REUTLINGEN. Seit knapp zehn Jahren beschäftigt sich der Nachbarschaftsverband Reutlingen-Tübingen mit dem Flächennutzungsplan. Er setzt die Leitplanken für die weitere Entwicklung im Bereich des Verbands. In Reutlingen hat zuletzt eine Potenzialfläche besondere Aufmerksamkeit erregt: Das 16 Hektar große Areal Bol, auf Kernstadtgemarkung und einem Zipfel Sickenhausen gelegen, ist es als Gewerbegebiet vorgesehen. Einer Umnutzung fielen die Koppeln der Pferdepension Eulengarten zum Opfer (der GEA berichtete).
Zwei Monate lag der Entwurf des Flächennutzungsplans (der für Reutlingen, Tübingen, Pfullingen, Eningen, Wannweil, Kusterdingen, Kirchentellinsfurt und Dettenhausen gilt) bis vergangene Woche aus – unter anderem auch im Reutlinger Rathaus. Solveigh Fuchs, die Besitzerin der Pferdepension, hat ihre Einwände nicht nur dort vorgebracht: Die 55-Jährige hat nach eigenen Angaben 7.000 Flyer in der Reutlinger Nordstadt verteilt.
»Meine Existenz ist weg. Ich bin tot«
»Keiner wusste Bescheid, dass das ein Industriegebiet werden soll«, berichtet sie nach den Gesprächen mit den Bewohnern. Auch eine Petition hat Fuchs gestartet, die zwar im Besitz der Pferdepension Eulengarten Hofes ist, die Koppeln jedoch von der Stadt gepachtet hat. Ohne die Wiesen sei ihre »Existenz weg. Ich bin tot«, sagt sie. Dabei sei der Hof auch ein Sozialprojekt, auf dem sie unter anderem therapeutisches Reiten anbietet. Vierbeiner finden auf dem Gnadenhof ihre letzte Heimat.
Solveigh Fuchs führt auch weiterreichende Belange ins Feld, insbesondere die Zerstörung eines wichtigen Naherholungsgebiets im Nordraum mit vielen Wildtieren und unter Naturschutz stehenden FFH-Mähwiesen. Die Hofbesitzerin befürchtet Schlimmes, wenn nach der Ausweisung tatsächlich eines Tages gebaut wird: In einem Gespräch mit einem Stadtmitarbeiter sei der Begriff »Großindustrie« gefallen. Zudem sei eine neue Ausfahrt von der B 464 geplant. Im Flyer warnt Fuchs vor »280 Schwerlast-Lkw täglich« und »1.900 zusätzlichen Pkw« durch Justinus-Kerner-Straße, Sickenhausen und Degerschlacht. Ihre Forderung: »Die Stadt soll das Gebiet ’rausnehmen.«
Beim Pressetermin widerspricht Peter Wilke, der Leiter des Amts Wirtschaft und Immobilien im Reutlinger Rathaus, der Behauptung, man wolle Großindustrie ansiedeln. »Dafür ist die Fläche definitiv zu klein.« Stefan Dvorak, der Leiter der Stadtentwicklung, beteuert, es gebe nicht wirklich »viel Neues« in Sachen Flächennutzungsplan. Nach der Auslegung stünden nun die Stellungnahmen von Regierungspräsidium und Landratsamt an. Sie hätten bereits um Fristverlängerung gebeten. Dann werde es weitere Erkenntnisse zum Thema Bol geben.
Gewerbesteuer, Arbeitsplätze: Dvorak wiederholt die städtischen Argumente. »Wir brauchen weitere Gewerbeflächen.« Und das Bol-Areal wäre die größte neu ausgewiesene zusammenhängende Fläche im ganzen Stadtgebiet überhaupt. Der Plan sieht insgesamt 43 Hektar für die Gewerbeentwicklung vor. Schon um ein »geringes Wachstum« zu generieren, bräuchte die Stadt nach Dvoraks Darstellung deutlich mehr, nämlich mindestens 62 Hektar. Das Gebiet verfüge zudem über eine gute Straßenanbindung dank der B464 nebendran, von der bereits der Orschel-Park profitiere.
»Für Großindustrie ist die Fläche definitiv zu klein«
Das letzte Wort, ob Bol in den Flächennutzungsplan Eingang findet oder nicht, hat nach der Sommerpause der Reutlinger Gemeinderat. Die Zustimmung ist nach Dvoraks Einschätzung unsicher. In den Ratsdiskussionen war die Fläche ein zentrales Diskussionsthema, was in die Forderung nach weiterer Prüfung mündete. Quer durch viele Fraktionen wurde achtsamer Umgang mit Entwicklungsflächen im Außenbereich gefordert, gerade auch, wenn es sich um landwirtschaftliche Flächen handelt.
Auch die Nöte der Pferdepensionsbesitzerin haben die Räte auf dem Schirm: Lösungen für die weitere Existenz des Pferdehofs wurden angemahnt. Der Bezirksgemeinderat Sickenhausen hat zuvor gänzlich Nein zur Ausweisung dieser Fläche im Plan gesagt. Die Verabschiedung des fertigen Flächennutzungsplanes ist laut Stefan Dvorak aufs kommende Jahr angesetzt. Er bildet die Grundlage für konkrete, rechtsverbindliche Bebauungspläne. Ob und wann allerdings letztlich dort eine Bebauung stattfindet, steht in den Sternen. (GEA)