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Reutlinger Grünen-Kandidat ist einer der Jüngsten im Land

Jung, fachkundig, präsent: Der Reutlinger Grünen-Kandidat Jaron Immer nutzt im Bundestagswahlkampf Infostände, Podiumsdiskussionen, Firmenbesuche, Social Media, aber auch Kneipengespräche. Der GEA hat den 19-Jährigen begleitet.

Jaron Immer, Grünen-Bundestags-Kandidat für den Wahlkreis Reutlingen, bei einer überaus gut besuchten, informativen VHS-Podiumsd
Jaron Immer, Grünen-Bundestags-Kandidat für den Wahlkreis Reutlingen, bei einer überaus gut besuchten, informativen VHS-Podiumsdiskussion in Reutlingen. Foto: Frank Pieth
Jaron Immer, Grünen-Bundestags-Kandidat für den Wahlkreis Reutlingen, bei einer überaus gut besuchten, informativen VHS-Podiumsdiskussion in Reutlingen.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. In einer Reutlinger Innenstadt-Kneipe bewegt sich Jaron Immer quasi in der Komfortzone. Doch sein Format »Immer im Gespräch« führt einen der jüngsten Bundestagskandidaten im Land auch in weniger Grünen-freundliche Gefilde. In ein Sportheim, das als Treff von Rechtspopulisten und Rechtsextremen gilt, oder auf die Alb, wo wütende Landwirte vor einem Jahr noch die Ampel-Regierung an den symbolisch gezimmerten Galgen wünschten. Darüber hinaus trifft sich der einstige Jugendgemeinderat und Fridays-for-Future-Landessprecher, der im Juni für die Grünen und Unabhängigen zum Stadtrat und im Oktober von der Mitgliederversammlung des Kreisverbands von Bündnis 90/Die Grünen mit großer Mehrheit zum Bundestagskandidaten des Wahlkreises 289 gewählt wurde, auch mit Vertretern des Bauernverbands und der regionalen Wirtschaft. Dazu kommen klassische Wahlkampf-Termine: Info-Stände auf Marktplätzen der 26 Gemeinden im rund 1.100 Quadratkilometer großen Gebiet und Podiums-Diskussionen mit seinen Mitbewerbern.

Der Kalender ist also voll, der Slogan »Immer unterwegs« auf dem Wahlkampf-Pkw nicht übertrieben. Lieber würde er öffentliche Verkehrsmittel nutzen, doch der Tagesplan ist zu eng getaktet. Da sind Kompromisse gefragt. »Immerhin ist's ein E-Auto«, seufzt der 19-Jährige.

»Wenn Sie ihn im Stress erleben wollen, kommen Sie mit auf die Achalm und zur VHS«

Dass sich sein Name für Wortspiele anbietet, nutzt er mit Wahlkampfmanagerin Leoni Neubauer auch intern. »Es soll ja a bissle Humor dabei sein«, sagt er. »Immer zu spät«, neckt ihn die 33-Jährige, als sich die Termine zwischen einem Forum im Metzinger Gymnasium, dem Besuch einer Robotik-Firma mit der Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner und MdB Beate Müller-Gemmeke sowie einer Diskussionsrunde in der Reutlinger VHS an einem Tag häufen. Dazwischen bleiben am Abend nur 15 Minuten, um die Unterstützung der Parteichefin und der regionalen Mentorin bei »Politik und Wirtschaft im Dialog« im Achalm-Restaurant zu genießen. »Wenn Sie ihn im Stress erleben wollen, kommen Sie am Freitag mit«, hatte Neubauer als Pressebeauftragte vom Team »#fuerImmer« angeboten. Doch weder bei der Stippvisite auf der Achalm noch auf dem VHS-Podium wirkt er gehetzt.

