REUTLINGEN. Die Einladung zum Pflegekongress der Kreiskliniken Reutlingen am Mittwoch, 21. Mai, kommt quietschbunt daher. Zu sehen ist das in Rosatönen gehaltene Disneys-Märchenschloss, das als Logo fast jedem Film der Disney-Studios vorangeht. Vor dem Hintergrund im Schachbrettmuster, mit vielen leuchtenden Sternen, sind die Silhouetten bekannter Figuren aus den Disney-Zeichentrick- beziehungsweise Animationsfilmen zu erkennen: Aladin und Dschinni, Olaf der Schneemann, der König der Löwen oder Ursula aus dem Filmklassiker »Arielle« und noch einige andere.
Mit dem Untertitel »Lass dich verzaubern … MAGISCH - SPANNEND - BUNT« wird am Veranstaltungstag ab 8.30 Uhr in die Akademie der Kreiskliniken eingeladen. Über einen QR-Code können sich die Mitarbeiter des Pflegebereichs in den Kliniken anmelden.
»Vielmehr wirkt es wie blanker Unsinn«
An dieser Einladung und am Kongress selbst gibt es aktuell deutliche Kritik. Die kommt von Axel Albrecht aus Reutlingen und er wendet sich schriftlich an Reutlingens Landrat Dr. Ulrich Fiedler, der gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender bei den Kreiskliniken ist. In Albrechts Schreiben heißt es unter anderem, die Einladung vermittle ... »in keiner Weise den Eindruck, dass hier seriöse oder wissenschaftlich belastbare Inhalte vermittelt werden. Vielmehr wirkt es wie blanker Unsinn.« Weiter heißt es in der Mail, die dem GEA vorliegt: »Gerade, weil es sich bei den Kreiskliniken Reutlingen um eine öffentlich-rechtliche Einrichtung handelt, halte ich dieses ‚Bildungsangebot‘ für äußerst fragwürdig.«
Deutliche Kritik richtet Albrecht an den für die Veranstaltung eingeplanten Referenten, Frank Wissmann: »... dessen Profile in sozialen Medien zeigen ein Angebot, das von schamanischer ‚Ahnenarbeit‘ über die Hüterschaft einer Chanupa-Ritualpfeife bis hin zu esoterischen Praktiken ohne erkennbaren wissenschaftlichen Hintergrund reicht.« Dafür sollten keine öffentlichen Gelder verwendet werden, findet Albrecht. Trotz Nachfrage war der Verfasser für den GEA nicht erreichbar.
»Die Figuren von Disney stehen unter anderem für Trost, Hoffnung, Magie oder Mitgefühl«
Der Sprecher der Kreiskliniken Reutlingen, Christian Hirtz, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Im Gespräch mit dem GEA verteidigt er die Veranstaltung: "Die Geschäftsführung der Kliniken steht hundertprozentig hinter diesem Pflegekongress, der sich mit einem anderen Ansatz und einem anderen Blickwinkel an die Teilnehmer richtet", erklärt Hirtz im Gespräch mit dem GEA. Es solle eine Weiterbildung werden, die ausnahmsweise nicht auf medizinisch-technische Inhalte setze. Die Organisatoren hätten bewusst die bekannten Figuren aus dem bekannten und beliebten Disney-Universum gewählt: »Die Figuren von Disney stehen unter anderem für Trost, Hoffnung, Magie oder Mitgefühl«, das seien alles Elemente, die wichtig und bisweilen elementar für den Pflegebereich der Klinik seien. Als Beispiel nennt er die Disney-Figur Aladin: "Er steht für die Kraft, seine eigenen Stärken zu entfalten."
Er ergänzt: »Das alles ist vom Pflegebereich bei uns entwickelt worden.« Es gehe bei der Weiterbildung um Gesprächsführung, Psychologie, Gastfreundlichkeit, Kommunikation und den Umgang mit Patienten. »Dabei können die bunten Disneyfiguren helfen, denn wir hier in den Kliniken sind auch bunt. Wir wollen mit der Weiterbildung neue Wege aufzeigen«, führt er aus. Zudem finde alles in den Räumen der Klinik statt und dafür würden keine öffentlichen Gelder verwendet.
»Die Figuren von Disney stehen unter anderem für Trost, Hoffnung, Magie oder Mitgefühl«
Auch die Kritik an Referent Frank Wissmann versteht Hirtz nicht: »Wir haben einen Referenten gewählt, der aufgrund seines besonderen Werdegangs, seiner Methodenvielfalt und seiner gelebten Haltung, eine Brücke zwischen Gastfreundschaft, professioneller Patientenbetreuung und persönlicher Entwicklung schlägt.« Er bezeichnet Wissmann als »Knigge-Papst 2.0«. Und weiter: »Seine Impulse laden unsere Mitarbeiter dazu ein, neue Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln und mitzugestalten.« Es gehe beim Pflegekongress um Achtsamkeit, Selbstreflexion und Resilienz. Faktoren, die es in der Branche zu stärken gelte.
Dr. Ulrich Fiedler, Reutlingens Landrat und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Kreiskliniken Reutlingen, reagiert auf die Kritik schriftlich. Er führt aus: »Der Pflegekongress verfolgt ausdrücklich das Ziel, nicht nur fachlich-technische Inhalte zu vermitteln, sondern auch emotionale, soziale und kommunikative Kompetenzen zu stärken.« Für Fiedler ist auch ersichtlich, warum für die Einladung zum Kongress Disney-Figuren herangezogen wurden: »Der bewusst gewählte Titel ‚MAGISCH - SPANNEND - BUNT‘ sowie die visuelle Gestaltung sollen dazu beitragen, die Teilnehmenden neugierig zu machen und neue Perspektiven zu eröffnen.« Er stellt klar: Die Disney-Figuren seien kein Hinweis auf esoterische Inhalte. Gleichzeitig sei es den Kreiskliniken Reutlingen wichtig, »... innovative Ansätze in der Fort- und Weiterbildung zu erproben, die über klassische Wissensvermittlung hinausgehen.«
»Emotionale, soziale und kommunikative Kompetenzen stärken«
Auf die Kritik an dem eingeladenen Referenten Frank Wissmann reagiert Fiedler so: »Seine persönliche Verbindung zu spirituellen Themen ist bekannt, diese Aspekte sind jedoch explizit nicht Teil seines Beitrags beim Kongress.« Wissmann sei ausgewählt worden, weil er als »Kommunikationstrainer, Knigge-Coach und Experte für Resilienzförderung« bekannt geworden sei.
Auch auf die finanziellen Aspekte der geplanten Veranstaltung geht Fiedler ein: »Es kommen weder zusätzliche öffentliche Fördermittel noch projektgebundene Gelder zum Einsatz.« Das Budget sei mit Augenmaß konzipiert worden und viele Leistungen seien kostenfrei oder stark vergünstigt.
Auf Nachfrage des GEA sagt Kliniksprecher Hirtz, dass das Interesse am Pflegekongress beim Pflegepersonal an beiden Standorten der Kreiskliniken, in Reutlingen und Münsingen, mittlerweile groß sei. Die Veranstaltung werde auf jeden Fall am 21. Mai stattfinden - trotz der Kritik. (GEA)