REUTLINGEN. Unter realen Bedingungen hätte es an dieser Stelle garantiert mächtig gerumpelt: weil Hirten und mindestens ein Schaf von der Bühne gekippt wären. Doch glücklicherweise proben die Krippenspieldarsteller heute auf keinem echten Podest, sondern lediglich auf einer mit Klebeband markierten Bodenfläche. Weshalb Grenzüberschreitungen keine Konsequenzen zeitigen. Sieht man einmal davon ab, dass Kantorin Michaela Frind die »Abtrünnigen« freundlich zurückpfeift.
11 Uhr im Matthäus-Alber-Haus: Maria und Josef sind restlos erschöpft. Nach kräftezehrendem Marsch haben sie endlich Betlehem erreicht und machen keinen Hehl daraus, dass ihnen die von Kaiser Augustus angeordnete Volkszählung äußerst ungelegen kommt. Maria ist zwar guter Hoffnung, aber schlechter Laune. Sie motzt leise vor sich hin. Was man ihr nicht verübeln kann. Ist's ja schließlich kein Zuckerschlecken, in hochschwangerem Zustand durch die Lande zu stapfen, anstatt sich daheim in aller Seelenruhe auf die Geburt des ersten Kindes vorzubereiten.
Vielstimmige Durchhaltegesänge machen Mut
Wie erbaulich, dass just in diesem Frust-Moment vielstimmige Durchhaltegesänge erklingen. Melodiöse Mutmacherle sind’s, die die werdenden Eltern bis zur Herberge begleiten, ehe die ohnedies missliche Situation – wie im Lukasevangelium nachzulesen – vollends aus dem Ruder läuft: kein Platz mehr im Gasthaus, deshalb Notquartier zwischen Ochs’ und Esel im Stall, dortselbst einsetzende Wehen und Niederkunft. Parallel dazu und etwas später: Erscheinen des Verkündigungsengels, aus dem Schlaf gerissene Hirten, güldenes Licht, drei Weise aus dem Morgenland …
So weit, so vertraut. Aber längst noch nicht gut. Michaela Frind hat Korrekturwünsche. Maria, so die Bitte, möge doch etwas lauter sprechen, Josef etwas mehr Würde ausstrahlen, die Wirtsleute dem Publikum ihre Gesichter zuwenden. Und der an einem Holzstab befestigte Stern von Bethlehem? Der sollte mit ruhigerer Hand gehalten werden, auf dass er nicht wie ein Lämmerschwänzle rumwackele.
Wieder zurück auf Start
Deshalb alles zurück auf Start. Die 16 jungen Laienschauspieler nehmen ihre Positionen ein, derweil Kantorin Frind davon spricht, dass sie von der Leistung des Ensembles beeindruckt ist. Denn was die Kinder und Jugendlichen bei ihrer allerersten Probe im Alberhaus quasi aus dem Stand heraus präsentieren, hat Potenzial.
Alle Akteure gehören dem – ebenfalls von Michaela Frind geleitetem – Kinderchor der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde an. Noch am dritten Adventssonntag waren sie mit einem gänzlich anderen Projekt und Programm befasst. Das erklärt, weshalb die Texte fürs Krippenspiel an diesem Vormittag teilweise vom Blatt abgelesen werden und die Einsätze etwas holpern. Das erklärt außerdem, warum der vier mal sechs Meter große Bühnenbereich noch nicht optimal bespielt wird: etwa, wenn sich dort die Akteure auf engstem Raum knoddeln und dabei gegenseitig verdecken.
Bereits Rampenlichterfahrung gesammelt
»Bei der Aufführung wird das nicht mehr passieren«, ist Frind überzeugt. Zumal sämtliche Darsteller in der Vergangenheit bereits Rampenlichterfahrung gesammelt haben und über eine schnelle Auffassungsgabe verfügen. Hinzu kommt die spürbare Freude am Tun. Kein Zweifel: Alle haben ihren Spaß an der Inszenierung und sind mit Feuereifer bei der Sache.
Und alle sind mit ihren Aufgaben zufrieden. Ein Gerangel um tragende Rollen und solche, die deutlich kleiner ausfallen, ist jedenfalls ausgeblieben. Denn niemand neidet dem anderen seinen Part und manche Akteure verkörpern sogar mehrere Charaktere – fliegende Kostümwechsel inklusive.
Publikum als Teil des Ensembles
Was das Krippenspiel, das am 24. Dezember, ab 15.30 Uhr in der Reutlinger Marienkirche zu erleben ist, für Zuschauer besonders attraktiv machen dürfte, ist sein Mix aus gesprochenen und gesungenen Passagen. Wobei das Publikum an einer Stelle (vielleicht auch an mehreren) in die himmlischen Chöre mit einstimmen darf und so Teil des Ensembles wird.
Bevor es so weit ist, muss aber noch weiter geprobt werden: um Textunsicherheiten auszuräumen, Einsätze zu optimieren, Gestik und Mimik zu verfeinern – und um auszuschließen, dass Hirten und mindestens ein Schaf von der Bühne kippen. (GEA)