liegt schlichtweg daran, dass es keine Fortsetzungstermine gab. Sollte die Reutlinger »Straßen-Uni« also eine Eintagsfliege gewesen sein? Vieles deutet darauf hin: vor allem der zeitliche Abstand zur Premiere, die inzwischen stolze neun Monate zurückliegt. Doch, wer weiß? Vielleicht haben die Macher ja insgeheim vor, im Zehn-, Fünfzehn- oder gar Zwanzig-Jahres-Rhythmus volksbildend auf die Gass’ zu gehen ...

Nachhaltig ausgebremst: Reutlingens Quartiersbusse rollten nur kurz

»Vorübergehend außer Betrieb«: Das ist glatt gelogen. Wiewohl das Wörtchen vorübergehend ein durchaus dehnbares ist. Denn womöglich wird die seit Corona außer Betrieb gesetzte Haltestelle am Saum der Charlottenstraße irgendwann ja doch reaktiviert.

So eine vorübergehende Außerbetriebnahme  kann sich ganz gewaltig in die Länge ziehen.
So eine vorübergehende Außerbetriebnahme kann sich ganz gewaltig in die Länge ziehen. Foto: Jürgen Meyer
So eine vorübergehende Außerbetriebnahme kann sich ganz gewaltig in die Länge ziehen.
Foto: Jürgen Meyer

Angesteuert werden sollte sie im Rahmen der Reutlinger ÖPNV-Offensive »Alles wird busser« von sogenannten Quartiersbussen, die Achalmgebiet und Innenstadt miteinander vernetzen. Und tatsächlich rollten die kompakten RSV-Hüpfer der eigens eingerichteten Linie 82 im Herbst 2019 durch den Reutlinger Osten (andere im Übrigen auch durch den Reutlinger Nordraum). Und zwar so lange, bis ihr Betrieb Anfang 2020 Corona-bedingt eingestellt wurde: weil das Platzangebot in den Sprintern zu gering war, um Sicherheitsabstände einhalten zu können.

Was dann kam, ist bekannt: Erdrutschartiger Wegbruch der Fahrgäste, Lockdowns, massive finanzielle Schwierigkeiten, nachhaltiger Stillstand. Nur noch der Schriftzug »Vorübergehend außer Betrieb« erinnert an eine der kürzesten Episoden in der Geschichte des Reutlinger ÖPNV.

In aller Stille beerdigt: Das Reutlinger Death Café scheint mausetot

Grabesstill ist es um das am 3. Mai 2019 ins Leben gerufene Reutlinger Death Café geworden. Bei Keksen, Knabberzeug und Getränken – so die Idee – sollten sich Menschen (Ü18), denen danach ist, in gemütlicher Atmosphäre über Sterben, Tod und Trauer austauschen. Wobei das Death Café keine Selbsthilfe- oder Trauerbewältigungsgruppe sein sollte, sondern ein, wie es damals hieß, »Beitrag zu einem gelingenden Leben«. Zumal die Beschäftigung mit dem Ende alles Seins Dankbarkeit und bewusste Freude im Jetzt und Hier befördern könne.

So ruhig wie auf dem Friedhof ist es um Reutlingens Death Café geworden.
So ruhig wie auf dem Friedhof ist es um Reutlingens Death Café geworden. Foto: GEA-Archiv
So ruhig wie auf dem Friedhof ist es um Reutlingens Death Café geworden.
Foto: GEA-Archiv

Aus der Tabuzone herausholen wollte und will die weltweite Death-Café-Community das Thema Tod, »Leichtigkeit schaffen, um sehr tiefliegende Dinge mitzuteilen«, wie der Urvater der Bewegung, Bernhard Grettaz, im März 2004 sagte. Mit seinem »Café mortel« traf der Schweizer Soziologe und Ethnologe damals einen Nerv. Denn alsbald etablierten sich Death Cafés in Frankreich, Belgien, Kanada und Großbritannien. Und in Reutlingen? Hier wollte die Idee offenbar nicht wirklich verfangen. Sei’s, dass das Memento-Mori-Café der Corona-Pandemie und ihren Kontaktbeschränkungen zum Opfer gefallen ist, sei’s dass sich an der Echaz das Bedürfnis nach Plaudereien rund ums Ableben in engen Grenzen hält.

