Logo
Aktuell Landgericht

Reutlinger Fenstersturz-Prozess: Elf Jahre Haft

Fenstersturz und Vergewaltigung: Tübinger Schwurgericht sieht die beiden Taten als erwiesen an und spricht in seinem Urteil zudem den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung aus.

Der Richter ist überzeugt: Ein 27-jähriger Bewohner wurde erst aus dem Fenster im 1. Obergeschoss der Asylbewerberunterkunft in
Der Richter ist überzeugt: Ein 27-jähriger Bewohner wurde erst aus dem Fenster im 1. Obergeschoss der Asylbewerberunterkunft in der Reutlinger Ringelbach gestoßen und danach auf einer Grünfläche vor dem Haus vergewaltigt. Tübinger Landgericht verurteilt Täter zu elf Jahren Haft. Foto: Frank Pieth
Der Richter ist überzeugt: Ein 27-jähriger Bewohner wurde erst aus dem Fenster im 1. Obergeschoss der Asylbewerberunterkunft in der Reutlinger Ringelbach gestoßen und danach auf einer Grünfläche vor dem Haus vergewaltigt. Tübinger Landgericht verurteilt Täter zu elf Jahren Haft.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Die Spannung war am Montag im Schwurgerichtssaal des Tübinger Landgerichts deutlich zu spüren. Wie würde das Urteil nach den sehr unterschiedlichen Forderungen von Staatsanwaltschaft (zwölf Jahre Haft) und Verteidigung (Freispruch) ausfallen? Die Antwort war eindeutig: Das Tübinger Landgericht verurteilte den 30-jährigen Angeklagten aus Afghanistan wegen (lebens-)gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung zu einer Haftstrafe von elf Jahren. Die vom Staatsanwalt geforderte Sicherungsverwahrung wurde vorbehalten.

Das Schwurgericht hatte keine Zweifel daran, dass der Angeklagte am 6. November 2024 seinen befreundeten Landsmann aus dem Fenster der Asylbewerberunterkunft in der Reutlinger Ringelbachstraße gestoßen hat. Es stützt sich dabei in erster Linie auf die Aussagen des Opfers. In den Vernehmungen bei der Polizei schon unmittelbar nach der Tat habe der 27-Jährige immer wieder davon berichtet, dass er gestoßen worden sei, so der Vorsitzende Richter Armin Ernst am Montag.

Konstante Aussagen des Opfers

Auch in der Hauptverhandlung habe das Opfer diese Version wiederholt. Für Ernst waren dies über den ganzen Zeitraum hinweg »konstante Aussagen des Opfers«. Erst nach einer Sitzungsunterbrechung vor einer Woche habe sich der 27-Jährige plötzlich nicht mehr an das Geschehen erinnern wollen.

Staatsanwalt Florian Fauser hatte in seinem Plädoyer von einem versuchten Totschlag gesprochen. Die Schwurgerichtskammer sieht das anders. Das Opfer stürzte sieben Meter in die Tiefe und verletzte sich schwer. Der Angeklagte ist nach dem Sturz zu dem 27-Jährigen hingeeilt und hat ihn von einer dunklen, nicht einsehbaren Stelle hinter der Unterkunft nach vorne ins Licht der Straßenlaternen getragen. Der 30-Jährige habe noch mehrere Möglichkeiten gehabt, das völlig hilflose Opfer zu töten, was er aber nicht getan habe. Der Angeklagte sei vom Versuch des Totschlags freiwillig zurückgetreten. Die Kammer beurteilte deshalb die Tat als eine gefährliche Körperverletzung, was sich letztlich aber aufs Strafmaß nicht wesentlich auswirkte.

Vergewaltigung des Verletzten

Der 30-Jährige hat sein Opfer nach dem Sturz dreißig Meter weit getragen und dann auf einem Grünstreifen an der Straße abgelegt. Danach entkleidete er das Opfer, zog sich selbst fast ganz aus und vergewaltigte den lebensgefährlichen verletzten 27-Jährigen, der durch den Sturz vielfältige Knochenbrüche erlitten hatte. Für Ernst eine schreckliche Tat: »Was soll eigentlich noch Schlimmeres passieren bei einer Vergewaltigung?«, meinte der Vorsitzende Richter erschüttert.

Dass sich die Tat so abgespielt hat, davon ist die Schwurgerichtskammer überzeugt. Ernst: »Wir haben keinen vernünftigen Zweifel, dass es zu einer Vergewaltigung vor der Unterkunft gekommen ist.« Es war auch die Antwort auf die Darstellung von Verteidigerin Maria Tunc, die von einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gesprochen hatte.

Aufnahmen einer Videokamera

Für die Schwurgerichtskammer waren vor allem die Aussagen von Zeuginnen wie auch Aufnahmen von Videokameras am Gebäude der Asylbewerberunterkunft von Bedeutung. Passantinnen hatten gesehen, dass der 30-Jährige fast nackt auf seinem Opfer gelegen und »Stoßbewegungen ausgeführt« habe. Zudem zeigen die Bilder der Videokamera, wie sich der Angeklagte entkleidet. Später sieht man, wie ein Mitbewohner dem Opfer zu Hilfe kommt und es, immer noch völlig nackt, in die Unterkunft führt. Zudem wurden Spermaspuren des Angeklagten auf dem Körper des Opfers gefunden.

Im Gerichtssaal

Schwurgericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Julia Merkle, Benjamin Meyer-Kuschmierz. Schöffen: Cigdem Schaich, Georg Krug. Staatsanwalt: Dr. Florian Fauser. Verteidgung: Maria Tunc. Rechtsmedizin: Dr. Melanie Hohner. Psychiatrischer Sachverständiger: Dr. Thomas Ethofer.

Die Sicherungsverwahrung wollte das Gericht nicht anordnen. Es sprach allerdings einen Vorbehalt aus. Das bedeutet, bevor der Angeklagte aus der Haft entlassen wird, muss ein Gericht prüfen, ob der 30-Jährige noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. (GEA).