REUTLINGEN. Was mit Kinderpornografie zusammenhängt, gehört zu den ekelhaftesten und erschreckendsten Verbrechen, die der Gesetzgeber weltweit verfolgt. Denn es geht um sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Deswegen sollten Darstellungen, die einem wo auch immer begegnen, konsequent an die Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden. Was jedoch immer wieder passiert ist, dass in bester Absicht angefertigte oder weitergeleitete Beweise zu Gerichtsverfahren führen. So wie jüngst vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Reutlingen. Jeder Fall ist anders und speziell, aber dieses Verfahren ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich.
Auf der Anklagebank sitzt eine junge Frau, der Besitz »kinderpornografischer Inhalte« vorgeworfen wird. Laut Anklageschrift geht es konkret um eine Videoaufnahme sowie um »jugendpornografische Fotos«. Die 23-Jährige ergreift sofort und umfassend die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
»Die habe ich abgefilmt, um ihn zur Rede zu stellen«
»Die Bilder waren auf dem Smartphone meines Lebensgefährten. Die habe ich abgefilmt und fotografiert, um ihn zur Rede zu stellen«, betont die Angeklagte. Danach habe sie das Gerät aus dem Blick verloren. Wie beanstandetes Bildmaterial auf ihren alten Laptop gekommen ist, erscheint ihr rätselhaft. Der Computer sei doch seit langer Zeit defekt. Auf jeden Fall vermittelt die Frau keinesfalls den Eindruck, Kinderpornos zu konsumieren oder produzieren. »Sie haben also nicht die Originaldateien, sondern abgefilmte«, fragt Richter Eberhard Hausch nach. Jawohl, genau so sei es, meint die Angeklagte. Weiteres Licht ins Dunkel des Tatvorwurfes bringt eine Polizistin im Zeugenstand.
Auf Smartphone und Laptop der Angeklagten sei man über ein Ermittlungsverfahren gegen den Lebensgefährten wegen sexuellen Missbrauchs gestoßen. Bei der kriminaltechnischen Untersuchung wurden dann ein Video und wenige Bilder gefunden. Das Schöffengericht betrachtet die unappetitlichen Aufnahmen zwangsweise nochmals gemeinsam mit der Verteidigung, um die wesentliche Frage nach dem Alter der zu sehenden Menschen und dem Grad der »sexualisierten« Abbildungen zu klären - schwierig. Es scheint logisch, dass zumindest einige Fotos Personen im Alter über 14 zeigen, womit das dann maximal Jugendpornografie wäre, bei der erheblich geringere Strafandrohungen gelten.
Kinderpornografie: Melden, statt weiterleiten!
Die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern über Chats, Messenger und soziale Netzwerke steigt, stellt die Polizei fest. Auch Kinder und Jugendliche werden oft unwissentlich zu Tätern: Laut bundesweiter Polizeilicher Kriminalstatistik war in Deutschland im Jahr 2023 etwa 41,1 Prozent der erfassten Tatverdächtigen bei der Verbreitung von Kinderpornografie über das Tatmittel Internet jünger als 18 Jahre (2023: 2.952 Kinder und 4.406 Jugendliche).
Tatsache ist: Wer entsprechende Darstellungen weiterleitet, macht sich strafbar. Denn jedes geteilte Bild oder Video dokumentiert einen realen sexuellen Kindesmissbrauch. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche, die sich leichtfertig an einer Verbreitung beteiligen. Oft ist ihnen nicht bewusst, dass hinter einem im Chat verbreiteten Video ein realer sexueller Kindesmissbrauch stehen kann. Das Ziel der Polizei-Kampagne: Die Verbreitung von Kinderpornografie in digitalen Medien zu stoppen.
Verhaltenshinweise:
Wie verhalte ich mich, wenn ich unaufgefordert Nacktfotos von Kindern und Jugendlichen zugeschickt bekomme (zum Beispiel in Chatgruppen) und/oder als Lehrkraft oder Elternteil Kenntnis davon erhalte?