Der Verdacht drängt sich auf, dass Reutlingens enttabuisierende Plauderstündchen eine Totgeburt waren, die in aller Stille beerdigt wurde. Die bei Café-Eröffnung 2019 publizierte Kontakttelefonnummer läuft fünf Jahre später jedenfalls ins Leere.

»Schwätzle auf dem Bänkle«: Der Premiere folgte bis heute nichts

Nach Ankündigungen und Verschiebungen war es Mitte August 2023 endlich so weit: Oberbürgermeister Thomas Keck lud zum »Schwätzle auf dem Bänkle« ein und eine Handvoll Reutlinger folgte dem ebenso niederschwelligen wie ungewöhnlichen Gesprächsangebot. Das war’s dann aber auch schon. Denn nach der Premiere dieses bürgernahen »Talk Together« folgte nichts mehr. Überhaupt nichts. Kein Piep.

»Schwätzle auf dem Bänkle«: Mit diesem  Gesprächsangebot unter freiem Himmel ging  OB Thomas Keck (links) im Sommer 2023 an den
»Schwätzle auf dem Bänkle«: Mit diesem Gesprächsangebot unter freiem Himmel ging OB Thomas Keck (links) im Sommer 2023 an den Start. Es erwies sich als Eintagsfliege. Archiv-Foto: Schanz Foto: Steffen Schanz
»Schwätzle auf dem Bänkle«: Mit diesem Gesprächsangebot unter freiem Himmel ging OB Thomas Keck (links) im Sommer 2023 an den Start. Es erwies sich als Eintagsfliege. Archiv-Foto: Schanz
Foto: Steffen Schanz

Dabei war der Auftakt im lauschigen Ambiente des Heimatmuseumsgartens durchaus ermutigend gewesen. Um urbane Grünflächen, das projektierte Stadthallen-Hotel und die Kicker des SSV hatten sich die Dialoge gedreht, ums sogenannte Glashaus, um Parkraum-Bewirtschaftung und die Zukunft des nurmehr schwach frequentierten ZOB. Alles in allem ein bunter Themenstrauß, den Reutlingens Stadtoberhaupt auf dem Schwätz-Bänkle pflücken und ins Rathaus tragen durfte – ehe das Bukett aus Anregungen, Wünschen und Kritik gemeinsam mit dem etwas anderen Sprechstunden-Format verwelkte. Warum auch immer.

Zu bürokratisch inspiriert: Reichenecks Nachbarschaftshilfe floppte

Es sollte Modellcharakter für andere Reutlinger Teilorte haben: das Reichenecker Pilotprojekt »Koordinierte Nachbarschaftshilfe«. 2018 vom Bezirksgemeinderat erstmals öffentlich diskutiert, später im Zuge zweier Bürger-Infos nebst externer Moderation vorangetrieben und dank 40.000 Euro Fördergeld aufs Gleis gesetzt, hatte das Vorhaben eigentlich manierliche Startbedingungen.

Koordinierte Nachbarschaftshilfe: Was sich die Reichenecker von ihr versprechen und erhoffen, hatten sie bei einem ersten Projek
Koordinierte Nachbarschaftshilfe: Was sich die Reichenecker von ihr versprechen und erhoffen, hatten sie bei einem ersten Projekttreffen auf Zetteln notiert. Foto: Wolfgang Geisel
Koordinierte Nachbarschaftshilfe: Was sich die Reichenecker von ihr versprechen und erhoffen, hatten sie bei einem ersten Projekttreffen auf Zetteln notiert.
Foto: Wolfgang Geisel

Die Idee dahinter: Mittels ehrenamtlicher Handreichungen Menschen in Notsituationen kostenfreie Überbrückungshilfe gewähren. Ob Armbruch, Versorgungsengpass in der Kinderbetreuung oder Chauffeurdienst: über eine Vermittlungsstelle sollten Hilfesuchende und -anbietende zusammengeführt werden. Jedoch: Irgendwie gab’s in Reicheneck nichts zusammenzuführen – weil sich hier Nachbarn meist sowieso gegenseitig unterstützen. Außerdem, heißt es hinter vorgehaltener Hand, sei den Reicheneckern die koordinierte Hilfe irgendwie zu koordiniert – sprich: bürokratisch inspiriert – gewesen.

