REUTLINGEN. Er umfasst nahezu 200.000 Quadratmeter Fläche, punktet mit sattem Grün, schattenspendenden Bäumen und Naherholungsqualitäten. Er ist Refugium für Vögel und Eichhörnchen. Und er hat ein faustdickes Problem: der Friedhof Römerschanze. Wobei es nicht die Grabfelder sind, die Sorge bereiten, sondern der denkmalgeschützte Gebäudekomplex mit seinen Abschieds- und Aufbahrungsräumen, der Aussegnungshalle und dem Verwaltungstrakt. In, an, auf und unter diesem architektonischen Ensemble gibt es nämlich - übrigens nicht erst seit gestern - Schäden zu beklagen, die dringenden Handlungsbedarf anmahnen und zur Generalsanierung zwingen.
Erste Auffälligkeiten seit 2018
Schon 2018 gab es erste Auffälligkeiten, wurde wegen vereinzelter Rissbildung und Bodenwellen ein Baugutachten veranlasst. Wiewohl es damals noch so schien, als könne man sich mit der Instandsetzung etwas Zeit lassen. Seither hat sich die Situation freilich drastisch verschärft. Sind es doch keineswegs aufschiebbare Mängel, die bei neuerlichen Untersuchungen ans Licht kamen, sondern substanzielle, die die Statik betreffen und darob für ein böses Erwachen auf dem Römerschanz-Friedhof gesorgt haben.
Ursächlich für Mauerrisse und Bodenverwerfungen ist nach Worten von Dirk Kurzschenkel, Leiter der Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR), der Untergrund. Stehen die Römerschanz-Gebäude doch sozusagen auf tönernen Füßen, also auf Tonschichten, die infolge starker Austrocknung porös geworden sind und teilweise sogar schon unterirdische Hohlräume gebildet haben.
Betroffen ist sogar das Dach
»Der Boden muss unbedingt befeuchtet werden«, erklärt Kurzschenkel - nicht zuletzt mit Blick auf den Klimawandel. »Die Phasen starker Trockenheit in den vergangenen Jahren haben das Schadensbild sehr schnell, sehr heftig verschlimmert.« Betroffen ist nun sogar das Dach. Dort haben sich im Sommer 2024 »Ziegel verschoben«, weshalb Wasser eindrang und zu allem Übel auch noch eine Sanierung »on top« fällig werden lässt. Was die Kosten weiter in die Höhe treibt.
Hatte man laut Kurzschenkel vor fünf Jahren noch mit 6,1 Millionen Euro für umfängliche Reparaturen gerechnet, musste diese Summe wenig später schon auf 10,6 Millionen nach oben korrigiert werden. Und Stand heute beläuft sich die Schätzung auf satte 16,8 Millionen. Jedenfalls dann, wenn die TBR an ihren Ursprungsplänen festhalten.
Tun sie aber nicht. Stattdessen wurden Abstriche gemacht, haben sich Kurzschenkel, Projektleiterin Anela Karajic Coralic und Friedhofsleiterin Andrea Strasser von einem zuvor anvisierten Parallelvorhaben verabschiedet: dem Neubau eines Verwaltungssitzes.
»Ein solches Zusatzprojekt, wir reden über Baukosten in Höhe von etwa sechs Millionen, ist in der gegenwärtigen Haushaltslage schlichtweg nicht zu finanzieren. Das ist Fakt. Wir müssen daher andere Lösungen finden« - für die Beschäftigten, die ihrer Arbeit, Beratungsgespräche mit Hinterbliebenen inklusive, aktuell in klaustrophobisch kleinen Büros nachgehen.
Ausgliederung statt Neubau
Angedacht ist zum Besten dieser Angestellten eine »Ausgliederung einzelner Verwaltungsbereiche«. Außerdem soll die Urnen- und Särge-Ausstellung in einem kleinen Nebenbau untergebracht werden. Beides würde Platz schaffen, beides räumliche Vergrößerungen im Gebäudebestand ermöglichen. Vor allem aber würde es die Kosten dämpfen. Statt der genannten 16,8 Millionen Euro wären es nurmehr 12,6 Millionen, die geschultert werden müssten.
All das sind indes ungelegte Eier. Zumal der Reutlinger Gemeinderat in der Causa Generalsanierung sein letztes Wort noch nicht gesprochen hat. »Im Moment wird penibel kalkuliert«, sagt Dirk Kurzschenkel. Nachgedacht wird unter anderem über eine - »leider unumgängliche« - Gebührenerhöhung. Außerdem gilt es, zu prüfen, was die Stadt lockermachen kann und welche Fachämter unterstützend ins Boot geholt werden sollten. Zu klären ist darüber hinaus, in welcher Form die Instandsetzung des historischen Gebäude-Ensembles vonstatten geht: In einem Aufwasch oder in Tranchen?
Je schneller, desto günstiger
Dabei steht für den TBR-Chef fest, dass eine zeitlich gestückelte Umsetzung teurer kommt, als eine Komplettsanierung auf einen Rutsch. Angesichts des Schadensausmaßes und vor dem Hintergrund stetig steigender (Material-)Preise, gilt für ihn der Grundsatz »je schneller, desto günstiger«.
Bei den Technischen Betriebsdiensten hofft man deshalb darauf, dass das Stadtparlament der abgespeckten 12,6-Millonen-Euro-Lösung unter Verzicht auf einen Verwaltungsneubau bis spätestens Ende dieses Jahres grünes Licht erteilt. Derweil die Rissbildung - trotz zwischenzeitlich ergriffener Notfallmaßnahmen - mit Rasanz fortschreitet.
Besonders augenfällig wird der desaströse Ist-Zustand im Keller des 1950er-Jahre-Baus. Wiewohl das brüchig gewordene, in Teilen abgesackte Erdreich unterm Estrich die gesamte Immobilie in »Bewegung« gebracht und auch in Korridoren und der Aussegnungshalle sichtbare Spuren hinterlassen hat. Geborstene, stolpergefährliche Fliesen sind so ein Detail. Ein anderes wurde bereits vorsorglich demontiert. Gemeint ist eine mehrere Meter lange Glas-Lamellen-Wand, die vor dem Zerbrechen bewahrt werden sollte. An ihre Stelle ist ein Bretter-Folien-Behelf getreten. Das fragilere Original wurde eingelagert.
Stützpfeiler und provisorische Bewässerung
Ausgelagert wurde hingegen das Sarg-Depot im Keller. Hier im Unterschoss herrscht seither Leere. Im Boden klaffen Löcher, das Mauerwerk ist von tiefen Spalten durchzogen und massive Holzpfeiler wurden zur »Not-Abstützung« aufgepflanzt. Sie sollen die Statik erhöhen. Derweil ein provisorisches Bewässerungssystem der ausgetrockneten Tonerde unterm Bodenbelag dringend benötigte Feuchtigkeit zuführt. Überbrückungsweise. Eben so lange, bis letzte Finanzfragen geklärt sind und Baugerät anrollen kann.
Geklärt werden muss indes noch etwas anderes: der Friedhofsbetrieb während der Sanierungsdauer. Denn Trauerfeiern sind mit der Geräuschkulisse von Bohrern, Hämmern und Sägen kaum vereinbar. Konzentriertes Arbeiten am Schreibtisch ebenso wenig. Um also trotz Baustellen-Situation an Routinen und Ritualen festhalten zu können, bedarf es räumlicher Alternativen - von der Leichtbauhalle für den pietätvollen Abschied bis hin zu Büro-Containern fürs Verwaltungsgeschäft. Beides ist bereits in den 12,6 Millionen Euro inkludiert. (GEA)





