Logo
Aktuell Interview

Reutlinger Expertin: Wie das Sexleben aufregend bleibt

Frischverliebte können kaum die Finger voneinander lassen. Doch Schmetterlinge im Bauch sind kein Dauerzustand, das körperliche Verlangen verändert sich. Die Reutlinger Paar- und Sexualtherapeutin Sanja Weber erklärt, wie das Liebesleben in Partnerschaften aufregend bleibt

Foto: luckybusiness/stock.adobe; Montage: GEA
Foto: luckybusiness/stock.adobe; Montage: GEA

GEA: Wie wichtig ist Sex in einer Beziehung?

Sanja Weber: Das muss jeder für sich beurteilen. Ich habe in der Praxis Paare, für die Sex unglaublich wichtig ist, Paare, für die es überhaupt nicht wichtig ist und sogar Paare, die noch nie einen Akt hatten. Manche sind komplett asexuell, bei anderen hat Sexualität am Anfang der Beziehung stattgefunden und im Laufe der Zeit nicht mehr. Wenn das für beide ok ist, ist alles gut. Wenn aber einer von beiden mit der Situation unzufrieden ist, reicht das schon, um zum Problem zu werden.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die klassischen Probleme, die Paare beim Thema Sexualität beschäftigen?

Weber: Paare gehen in Therapie, weil sie unzufrieden sind. In vielen Fällen geht es um Häufigkeit, also Lustdifferenzen. Wie oft willst du, wie oft will ich? Oder die Sexualität ist ganz eingeschlafen, beispielsweise nach der Geburt eines Kindes. Bei Männern geht es oft um Erektionsstörungen, bei Frauen um Orgasmusstörungen oder Schmerzen beim Akt. Bei Paaren geht es oft darum, dass der eine etwas will, was der andere nicht will: gewisse Vorlieben, Fetische, Swingen. Manches hat vielleicht mal stattgefunden, jetzt aber nicht mehr. Es kommt dann manchmal dazu, dass einer von beiden sagt, für mich ist das nicht mehr so stimmig.

Sanja Weber (52) betreibt in Reutlingen eine Praxis für Systemische Paartherapie & Sexualtherapie.
Sanja Weber (52) betreibt in Reutlingen eine Praxis für Systemische Paartherapie & Sexualtherapie.
Sanja Weber (52) betreibt in Reutlingen eine Praxis für Systemische Paartherapie & Sexualtherapie.

Wie kann man verhindern, dass es irgendwann nicht mehr stimmig ist?

Weber: Indem man in Kontakt bleibt und Interesse zeigt. Indem man fragt, was willst du, was wünschst du dir? Das A und O ist, dass in einer Beziehung über dieses Thema gesprochen wird. Viele reduzieren die Sexualität auch auf den reinen Akt. Ich glaube, man kann das Ganze auf Dauer viel spannender halten, wenn man sagt, der Orgasmus ist gar nicht das Ziel. Ziel ist zu berühren, zu fühlen, sich nahe zu sein, sich mit allen Sinnen zu erleben. Oft ist es so, dass Frauen eher diejenigen sind, die mit der Zeit weniger Lust bekommen. Die Kinder kommen, die Aufgaben, die Verpflichtung, man funktioniert nur noch. Aus dieser Routine muss man ausbrechen, denn die tut auf Dauer niemandem gut. Sex sollte keine Pflicht sein, aber auch kein Luxus.

Wie bricht man ganz konkret aus dieser Routine aus?

Weber: Wieder ins Gespräch kommen. Es hilft, sich über Wünsche und Fantasien auszutauschen. Dabei ist der Unterschied wichtig. Ein Wunsch ist, wenn man ein konkretes Bedürfnis äußert, beispielsweise am Strand mit seinem Partner zu schlafen. Eine Fantasie ist zunächst etwas unkonkretes, was einen zwar gedanklich erregt, aber nicht unbedingt zu einem Wunsch werden muss. Trotzdem ist es wichtig, Fantasien ebenfalls zu äußern, weil der Andere eine neue Seite von mir kennenlernt und weil es das Begehren aufrechterhält. Allein das Gespräch darüber kann erregend oder erotisch wirken. Liebe braucht Freiheit, keine Pflicht und Funktion.

Sie sagen, so ein Gespräch kann erregend wirken. Zunächst kostet es aber Überwindung, oder?

Weber: Das stimmt. Es braucht Mut und dafür muss man zu sich selbst stehen können. Wünsche und Fantasien – das ist ja ein Thema, das zunächst jeder mit sich ausmachen muss. Erst, wenn das passiert ist, kommt der Partner ins Spiel. Die Botschaft an den anderen sollte sein: Ich will mit dir derjenige sein, der ich jetzt bin, dazu gehört dies und jenes und ich möchte, dass du diesen Teil von mir erfährst. Was du dann damit machst, lasse ich bei dir. Wichtig ist, dass die Beziehung auch beim Thema Sexualität eine Basis hat, auf der man sich alles erzählen kann und sich deshalb nicht angreift, sondern akzeptiert und liebt. Essenziell ist auch, sich damit zu beschäftigen, wer man selbst als sexuelles Wesen ist.

Warum?

