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Reutlinger Gericht verhängt Strafe, die kranker Ladendiebin helfen soll

Eine Angeklagte, die sich für ihre Strafe bedankt, ist am Amtsgericht Reutlingen selten: Urteil gegen eine Mehrfachtäterin zeigt die hilfreiche Seite des Strafrechts.

Das Amtsgericht Reutlingen.
Das Amtsgericht Reutlingen. Foto: Norbert Leister
Das Amtsgericht Reutlingen.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN. Eine Angeklagte, die sich für ihre Strafe bedankt, ist am Amtsgericht Reutlingen selten. Doch das Urteil des Schöffengerichts gegen eine Mehrfachtäterin zeigt am Mittwoch, wie Richter Eberhard Hausch am Ende sagt, die hilfreiche Seite des Strafrechts. Denn Justitia schickt eine alkoholkranke mehrfache Ladendiebin eben nicht direkt ins Gefängnis, sondern verpflichtet sie zu einer zweijährigen Therapie - einen Termin dazu in Zwiefalten hat sie schon.

»Das wird eine etwas längere Lesung«, kündigt der Vorsitzende Richter Hausch die Verlesung der Tatvorwürfe durch Staatsanwalt Nicolaus Wegele an. Weil sechs Anklagenschriften zu diesem Prozess verbunden wurden, kommt eine Vielzahl von Taten auf den Tisch. Die 41 Jahre alte Reutlingerin ist demnach über einen langen Zeitraum immer wieder straffällig geworden.

Im Gerichtssaal

Richter: Eberhard Hausch. Staatsanwalt: Nicolaus Wegele. Schöffen: Susanne Häcker und Carina Eger. Verteidiger: Steffen Kazmaier.

Ende Juni 2023 möchte sie in einer Tankstelle volltanken, allerdings anders als dort vorgesehen. Sie versucht, eine Flasche Whisky mitgehen zu lassen. Im August 2023 betritt sie trotz Hausverbots ein Einkaufszentrum in der Reutlinger Fußgängerzone. Ebenfalls in diesem Monat schlägt sie im Streit einer Frau mit der flachen Hand ins Gesicht, beleidigt ihre Kontrahentin übel. Im Sommer des vergangenen Jahres unternimmt sie eine Taxifahrt, ohne bezahlen zu wollen. Wovon auch, denn sie ist seit vielen Jahren arbeitsunfähig, mit einer kleinen Frührente. Weitere Taten folgten.

Es handelte sich um Ladendiebstähle in Kleidergeschäften, Parfümerien oder Supermärkten. Gemeinsam ist allen von Staatsanwalt Wegele vorgetragenen Fällen eines: Die Frau war zum Tatzeitpunkt so betrunken, dass weniger an Alkohol gewöhnte Menschen mit solchen Promillewerten kaum noch handlungsfähig wären. Oder aber sie klaute, um mit dem Erlös des Diebesgutes die nächste Flasche Hochprozentiges zu kaufen. Es geht im Prozess also um einen alkoholkranken Menschen, der angesichts der Masse der Vorwürfe auf der Anklagebank ziemlich verzweifelt wirkt, nervös mit den Füßen wippt oder sein Gesicht in beide Hände vergräbt. Auch das Vorstrafenregister ist erdrückend lang.

»Sie ist psychisch krank«

"Für meine Mandantin ist es schwierig, das alles zu sortieren", sagt Verteidiger Steffen Kazmaier. Als Sachverständiger beschreibt Dr. med. Hubertus Friederich vom Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Zwiefalten die Probleme der Angeklagten im Detail. »Sie ist psychisch krank«, stellt Friederich fest. Dazu sei es durch ihre Sucht "zu täglichem, teilweise hochdosiertem Alkoholkonsum" gekommen. Zur Verhandlung erscheint die Frau allerdings stocknüchtern und vermittelt glaubwürdig den Willen zur Therapie und zur Besserung - einen Termin zur zweijährigen Behandlung in Zwiefalten hat sie bereits.

Obschon der Sachverständige keine Schuldunfähigkeit festgestellt hat, so wird in seinen Worten vor allem eines deutlich: Ohne Sucht inklusive Alkoholmissbrauch wäre es nicht zu all den Diebstählen und anderen Taten gekommen. Friederich sieht »gute Aussichten für eine Behandlung im Maßregelvollzug«. Dabei handele es sich um eine durchaus »harte Therapie«, und auch die Unterbringung sei »kein Zuckerschlecken«. Alles das überzeugt gemeinsam mit einem umfassenden Geständnis, das die Beweisaufnahme mit 15 geplanten Zeugen drastisch verkürzt, sowohl Staatsanwaltschaft als auch Schöffengericht.

In seinem Plädoyer, das dem späteren Urteil entspricht, fordert Staatsanwalt Wegele eine Freiheitsstrafe von insgesamt einem Jahr und zehn Monaten, zuvor aber die Einweisung zur zweijährigen Behandlung in Zwiefalten. Richter Hausch setzt die Freiheitsstrafe für vier Jahre zur Bewährung aus. Somit bekommt die Frau eine letzte Chance auf ein Leben ohne Alkohol und Kriminalität. Dafür bedankt sie sich mit einem glücklichen Lächeln. (GEA)