»Immer im Gespräch«: Jaron Immer nutzt im Bundestagswahlkampf für Bündnis 90/Die Grünen auch das direkte Gespräch mit potenziell
»Immer im Gespräch«: Jaron Immer nutzt im Bundestagswahlkampf für Bündnis 90/Die Grünen auch das direkte Gespräch mit potenziellen Wählern sowie Kritikern in Kneipen und Wirtschaften im Wahlkreis 289 Reutlingen. Foto: Privat
»Immer im Gespräch«: Jaron Immer nutzt im Bundestagswahlkampf für Bündnis 90/Die Grünen auch das direkte Gespräch mit potenziellen Wählern sowie Kritikern in Kneipen und Wirtschaften im Wahlkreis 289 Reutlingen.
Foto: Privat

Der Moderator bei den »Familienunternehmern«, Rainer Knauer, fragt den »Newcomer« im khakigrünen Blouson-Ensemble zu schwarzem Hemd und weißen Turnschuhen das, was Immer stets selbst an den Anfang seiner Wirtshaus-Gespräche stellt: Warum er so jung schon in die Bundespolitik will? Er hoffe, die Spuren, die Müller-Gemmeke hinterlässt, sind nicht zu groß, frotzelt Knauer. Immer, der die Nachfolge der 64-Jährigen mit 15 Jahren Parlamentserfahrung anstrebt, antwortet höflich, aber selbstbewusst: Da das passive Wahlrecht in Deutschland nun mal ab 18 Jahren gilt, scheine es ihm nicht nur angemessen, sondern wichtig, dass junge Leute im Bundestag vertreten sind. »Nicht nur 20-Jährige, aber eben auch.«

» Den Wandel stemmen und voranbringen, alle Generationen und Gruppen einbinden «

Bei »Immer im Gespräch« im Vis-à-vis hat er mehr Zeit, um sich vorzustellen: Dem Sohn einer Künstlerin und eines Verwaltungsrichters ist bewusst, dass er, sollte er gewählt werden, erstmal keine Berufsausbildung hätte. Ein Studienabbruch wäre wohl Wasser auf die Mühlen der zuletzt immer ungnädiger auftretenden Grünen-Kritiker. Er wolle »alle Gruppen und Generationen« einbinden, erklärt er den 16 Interessierten zwischen 18 und 76 Jahren, »gegen die Perspektivlosigkeit« nach der Corona-Krise und in nach wie vor herausfordernden Zeiten des Wandels.

Ob die Anwesenden ihre beruflichen wie gesellschaftlichen Beobachtungen und Sorgen schildern oder kritisch nachfragen - der 19-Jährige reagiert freundlich, verbindlich und zielgerichtet. Er hört interessiert zu, antwortet mit konkreten Beispielen und Zahlen, fordert aber auch Grenzen ein - selbst wenn ein bekennender Fan (»Sie sind für mich das Weiterleben nach dem Tod«) zum Monologisieren anhebt. Kontroversen schrecken den jungen Mann mit Fachgebietsschwerpunkt auf Energie und Klima und umfassendem Allgemeinwissen nicht.

Verbindlich, fachkundig und freundlich gibt sich Jaron Immer auch  zwischen Grünen-MdB Beate Müller-Gemmeke und Rainer Knauer vo
Verbindlich, fachkundig und freundlich gibt sich Jaron Immer auch zwischen Grünen-MdB Beate Müller-Gemmeke und Rainer Knauer von den Reutlinger »Familienunternehmern« bei deren Politischem Abendessen im Achalm-Restaurant. Foto: Frank Pieth
Verbindlich, fachkundig und freundlich gibt sich Jaron Immer auch zwischen Grünen-MdB Beate Müller-Gemmeke und Rainer Knauer von den Reutlinger »Familienunternehmern« bei deren Politischem Abendessen im Achalm-Restaurant.
Foto: Frank Pieth

In all die Kneipen und Gaststätten im Landkreis Reutlingen, wo er mit seinem Wahlkampfteam in den vergangenen Wochen Tische für sieben bis zehn Personen reserviert hatte, kamen mehr Leute als erwartet. Auch »Wütende«. Wiederkehrende Themen sind Kapitalerträge, Mindestlohn, Migration, hohe Energiepreise. »Ganz so seh' ich's nicht«, beginnt er, bevor er klarmacht, dass »Europa instabil zu machen diesbezüglich nix bringt« oder »die Gasmangellage die Strompreise hochtrieb, nicht der Atomausstieg«. Bei Zweifeln bezüglich der Klimakrise verweist er auf die tödlichen Überschwemmungen in Valencia mit »Riesenschäden für die Volkswirtschaft«. Auch für die deutsche, dort werden unter anderem Wagen für die Regionalstadtbahn gefertigt.