Weber: Manches muss man ja erst selbst herausfinden, bevor man es mit seinem Partner teilen kann. Was man will, worauf man Lust hat und wann. Wo man gerne berührt wird, wo nicht. Sich damit zu beschäftigen, hilft, die eigene Lust und erogenen Zonen zu entdecken – besonders für Frauen ist dies ein Weg. Herauszufinden, was einem selbst gefällt, ist in erster Linie die eigene Verantwortung, nicht die des Partners. Deshalb spielt das Thema Selbstbefriedigung auch in Beziehungen eine wichtige Rolle. Außerdem nimmt es dem Partner auch den Druck, dass er oder sie immer für alles zur Verfügung stehen muss. Ich erinnere mich an ein Paar in Therapie, da hat der Mann gesagt, dass zweimal Sex die Woche perfekt wäre. Einmal um Druck abzulassen und einmal zum Spaß. Mal ganz abgesehen davon, wie es der Frau mit so einer Einstellung und Praxis geht, habe ich gesagt: Wenn du Druck abbauen willst, dann mach das selbst.

Besteht da nicht auch die Gefahr, dass man seinem Partner signalisiert, allein macht es mir mehr Spaß und vielleicht reicht mir das am Ende sogar?

Weber: In der Corona-Zeit habe ich eine Studie gelesen, da kam raus, dass sich in dieser Zeit viele Frauen ein Sexspielzeug, den Womanizer, zugelegt haben und dann auf einen Mann verzichten konnten. Natürlich ist das nicht schön für den Mann. Da geht es jedoch weniger um Sexualität, sondern um das Ego, um die Attraktivität und um Ablehnung. Das ist verständlich und dennoch ist es auch in einer Partnerschaft so, dass man sich zwar Treue und Liebe versprochen hat – der Körper gehört aber immer noch einem selbst.

Wie sieht denn gute Kommunikation über Sexualität aus? Die Herausforderung ist ja, dass das Gespräch nicht in einem Austausch von Vorwürfen endet.

Weber: Mögliche Fragen sind: Wie geht es dir mit mir? Tue ich dir gerade gut? Was willst du? Was hindert dich daran? Fehlt dir gerade etwas? Vielleicht auch, was bedeutet es für dich, dass wir gerade nicht miteinander schlafen? Entfernst du dich dann dadurch? Das sind Fragen, mit denen ich Nähe erzeuge. Das ist etwas ganz anderes als: Hast mal wieder keinen Bock? Man kann auch sagen, du fehlst mir, ich will dich mal wieder spüren, ich will dir wieder nahe sein, deine Haut fehlt mir, dein Geruch fehlt mir. Ich bin heute Nacht aufgewacht und hätte mich am liebsten zu dir auf die Seite gekuschelt.

Zur Person

Sanja Weber (52) ist studierte Wirtschaftspsychologin. Seit 2017 ist sie systemische Paar- und Sexualtherapeutin und betreibt seit 2018 eine Praxis in der Reutlinger Innenstadt. (GEA)

Wenn Sie einem Paar einen konkreten Tipp geben könnten, damit seine Sexualität lebendig bleibt, was würden Sie ihm sagen?

Weber: Bleibt neugierig aufeinander und interessiert. Glaubt nicht, dass ihr den anderen schon komplett kennt. Akzeptiert verschiedene Phasen – besonders in langen Beziehungen – denn die Sexualität und die Beziehung verändert sich immer wieder. Und plant Überraschungen ein, einen spontanen Quickie im Bad oder im Freien. Oder auch eine Verabredung zum Sex.

Also ein Termin?

Weber: Das klingt vielleicht unromantisch, aber ja, es hilft. Nicht nur für die Sexualität, sondern auch für die Beziehung an sich. Oft nimmt man sich für alles Zeit, außer für sich als Paar. Arbeit, Kinder, Haushalt, Hobbys – da kommt es schon vor, dass man zwar Lust aufeinander hat, aber am Ende des Tages so müde ist, dass man es einfach nicht mehr schafft. Deshalb ist es wichtig, sich den ein oder anderen Abend freizunehmen, um damit zumindest die Option für Sexualität zu schaffen.

Finden Sie, dass beim Thema Sex zu viel über Quantität gesprochen wird?

Weber: Ja, eindeutig. Aber die Quantität sagt eigentlich gar nichts aus. Quantität kann fast jeder, Qualität nicht. Die in einer langjährigen Beziehung aufrechtzuerhalten, ist anspruchsvoll. David Schnarch, der bekannte, mittlerweile verstorbene amerikanische Sexualtherapeut, sagte mal: »So wie man miteinander spricht, so schläft man auch miteinander.« Spreche ich offen, spreche ich über alles, bin ich respektvoll? Weiß ich, wie es dem Partner geht? Oder haben wir uns schon lange nichts mehr zu sagen? Das Bett ist oft nur ein Spiegel unserer Kommunikation und nicht das eigentliche Problem.

Am Anfang einer Beziehung ist die Sexualität aber oft noch kein Problem…

Weber: Weil alles neu ist. Ich will den anderen kennenlernen, bin interessiert, will wissen, worauf der andere steht. Natürlich ist am Anfang einer Beziehung auch viel hormongesteuert. Aber man probiert aus, lässt sich fallen, erkundet das Neue gemeinsam, will dem anderen vielleicht auch mehr gefallen. Sich das als Paar zu bewahren – dieses Interesse, dieses Erkunden, die Offenheit und Neugier – ist wirklich eine Kunst. (GEA)