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Reutlinger Kinderklinik ganz groß bei den ganz Kleinen

Was die Reutlinger Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum am Steinenberg mit ihrer neuen Chefärztin leistet.

Mama und Papa sind glücklich, denn ihrem Sohn geht's formidabel: Oberärztin Birgit Jungk bei einer U2 Grunduntersuchung, die dre
Mama und Papa sind glücklich, denn ihrem Sohn geht's formidabel: Oberärztin Birgit Jungk bei einer U2 Grunduntersuchung, die drei Tage nach der Geburt gemacht wird. Foto: Stephan Zenke
Mama und Papa sind glücklich, denn ihrem Sohn geht's formidabel: Oberärztin Birgit Jungk bei einer U2 Grunduntersuchung, die drei Tage nach der Geburt gemacht wird.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Sind so kleine Hände, winz’ge Finger dran ... Sie halten sich fest an Oberärztin Birgit Jungk, die drei Tage nach der Geburt des Jungen nach seinem Wohlbefinden schaut. U2 nennt sich diese erste ärztliche Grunduntersuchung sachlich. Mutter und Vater schauen interessiert zu. Alles in Ordnung, ihr Sohn ist kerngesund. Was für ein Glück. Einer von vielen emotionalen Momenten in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum am Steinenberg. Hier beginnen viele Menschenleben, wird für die Gesundheit der Schwächsten und Verletzlichsten alles Menschenmögliche getan. Ganz groß bei den Kleinsten zu sein, dieses Bemühen zieht sich durch die langen Gänge, die völlig anders aussehen und ausgestattet sind als alle übrigen Stationen des Krankenhauses.

Nirgendwo sonst gibt es große Babyfotos wie die von Gaby Höss an den Wänden, Galerien von selbst gemalten Kinderbildern dazwischen, dazu eine Modelleisenbahn beim Empfang sowie ein Spielzimmer. Statt in schnöder Druckschrift steht auf dem Zimmer für die Ultraschalluntersuchung das Wort Sonografie in kunterbunten Buchstaben.

»Die Modelleisenbahn und Pustefix gehen immer«

»Die Modelleisenbahn und Pustefix gehen immer«, sagt Chefsekretärin Corinna Handke, bei der es Chips zum Starten der Bahn plus Seifenblasen zu holen gibt. Das ist alles so außergewöhnlich wie Chefärztin Dr. Bianca Haase, deren Lachen und strahlende Augen hinter einer kreisrunden Brille sofort auffallen. Seit rund 100 Tagen ist sie im Amt.

Die Chefin spricht so gut wie gar nicht über sich selbst, sondern nur über ihre kleinen Patientinnen und Patienten und medizinische Entwicklungen zu deren Wohl. Wichtig sind die, nicht sie – das kommt rüber. Ihr Lebensweg macht klar, wieso sie weiß, wovon sie spricht. 12 Jahre lang ist Haase Kinderkrankenschwester gewesen. Sie hat Medizin studiert, war ein weiteres Dutzend Jahre Ärztin in Nürnberg und dann am Universitätsklinikum Tübingen. Zusätzlich zu dieser langen Praxis von der Pike auf, hat sie sich in den Bereichen Neonatologie – das ist die Pathologie und Physiologie menschlicher Neugeborener – und Kinderradiologie mit Schwerpunkt pädiatrische Sonographie mehr als nur spezialisiert. Haase ist die Erfinderin einiger lebensrettender Geräte für Neugeborene. Die sind ebenso winzig wie beeindruckend.

Der Doktorbär erholt sich nach vielen Sprechstunden im Spielzimmer, in dem es natürlich auch einen Arztkoffer gibt.
Der Doktorbär erholt sich nach vielen Sprechstunden im Spielzimmer, in dem es natürlich auch einen Arztkoffer gibt. Foto: Stephan Zenke
Der Doktorbär erholt sich nach vielen Sprechstunden im Spielzimmer, in dem es natürlich auch einen Arztkoffer gibt.
Foto: Stephan Zenke

Fast in eine Streichholzschachtel passt ihr Notfallzugang für die Nabelschnur. Eine Halterung aus Plastikspritzguss, die es ermöglicht schnell und mit wenigen Handgriffen direkt nach der Geburt Medikamente zu verabreichen. Unscheinbar nach einem Kunststoffrohr mit dicken Ende sieht auch ihre Beatmungshilfe für Frühgeborene aus. Das Ding versorgt diese ganz besonders empfindlichen Menschlein mit dem nötigen Atemdruck um möglichst eine maschinelle Beatmung zu verhindern. Davon spricht Haase ausführlich, und die Mutter einer Tochter erklärt auch nebenbei etwas Wesentliches zum Thema Wichtigsein: »Es war nie mein Lebensziel Chefärztin zu werden. Aber in der Rolle kann ich vieles verwirklichen«.

Später wird sie eine Elfjährige mit Ultraschall untersuchen, dabei so gut wie kein medizinisches Fachwort verwenden. »Ist schön mit dem warmen Gel«, sagt sie lächelnd zum Mädchen, bei dem eine »Raumforderung« im Bauch abzuklären ist. Erwachsene dürfen das entsetzt als Tumor übersetzen. Warmes Gel auf dem Bauch und oben an der Decke schöne Bilder von Naturlandschaften und Tierszenen, beides ganz typisch für die Kinderklinik. Pro Jahr werden hier 15.000 Patientinnen und Patienten vom Neugeborenen bis zu Jugendlichen im Alter von 18 Jahren betreut. Eigentlich sind es aber mindestens doppelt so viele.Mütter und Väter müssen mitgezählt werden. »Elementar ist ein Vertrauensverhältnis zu Eltern und Kindern aufzubauen«, sagt die Chefärztin.

