REUTLINGEN. Die Nachricht kam für Reutlingen wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Dass die Evangelische Schulstiftung Württemberg ihre Pläne für Bau und Betrieb eines Privat-Gymnasiums vorläufig auf Eis legt – damit hatte niemand gerechnet. Sah es doch ganz danach aus, als würden Stadt und Stiftung demnächst zur Vertragsunterzeichnung schreiten. Doch dazu wird es in nächster Zukunft nicht kommen: weil, wie berichtet, »veränderte Rahmenbedingungen« neue Kalkulationen und Denkprozesse erforderlich machen.
Dass zu besagten Rahmenbedingungen auch der teils heftige Gegenwind gehört, dem das Projekt von Anbeginn ausgesetzt ist – Daniel Wágner, kaufmännischer Geschäftsführer der Evangelischen Schulstiftung, verneint es. Zwar habe die, wie er es nennt, »gedankliche Opposition« – gemeint sind Vertreter der fünf staatlichen Reutlinger Gymnasien, der Real- und Gemeinschaftsschulen sowie des »Bündnis’ Bildung für alle« – trotz diverser (er)klärender Gespräche »nicht lockergelassen«. Dies jedoch beeinflusse das Vorhaben keineswegs und schmälere auch nicht das Interesse am Standort Reutlingen. Denn, so Wágner selbstbewusst: »Wir machen gute Schule und sind eine Bereicherung für die Bildungslandschaft.«
Zwei Gründe lassen die Stiftung zögern
Gleichwohl stockt der Prozess. Und zwar aus zweierlei Gründen, wie der kaufmännische Geschäftsführer sagt und damit von Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn bereits presseöffentlich formulierte Erklärungen bestätigend unterstreicht. Danach sind es gestiegene Baukosten einerseits und die geplante Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums (G9) andererseits, die die Stiftung zögern lassen.
Wágner spricht von einer »erwarteten Kostenerhöhung um 35 Prozent« und davon, dass die Stiftung auf alle Fälle so lange abwarten möchte, bis die baden-württembergische Bildungspolitik verlässliche Fakten präsentiert. »Kurz vor den Sommerferien«, weiß Wágner, »will das Land G9 konkretisieren und klarstellen, wie die für das Schuljahr 2025/2026 angekündigte Wiedereinführung genau aussehen wird.« Erst dann lasse sich abschätzen, was G9 für das projektierte Ganztagsgymnasium in kirchlicher Trägerschaft bedeutet – vom künftigen Raumbedarf bis hin zum Personalschlüssel.
Nicht aus der Portokasse finanzierbar
Da die Neuschaffung einer Abiturientenschmiede von der Evangelischen Schulstiftung nicht mal eben aus der Portokasse finanziert werden kann – »wir müssen dafür schließlich Darlehen aufnehmen« – sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. »Überstürztes Handeln wäre falsch. Wir müssen verantwortungsvoll abwägen.« Was nicht heißt, dass jetzt das große Däumchendrehen auf dem Programm stünde. Im Gegenteil.
Hinter den Kulissen, so Wágner, werde weiter wachsam beobachtet und geprüft. Auch die Gespräche mit der Stadt brechen mitnichten ab. Man bleibe im Dialog – und zwar in beiderseitigem Interesse, um »einen guten Prozess« zu einem guten Ende zu bringen; sprich: eine tragfähige Lösung zur Realisierung des Vorhabens zu finden.
Weg frei für einen Neustart?
Derweil das Bündnis »Bildung für alle in Reutlingen« ob der aktuellen Entwicklungen scheinbar Morgenluft wittert. Kaum hatte die Kunde von der Verzögerung des Vertragsabschlusses die Öffentlichkeit erreicht, ging den Medien auch schon ein Schreiben zu, in dem die gegen ein Privat-Gymnasium gerichtete Initiative darlegt, dass »durch den Rückzug der Evangelischen Schulstiftung jetzt der Weg für einen echten Neustart frei ist«.
Rückzug? Aus Sicht von Bürgermeister Robert Hahn und Geschäftsführer Daniel Wágner kann davon keine Rede sein. Haben sie dem Projekt doch mitnichten eine Absage erteilt, wie sie betonen. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist nämlich längst noch nicht gesprochen. (GEA)
Aktuelle Schulsituation
Aus dem aktuellen Schulsituationsbericht der Stadt geht hervor, dass die Einschulungszahlen in Reutlingen mit einem Plus von 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr weiterhin steigend sind und über dem Bundes- (plus 2,1 Prozent) und Landestrend (plus 6,9 Prozent) liegen. An den fünf Gymnasien sind die Schülerzahlen stabil.
Für das Schuljahr 2024/25 listet die Statistik wiederholt 23 Eingangsklassen, weshalb der Raumdruck schon jetzt als hoch eingestuft wird. Mit Wiedereinführung von G9 wird er zusätzlich steigen und bauliche Erweiterungen erfordern. (GEA)