Der Inhalt darf auf keinen Fall heruntergeladen oder weitergeleitet werden, um sich nicht selbst strafbar zu machen. Auch das Anfertigen von Screenshots ist zu unterlassen.
Dem unaufgefordert übermittelten Inhalt sollte ausdrücklich widersprochen und auf die Strafbarkeit der Handlung hingewiesen werden.
Den Vorfall umgehend bei der örtlich zuständigen Polizei zur Anzeige bringen und dort erfragen, wie genau man die Beweise sichern soll bzw. was im weiteren Umgang zu beachten ist.
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Nach einer kompakten Verhandlung endet der Prozess für die angeklagte Frau glimpflich. Gegen Zahlung einer Geldauflage von 250 Euro an den Verein Wirbelwind wird das Verfahren vorläufig eingestellt. »Wenn man überlegt, wieso die Angeklagte das gemacht hat«, begründet Hausch diese Entscheidung des Schöffengerichts. Wesentlich ist daneben die geringe Zahl der Dateien. Nach dem Verfahren erklärt der Amtsrichter, warum dieser Prozess juristisch überhaupt so ausgehen konnte. Denn bis zum 28. Juni diesen Jahres wäre die Angeklagte keinesfalls ohne Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr davongekommen.
"Jugend- und Kinderpornografie waren schon immer strafbar, aber vom Strafmaß her verschiedene Hausnummern", beginnt Hausch seine Erklärung. Um die "ungestörte sexuelle Entwicklung" kleiner Menschen zu schützen, werde zwischen Kindern bis 14 Jahren sowie Jugendlichen ab 14 Jahren unterschieden. Maßgeblich für Urteile in Sachen Kinderpornografie ist der Paragraf 184b des Strafgesetzbuches zu "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte". Bis Ende Juni galt hier "mindestens ein Jahr" Freiheitsstrafe, wobei ein einziges Bild reichte. Das bedeutet für einen Juristen, es handelt sich um ein Verbrechen. Mit der Folge, dass es zwangsweise vor dem Schöffengericht landet, und Angeklagte einen Anwalt als Verteidiger benötigen". Die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Rechtsfolgen waren gravierend, "ohne Rücksicht darauf, warum jemand etwa das Bild besessen hat".
»Unter gar keinen Umständen schickt man so etwas irgendwo hin«
»Das führte beispielsweise dazu, dass irgendeine Lehrerin, die bei einem ihrer Schüler so ein kinderpornografisches Bild gesehen hat, und es sicherte um einzuschreiten, vor dem Schöffengericht landete. Die Mindeststrafe von einem Jahr bedeutete dann den Verlust des Beamtenstatus«, führt Hausch aus. In große Probleme seien auch getrennt lebende Eltern gekommen: »Sie findet so ein Foto beim Nachwuchs - und schickt es ihrem Mann, um es mit ihm zu besprechen. Dann hat sie ein Verfahren wegen Verbreitung und er eines wegen Besitzes am Hals«, und beide mussten mit der Mindeststrafe belegt werden. »Die Praxis hat laut aufgeschrien: So geht's aber nicht«, sagt Hausch. Was jetzt gilt, dient der Fallgerechtigkeit.
In seiner Neufassung schreibt der Paragraf 184b eine »Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren« für Verbreitung, Erwerb oder Besitz von kinderpornografischen Material vor. Durch die abgesenkte Mindeststrafe können kleinere Vorwürfe als bloßes Vergehen nun eingestellt werden, »was mir die Möglichkeit gibt, schuld- und tatangemessen zu reagieren« und was bei Verbrechen kraft Gesetzes unmöglich ist. Doch Vorsicht, warnen Polizei und Juristen, denn am Grundsatz der Strafbarkeit hat sich auch für wohlmeinende Amateurermittler nichts geändert. »Sie machen selbst kein Foto davon«, rät Hausch allen, denen Spuren von Kinderpornografie begegnen, »und unter gar keinen Umständen schickt man so etwas irgendwo hin«. (GEA)