Jaron Immer vertritt »die Zuversicht, dass Fakten und Erfahrungen Lügen widerlegen und besiegen«. Auf Gegenwind und Krawall haben den Studenten der Geowissenschaften vier ältere Geschwister ebenso wie das Engagement in der jugendlichen Klimaschutzbewegung vorbereitet. Früh schon politisch angespitzt hat ihn seine Oma: Die langjährige SPD-Gemeinderätin Anneliese Maußhardt lebte vor, »dass man eine Verpflichtung hat, sich einzubringen« und »dass wir etwas tun können«. Positive Vorbilder fehlen heute oft, meint er. Umso mehr will er »Werte leben, Gleichberechtigung leben« - und erklärt: Die häufig kritisierten »Gebote und Verbote sind da, weil wir nicht das Recht des Stärkeren wollen«.

Auf dem Podium der Reutlinger VHS erntet Jaron Immer immer wieder Applaus von den rund 340 Anwesenden, etwa wenn er bezüglich de
Auf dem Podium der Reutlinger VHS erntet Jaron Immer immer wieder Applaus von den rund 340 Anwesenden, etwa wenn er bezüglich der Migrationsdebatte fordert, wieder mehr auf die Menschen hinter den Schlagworten zu schauen. »Wir müssen das besser hinbekommen, Einwanderer aufzunehmen und zu integrieren.« Foto: Frank Pieth
Auf dem Podium der Reutlinger VHS erntet Jaron Immer immer wieder Applaus von den rund 340 Anwesenden, etwa wenn er bezüglich der Migrationsdebatte fordert, wieder mehr auf die Menschen hinter den Schlagworten zu schauen. »Wir müssen das besser hinbekommen, Einwanderer aufzunehmen und zu integrieren.«
Foto: Frank Pieth

Vor den geladenen Gästen des Politischen Abendessens ebenso wie auf der VHS-Bühne führt er die »großen Herausforderungen« der nächsten Jahre an: uns wirtschaftlich zukunftsfähig aufstellen, Energie- und Verkehrswende nicht umkehren. Um den Wandel zu stemmen und voranzubringen, »deshalb mach' ich Politik!«. Energie soll sicher und dauerhaft günstig sein, »um die Unternehmer, die sich auf den Weg gemacht haben, zu unterstützen«.

Wolfram Barth hakt nach: Warum wird in Wärmepumpen investiert und nicht in die weiteren Schritte? Immers Erklärung zur Investitionsförderung leuchtet ein. »Ja, das ist richtig«, nickt der Firmenchef. Der Jung-Politiker bekennt auf der Weiterfahrt hinab in die Stadt im Gegenzug, der Binzwanger Unternehmer habe schon recht: »Die Förderkulisse ist noch nicht so recht aufgebaut.«

Von der Rathaus-Tiefgarage eilt das Immer-Team zur Spendhausstraße 6. »Immer pünktlich«, freut sich Leoni. Als Gegenstand, den die Diskussionsteilnehmer für die »Eine-Minuten-Runde« in der mit rund 340 Menschen im Foyer und 600 Zuschauern auf Youtube - wo die Debatte noch abrufbar ist - bestens besuchten VHS-Veranstaltung mitbringen sollten, wählt Immer seinen Fanschal: »SV Mieten runter« steht auf der einen, »Klima-Ultras« auf der andern Seite. Damit wären zwei Themen, die Immer wichtig sind, angerissen. Dazu kommt: eine »solidarisch finanzierte Bürgerversicherung«. Applaus erntet er auch bei der Migration, wenn er fordert, mehr auf die Menschen hinterm Schlagwort zu schauen. »Pauschalvorschläge treffen meistens die Falschen.« Wir müssen »aufhören mit der dauerhaften Problemdebatte« und »das besser hinbekommen, Einwanderer aufzunehmen und zu integrieren«. Denn Fachkräftegewinnung gehört zum Wirtschaftswachstum.

Wenn er als letzter das Wort ergreift, ist Jaron Immer keineswegs zögerlich. Seine Argumente bleiben so im Gedächtnis haften. (GEA)