Wenn Erwachsene Angst vor einer Untersuchung oder Behandlung haben, wird sich das direkt auf den Nachwuchs übertragen. »Es ist emotionaler«, beschreibt Haase die Arbeit aller Menschen in Pflege und Medizin auf den Stationen, »insgesamt ist es beglückender«. Auch deswegen, weil die Erfolgsquote »höher als in anderen Abteilungen ist«. Gewiss haben daran auch plüschiges Personal und Spielzeug ihren Anteil. Teilweise wird etwas zum Vergnügen der kleinen Menschen sogar täglich frisch hergestellt – beispielsweise Knetmasse.

»Elementar ist ein Vertrauensverhältnis zu Eltern und Kindern«

Aus Mehl, Salz, Zitronensäure, Speiseöl, kochenden Wasser und etwas Ostereierfarbe rührt diese beim GEA-Besuch Erzieherin Barbara Wenzelburger an. Auf der Fensterbank erholt sich der Doktorbär von seinen letzten Visiten. Natürlich gibt es auch einen Arztkoffer. Vieles hier verdankt die Klinik neben anderen Dingen dem Verein Frühchen e.V. Reutlingen als Interessengemeinschaft von Eltern. Auf der Normalstation beschreibt Arzt Tobias Hall, weswegen kleine Menschen hier liegen. »Die meisten Patienten haben die üblichen Kinderkrankheiten: Magen-/Darm-Infektionen mit einer Austrocknung, die mit einer Infusionstherapie wieder stabilisiert werden. Oder Atemwegsinfektionen oder Asthmaanfälle. Wir machen auch viele diagnostische Maßnahmen«, sagt Hall. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrage zwei Tage.

Zu wissen, was fehlt, ist der Schlüssel zu Therapie und Besserung. Chefärztin Haase nennt etwa den Fall eines Jungen, elf Jahre alt, »der mit Verdacht auf Magen-Darm-Infektion zu uns in die Kinderklinik geschickt wurde. Letztendlich hat sich gezeigt, dass der kleine Mann eine Diabeteserstmanifestation hatte«. Diese Kinder haben eher selten ähnliche Symptome mit Erbrechen und Durchfall. In dem Test, der in der Notaufnahme geschah, wurde ein sehr hoher Zuckerwert gesehen. »Der Patient wird jetzt eingestellt, er ist eine Woche stationär und lernt, mit dem Diabetes zu leben«.

Das Lachen der neuen Chefärztin Bianca Haase ist auffallend. Die Frau war 12 Jahre lang Kinderkrankenschwester, kennt sich mit d
Das Lachen der neuen Chefärztin Bianca Haase ist auffallend. Die Frau war 12 Jahre lang Kinderkrankenschwester, kennt sich mit den Sorgen und Nöten ihrer kleinen Patienten und ihrer Eltern aus. Foto: Stephan Zenke
Das Lachen der neuen Chefärztin Bianca Haase ist auffallend. Die Frau war 12 Jahre lang Kinderkrankenschwester, kennt sich mit den Sorgen und Nöten ihrer kleinen Patienten und ihrer Eltern aus.
Foto: Stephan Zenke

Um in jeder Notfallsituation bestmöglich vorbereitet zu sein, setzt die neue Chefärztin verstärkt auf regelmäßige Reanimationstrainings. Dank der Unterstützung des Vereins Frühchen e.V. konnte die Kinderklinik zwei realitätsnahe Reanimationspuppen anschaffen.

»Wir betreuen Kinder in einem sehr breiten Altersspektrum«, erklärt die Chefärztin. Am unteren Ende dieses Spektrums stehen Frühgeborene ab einem Geburtsgewicht von 1.250 Gramm, deren hochwertige medizinische Versorgung sichergestellt werden soll. »Doch auch bei der Notfallversorgung von kleineren Frühgeborenen legen wir größten Wert auf Qualität, damit alle Kinder den bestmöglichen Start ins Leben erhalten«, betont Dr. Haase.

Zur Trainingsunterstützung nutzt das Team den Frühgeborenensimulator »Paul«, der einem Frühchen in der 27. Schwangerschaftswoche täuschend echt nachempfunden ist. »Durch den engen Verbund mit der Universitätsklinik Tübingen und die enge Zusammenarbeit in der Region ist eine optimale Versorgung aller Frühchen im Landkreis gewährleistet«, so Haase. Zu ihren Wünschen, die sich bereits erfüllt haben, gehörte ein hochleistungsfähiges Ultraschallgerät. Diese Maschine zaubert ohne Strahlenbelastung hochauflösende Bilder im Submillimeterbereich des menschlichen Innenlebens auf den Bildschirm. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Information und Fürsorge an die Adresse der Eltern. So gibt es etwa Informationen über die U2 Untersuchung von Neugeborenen als Video in zehn Sprachen. Damit’s den Menschen mit kleinen Händen gut geht. (GEA)