REUTLINGEN. Die historische Häuserzeile Oberamteistraße 28 bis 32 ist nicht nur die älteste Häuserzeile Reutlingens, sondern zählt zu den ältesten ganz Süddeutschlands. Lange Jahre hat der Reutlinger Gemeinderat um Lösungen gerungen, wie man sie erhalten und zu einer Attraktion machen könnte. 2018 gab es einen Realisierungswettbewerb, blickte Oberbürgermeister Thomas Keck in der Gemeinderatssitzung zurück. 2023 war Baubeginn für das Projekt, im November 2024 konnte Richtfest gefeiert werden.
Die ursprüngliche Kostenberechnung belief sich auf 13,6 Millionen Euro für die Sanierung der Bestandsgebäude plus 5,5 Millionen Euro für den Neubau des »Glashauses«. Das wird zum einen die anderen Gebäude stützen, zudem stellt der Neubau mit seiner innovativen Fassadengestaltung und dem im Inneren sichtbaren Holztragwerk ein außergewöhnliches Projekt dar. Für OB Keck ist eine »ideale Verbindung zwischen Altem und Neuem«. Als Museumsforum soll es außerdem ein Ort der Begegnung werden.
»Diese Häuser erzählen eine Geschichte«
Allerdings stellen Baukostensteigerungen die Stadt nun erneut vor große Herausforderungen. Bereits im März mussten fast zwei Millionen Euro über den Nachtragshaushalt finanziert werden - und es war klar, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange ist. Nun liegen die neuen Zahlen vor: Der Neubau kostet demnach 7,2 Millionen Euro, die Bestandsgebäude 18 Millionen Euro. Das sind Gesamtkosten von 25 Millionen Euro und damit rund sechs Millionen mehr als in der ursprünglichen Planung vorgesehen. Der Grund sind zum einen die allgemeinen Kostensteigerungen in der Baubranche, diese seien »sehr schmerzlich, aber unabwendbar«, erklärte Baubürgermeisterin Angela Weiskopf dem Gemeinderat. Verursacht werden sie durch die allgemeine Marktlage, aber auch den Krieg in der Ukraine und den Fachkräftemangel, so Keck.
Die Steigerungen in den vergangenen fünf Jahren betragen mehr als 45 Prozent. Dass die Baukosten derart nach oben gehen, damit habe man nicht rechnen können, betonen die Projektverantwortlichen - in der »Oberamteistraße« liege man sogar noch unter dem Durchschnitt. Hinzu kommen einiges Unvorgesehenes - was bei der Sanierung solch alter Gebäude eigentlich zu erwarten war.
»Wir müssen Mehrwert und Gewinn vermitteln«
Angesichts der klammen Haushaltslage sorgte diese Hiobsbotschaft natürlich für Diskussionen im Gemeinderat. Allerdings sahen die meisten Gemeinderäte keine andere Möglichkeit als weiterzumachen. »Wir können jetzt nicht abbrechen oder eine Pause einlegen«, sagte FWV-Fraktionsvorsitzender Georg Leitenberger. »Wir müssen diese Kröte notgedrungen schlucken«. Dies wurde ebenfalls im Vortrag des Projektkoordinators deutlich: Ein Stillstand oder gar Abbruch würde die Stadt nämlich teuer zu stehen kommen. Das Vorhaben wird mit 7,5 Millionen Euro von Bund und Land gefördert. Zuschüsse, die verfallen würden, wenn man das Projekt nicht zu Ende bringt. Eine Pause würde rund 560.000 Euro pro Jahre kosten oder umgerechnet 47.000 Euro im Monat. Weshalb die Planer »mahnende Worte« an den Gemeinderat richteten, mit der Bitte, das Vorhaben weiterzuführen.
Klar für die Häuserzeile sprach sich die SPD-Fraktion aus. »Dort ist ein neues Juwel Reutlinger Geschichte im Entstehen«, betonte Helmut Treutlein. »Diese Häuser erzählen eine Geschichte.« Die Kostensteigerung schmerze, räumte Treutlein ein, »aber wir wollen es zu Ende bringen.« In eine ähnliche Richtung äußerte sich Grünen-Fraktionschef Dr. Karsten Amman. Zwar seien es imposante Beträge, aber die Steigerung sei nachvollziehbar. Die Stadträte wüssten durchaus, dass einige Bürger es nicht gutheißen, dass für dieses Projekt so viel Geld ausgegeben wird. »Diese Stimmung müssen wir aufnehmen und einordnen«, so Amanns Forderung. Vor allem müsse man sich klar machen, was passiert wäre, wenn die Stadt nicht gehandelt hätte. »Die Gebäude wären eingestürzt.« Nun bekomme die Stadt »eine großartige Attraktion mit tollem Raumerlebnis«. Man müsse den Bürgern den »Mehrwert und Gewinn vermitteln«.
»Wir haben einen Sanierungsstau von 300 Millionen, das muss man auch in diesem Kontext sehen«
Gänzlich anders bewertet die CDU das Projekt - und zwar von Beginn an, wie Fraktionschefin Gabriele Gaiser erklärte. "Wir sind nicht gegen die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude", betonte sie, "aber wir gehen von einer Haushaltssperre in die nächste". Angesichts der aktuellen Finanzmisere lassen sie die vorgelegten Zahlen "atemlos" zurück. »Wir haben einen Sanierungsstau von 300 Millionen, das muss man auch in diesem Kontext sehen«. Die CDU fürchtet zudem, dass dieses Pilotprojekt ein Fass ohne Boden sein könnte: "Es wird auch weiterhin zu Mehrkosten führen". Es sei schön, so etwas zu haben - "wenn man Geld hat". Eben daran fehle es Reutlingen. Auch die Fördergelder von Bund und Land sind für die Christdemokraten kein überzeugendes Argument, denn es seien ebenfalls Steuergelder. Besonders den Glasbau könne sich Reutlingen eigentlich nicht leisten. Auch die WiR-Fraktion verweigerte den Mehrausgaben die Zustimmung, und begründete dies mit der desolaten Finanzlage.
Hagen Kluck (FDP) hingegen betonte, dass das Bauvorhaben notwendig sei und sein Ruf in der Bevölkerung bei Weitem nicht so schlecht, wie dargestellt. »Mir sagen Leute immer wieder, dass es eine super Sache ist«. Daher stehe er dazu, »diese Zeugen der Vergangenheit zu erhalten«. Ähnlich argumentierte Friedel Kehrer-Schreiber, einst Kritikerin des Projektes, ist sie nun ein Fan dieses Hauses, das gelebte Geschichte zeige. Ihr Vorschlag ist, die Baustelle der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit die Leute sich selbst überzeugen können, was dort alles geschieht. Die AfD stimmte ebenfalls zu, aus Respekt vor der Entscheidung des früheren Gemeinderats.
Es geht also weiter in der Oberamteistraße - mit acht Nein-Stimmen und einer Enthaltung wurde dies mehrheitlich vom Gemeinderat beschlossen. Und es gab auch eine gute Nachricht: Man liege voll im Zeitplan, sagte Angela Weiskopf, der sieht vor, dass der Neubau im Oktober 2025 fertig gestellt wird. (GEA)
Mehr über das Projekt Oberamteistraße
Zum Projekt hat die Stadt umfangreiche Sonderseiten ins Internet gestellt. Dort lässt sich auch die lesenswerte Broschüre »Vergangenheit trifft Zukunft: Die historische Häuserzeile Oberamteistraße« kostenlos herunterladen. www.reutlingen.de/oberamteistrasse