REUTLINGEN. Keine Frage: Wer durch Ohmenhausen oder Unterhausen fährt, der stellt sich angesichts der Tempo-30-Regelung irgendwann die Sinnfrage. Wenn man ständig abbremsen muss, um das Tempolimit einzuhalten oder der Motor im zweiten Gang ob des Lärmschutzes fröhlich brummt. Dient das wirklich Umwelt und Gesundheit? Zurecht verweist Georg Leitenberger auf die Rettungsdienste, die mit Sorge auf weitere Tempolimits schauen. Nicht nur machen diese es den Rettern auf Einsatzfahrten schwer, auch kommen ehrenamtliche Helfer von DRK und DLRG, den Maltesern oder der Freiwilligen Feuerwehr im Alarmfall nur zeitverzögert auf ihren Wachen an. Auch dass der Stadtverwaltung im Rahmen der Lärmschutzplanung keine andere Maßnahme einfällt, als die Geschwindigkeit immer weiter zu reduzieren, kann durchaus kritisiert werden.
Die Debatte im Gemeinderat warf zwei Fragen auf: Kann - und vor allem: soll - der Gemeinderat bei seiner Haltung bleiben, auch wenn dies gegen geltendes Landesrecht verstößt? Wer diese Tür öffnet und sich in die Fundamentalopposition zurückzieht, schadet der politischen Kultur. Die zweite Frage: Wann sind die Grenzen des Gesundheitsschutzes erreicht? Sicher ist Lärm gesundheitsgefährdend, aber vor allen Risiken des täglichen Lebens geschützt zu sein, ist eine fragwürdige Utopie. Oder sollten junge Leute auch durch ein Verbot von Disco-Lärm geschützt werden, wie Dr. Gunnar Teucher süffisant philosophierte?
Unverständlich bleibt vor allem, weshalb der Kompromissvorschlag von Oberbürgermeister Keck nicht zu tragen kam. Keck hatte der CDU-Fraktion angeboten, mit dem Beschluss des Lärmaktionsplans auch die von der Fraktion beantragte Idee der »Tempo-40-Modellstadt« auf Durchgangsstraßen voranzutreiben. Bis dahin aber sollte der - gesetzlich vorgeschriebene - Lärmschutzplan der schwarz-grünen Landesregierung umgesetzt werden. Die Konservativen blieben indes bei ihrem kategorischen Nein. Selbst die rechtlich nahezu folgenlose, symbolische Ausweisung von »ruhigen Zonen« wurde abgelehnt - aus Prinzip. Auch die Wünsche aus den Bezirksgemeinden zählten für die Gegner des Lärmaktionsplans nicht mehr.
Sollte OB Keck nun den Gemeinderat mithilfe des Regierungspräsidiums überstimmen müssen, wäre dies ein bedenklicher und einmaliger Vorgang in der jüngeren Stadtgeschichte. Vielleicht aber ein Vorgang, der sich positiv entwickeln könnte: Wie bei der Einbahnstraßenregelung in der Charlottenstraße, bei der eine »verkehrsrechtliche Anordnung« der fehlenden Kompromissbereitschaft im Gemeinderat eine Lehrstunde verpasste. Und die Fahrradstraße wirklich zu einer Fahrradstraße machte. (GEA)