Kaufhof-Zwischennutzung: Es bleibt trotz guter Ideen beim Leerstand

Es hätte alles so schön werden können: Nach Schließung des Kaufhofs am 15. Januar dieses Jahres war die städtische Wirtschaftsförderung entschlossen, durch Zwischennutzungen einem dauerhaften Leerstand entgegenzuwirken. Kultur, Vereine und Gastronomie, so der Gedanke, sollten Leben in die Immobilie bringen – dank frühzeitig beantragter und bereits kurz vor Weihnachten 2023 bewilligter 750.000 Förder-Euros aus dem Bundesprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« (ZIZ).

Reutlingens größter Ladenleerstand: Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das prägnante Kaufhof-Gebäude wieder mit Leben
Reutlingens größter Ladenleerstand: Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das prägnante Kaufhof-Gebäude wieder mit Leben zu füllen. Geklappt hat's nicht. Foto: Frank Pieth
Reutlingens größter Ladenleerstand: Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das prägnante Kaufhof-Gebäude wieder mit Leben zu füllen. Geklappt hat's nicht.
Foto: Frank Pieth

Doch obschon im Februar und März Workshops mit Vertretern aus den Bereichen Gastro, Sport, Kunst und Kultur abgehalten und zahlreiche Ideen – darunter eine Beach-Bar auf dem Kaufhof-Dach – gesammelt wurden: alle Anstrengungen waren letztlich vergebens. Zur Unterschriftenreife gelangte der Mietvertrag nicht. Auch scheiterte die Interimsnutzung am Brandschutzkonzept. Immerhin: die ZIZ-Fördermittel dürfen großteils umgewidmet werden und wurden vom Bund nicht wieder einkassiert. Wichtig außerdem: Die Stadt trifft keinerlei Schuld. Sie hat nichts unversucht gelassen, dem Kaufhofgebäude eine Daseinsberechtigung zu geben.

Notbremse gezogen: Stadionkonzerte kurzfristig abgesagt

Endlich wieder Kultur im Kreuzeiche-Stadion? Pustekuchen! Eine Woche vor dem Start einer musikalischen Tribute-Veranstaltungsserie – sie hätte vom 4. bis 7. Juli dieses Jahres über die Bühne gehen sollen – zieht deren Organisator Heinz Bertsch die Notbremse und sagt sämtliche Auftritte, darunter eine Udo-Jürgens-Show und ein Simon&Garfunkel-Revival, ab.

Wegen schleppender Ticket-Verkäufe musste Veranstalter Heinz Bertsch die Reißleine ziehen und kurzfristik eine Konzertreihe absa
Wegen schleppender Ticket-Verkäufe musste Veranstalter Heinz Bertsch die Reißleine ziehen und kurzfristik eine Konzertreihe absagen. Foto: Armin Knauer
Wegen schleppender Ticket-Verkäufe musste Veranstalter Heinz Bertsch die Reißleine ziehen und kurzfristik eine Konzertreihe absagen.
Foto: Armin Knauer

Warum? Weil die Ticketverkäufe äußert schleppend liefen und Abschlagszahlungen nicht beglichen werden konnten. Was der Fußball-EM geschuldet sein dürfte. Denn die Public-Viewing-Konkurrenz war für jedwedes kulturelle Event erdrückend. Wobei die Euro 2024 mitnichten vom Himmel fiel und es außerdem nicht das erste Mal ist, dass der ehemalige Betreiber der Reutlinger Kult-Disco »Black Mustang« mit einem Projekt baden geht: 2004 war’s das »Echaz-Festival«, das für ihn zum wirtschaftlichen Waterloo geriet, den Fiskus auf den Plan rief und von Abendkassenpfändungen begleitet wurde. (GEA)