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Reutlinger Reichsbürger-Prozess: Wer ist Markus L.?

Der im Reichsbürger-Prozess angeklagte Reutlinger Sportschütze schweigt: Er verweigert sowohl Angaben zu seiner Person als auch zum Tatablauf. Das Oberlandesgericht hat erneut Zeugen gehört, um sich dem Menschen Markus L. und seinen Motiven anzunähern.

Ein Bild vom Prozess gegen die mutmaßliche Reichsbürgergruppe in Stuttgart.
Ein Bild vom Prozess gegen die mutmaßliche Reichsbürgergruppe in Stuttgart. Foto: Weißbrod/dpa/dpa
Ein Bild vom Prozess gegen die mutmaßliche Reichsbürgergruppe in Stuttgart.
Foto: Weißbrod/dpa/dpa

REUTLINGEN. Seit 29. April wird im Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim gegen den militärischen Arm der Reuß-Gruppe verhandelt. Im Mittelpunkt der Sitzungen stand dabei bisher die Schießerei im Reutlinger Ringelbach am 22. März 2023, bei der der Sportschütze Markus L. einen SEK-Beamten schwer und einen leicht verletzt hat. Eigentlich wollten die Beamten an diesem Morgen die Wohnung nur durchsuchen und den Reutlinger als Zeuge vernehmen, eine Festnahme war nicht geplant. Doch Markus L. hatte sich auf den Zugriff vorbereitet, versteckt hinter einem Sessel wartete er mit einer Waffe im Anschlag auf den Angriff. Es fallen etliche Schüsse, irgendwann ergibt sich Markus L..

Vor Gericht verweigert der Angeklagte aus Reutlingen jegliche Aussage: Weder zur Person noch zu den Tatvorwürfen will er Angaben machen. Das sei sein gutes Recht, erklärt der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen, jedem der geladenen Zeugen. Daher versuche das Gericht, sich über die Aussagen von Freunden und Bekannten ein Bild von dem Angeklagten und seinem Lebensumfeld zu machen.

Vorliebe für Waffen und große Autos

Das Bild, das dabei durch zahlreiche Zeugen und deren Erfahrungen mit dem Angeklagten entstanden ist, ist jedoch nach wie vor eher diffus – zumindest, was die Anklage des versuchten Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung betrifft. Einig waren sich fast alle Zeugen, dass Markus L. ein ruhiger, besonnener, unauffälliger Typ ist. Auch der Vereins- und Arbeitskollege, der am Montag als erster in den Zeugenstand trat, beschrieb den Angeklagten so. 2018 hatten sich die beiden kennengelernt – über das Hobby des Sportschießens, kurz darauf stellten sie fest, dass sie in derselben Firma arbeiten. »Es ist eine Freundschaft entstanden, wir haben uns auch privat getroffen«, berichtet der Zeuge, der Vorstand im Neckartenzlinger Schützenverein ist. »Markus war immer da, wenn man ihn gebraucht hat«, betonte er, er sei »korrekt, zuverlässig, hilfsbereit, ruhig und zurückhaltend«. Neben den Waffen liebe er auch große, amerikanische Autos.

Unzufriedenheit habe er im Zusammenhang mit der Corona-Politik immer wieder gezeigt. »Er hat sich eingeschränkt gefühlt, die Maßnahmen gingen ihm zu weit.« Auch über die Testpflicht für Ungeimpfte bei der Arbeit habe er geklagt. Politisch schätze er den Angeklagten als rechts, aber nicht rechtsextrem ein. »Über die Grünen hat er sich viel aufgeregt«, was aber hauptsächlich mit deren Ansichten zu Waffen und Autos zu tun habe. Von einer Strafanzeige, weil Markus L. bei einer Demo ein Barrett getragen habe, habe er gehört, berichtete er auf Nachfrage des Richters. Aber ausführlicher darüber gesprochen haben sie nicht. »Ich weiß nur, dass er vor allem Sorge um seine Waffenbesitzkarte hatte.« Ein anderer Vorfall, bei dem der Angeklagte bei einer Diskussion im Gesicht rot vor Wut geworden war, hingegen sei ihm nicht bekannt. Als er von der Schießerei im Ringelbach gehört habe, habe er sie zunächst nicht mit seinem Freund in Verbindung bringen können. »Ich konnte mir das nicht vorstellen, er war immer ein Ruhepol.«

Deutschland wird von den USA gesteuert

Noch zwei weitere Arbeitskollegen sagten an diesem Verhandlungstag aus. Einer davon ein Vietnamese, mit dem L. bereits 1993 seine Ausbildung begonnen hatte, und der ihn ebenfalls als ruhig und nett beschrieb. Zudem konnte er seine Vorliebe für »Waffen und Autos mit vielen PS« bestätigen. Der zweite Kollege, ein Inder, lobte ihn ebenfalls: »Er ist einer der besten Typen, die ich in Deutschland kennengelernt habe.« Sie trafen sich ab und zu privat und führten manchmal Gespräche über Politik. Dabei äußerte L. nicht nur Vorbehalte wegen Corona, sondern beklagte auch die Abhängigkeit Deutschlands von den USA: »Deutschland wird von Amerika gesteuert und wirtschaftlich kaputt gemacht«, zitierte ihn der Zeuge. Zudem würde Deutschland zu viel Geld ins Ausland schicken, und besonders die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine prangerte er an. »Er hat aber nichts gegen Ausländer«, betonte der Arbeitskollege.

Und der Angeklagte selbst? Wie auch in den Verhandlungstagen zuvor sitzt Markus L. gelassen auf seinem Stuhl, vor Verhandlungsbeginn plaudert er freundlich mit dem Beamten, der ihn hereinführt, winkt zur Begrüßung und zum Abschied den Zeugen, also seinen Kollegen und Freunden, zu. Gelassen, ruhig, besonnen: Diesen Eindruck macht er durchaus. Wie es innerlich in ihm aussieht, was ihn umtrieb und umtreibt – es bleibt auch an diesem Verhandlungstag vieles rätselhaft. Über ganz persönliche Dinge, wie seine gescheiterte Ehe, sprach L. übrigens mit keinem seiner Freunde – und auch eingeladen hatte er keinen der Zeugen jemals zu sich nach Hause.

Das meiste zu den Vorkommnissen in Reutlingen mit dem Schusswechsel wurde nun vor Gericht gehört, der Großteil der Zeugen vernommen. Ab Mittwoch stehen die nächsten Angeklagten im Mittelpunkt. Einer davon, W., ließ von seiner Anwältin bereits eine persönliche Erklärung verlesen. Darin schilderte er seinen Lebenslauf: Beginnend mit der Kindheit in Balingen, einem Großvater, der als Vaterersatz diente, bis zu der Zeit, als er seine Frau kennenlernte und eine Familie gründete. Er schreibt von einer abwechslungsreichen beruflichen Karriere und spannenden Hobbys: So war er nicht nur als »König von Horb« aktiv, sondern trat auch als oberschwäbischer Landsknecht auf und war in einem römischen Verein aktiv. Eine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung? Die wird auf den elf Seiten der Erklärung mit keinem Wort erwähnt. Das Verfahren, so viel ist klar, wird noch lange andauern. (GEA)