REUTLINGEN. 673 Kilometer liegen zwischen dem Reutlinger Bürgerpark und der Bundesgeschäftsstelle der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in der Schillstraße 9 in Berlin. Mit dem Auto braucht ein Mensch für die Strecke knapp sieben Stunden. Fliegt Fraktionsvorsitzende Alice Weidel am 5. März zur Kundgebung nach Reutlingen, geht es noch schneller.
Kevin Brügmann wäre mehr Abstand lieber gewesen. Mindestens einen Tag würde er gerne zwischen die AfD-Kundgebung und seine Demonstration am 5. März bringen. Der Krankenpfleger organisiert die Corona-Demonstrationen samstags in Reutlingen. Dass Alice Weidel wenige Stunden vor dem Protest am ersten März-Samstag in Reutlingen für die AfD spricht, will Brügmann nicht. Ihm wäre es lieber, die AfD würde absagen.
AfD Reutlingen hat Weidel eingeladen
Weil die AfD einen bundesweiten »Aktionstag gegen die Impfpflicht« für den 5. März angekündigt hat, wird Alice Weidel jedoch an dem Tag in Reutlingen sein. Um 15 Uhr soll sie im Bürgerpark sprechen. Die AfD Reutlingen hatte sich im Januar überlegt, wie sie Präsenz im Kampf gegen die Impfpflicht zeigen kann.
Zusammen mit AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier sei die Idee einer gemeinsamen Veranstaltung entstanden, sagt AfD-Lokalpolitiker Ingo Reetzke. Zunächst sei ein Termin im Februar angedacht worden. »Als Frohnmaier den Besuch von Alice Weidel am 5. März anbot, habe ich hocherfreut zugesagt.«
Die Nähe zu der Corona-Demonstration sei nicht geplant gewesen. Die Bundespartei komme nicht nach Reutlingen, um auf einen Zug aufzuspringen. »Herr Frohnmaier meinte, Reutlingen eigne sich für die Kundgebung, weil die in einer größeren Stadt eher untergehe. Gegen halb fünf ist die Veranstaltung beendet.«
Diskussionen auf Telegram
Die zeitliche und örtliche Nähe zu seiner Demonstration ist Brügmann dennoch unangenehm. Drei Stunden nach Beginn der AfD-Kundgebung wird die Corona-Demo wie jeden Samstag um 18 Uhr in der Innenstadt starten. Die AfD soll ihre Kundgebung verlegen, fordert Brügmann. In der Telegram-Gruppe »Wir sind – Chat Reutlingen« geht es Demonstranten ähnlich. Seit dieser Woche diskutieren Teilnehmer über Nähe und Distanz zu der AfD-Veranstaltung – und zur Partei.
Jetzt, wo sich die Bewegung emanzipiert hat und für die kunterbunte Mitte der Gesellschaft steht, wird das eine nicht erwünschte Signalwirkung haben", schreibt eine Teilnehmerin. "Abgesehen davon, dass die AfD ja nicht wirklich rechts ist, kommt es doch merkwürdig rüber, wenn wir uns von der einzigen Partei, die für uns ist, distanzieren", schreibt jemand anderes. Kevin Brügmann hat mit Distanz dagegen kein Problem: "Gerade mit der AfD soll unsere Demo nicht in Verbindung gebracht werden. Wir distanzieren uns von der Kundgebung."
Distanzierung von AfD
Was Weidel sagt, findet Brügmann oft »widerlich«. Rechtem Gedankengut könne er nichts abgewinnen. »Dem, was die AfD über die Corona-Politik sagt, stimme ich aber zu.« Mit einer Kundgebung der AfD habe er kein Problem. »Mein Problem ist, dass sie es genau an unserem Tag tun.«
Brügmann sagt nicht, dass er durch die Nähe zur AfD-Veranstaltung ein schlechtes Image für seinen Protest befürchte. Brügmann sagt: »Wir sind aus der Mitte der Gesellschaft.« Brügmann sagt nicht, dass er vor rechtspopulistischem Gedankengut in seiner Demo Angst hat. Er sagt: »Hält eine Partei auf der Demo ein Banner mit rechtsradikalem Inhalt hoch, wird ein Ordner einschreiten.«
Laufe die AfD im Anschluss an ihre Kundgebung aber mit AfD-Plakat auf seiner Demo mit, auf dem nichts Auffälliges stehe, könne er nichts tun. Die AfD Reutlingen betont, das sie nicht plane, offiziell mitzulaufen: »Ich kann nicht ausschließen, dass ein Mitglied im Anschluss an unsere Veranstaltung bei der Demo mitlaufen wird. Wir wirken aber nicht darauf hin, dass jemand mit Fähnchen oder ähnlichem von uns teilnimmt«, sagt Reetzke.
AfD zeigt Unverständnis
Brügmann selbst betont, dass er niemanden von der Demonstration ausgrenzen werde: »Wir grenzen uns aber von jeglicher Partei ab.« Das beziehe sich auch auf Reutlinger AfD-Stadtrat Hansjörg Schrade: »Der Herr Schrade hat mit unserer Bewegung gar nichts zu tun.«
Die Distanzierung von ihrer Partei kann die Reutlinger AfD nicht verstehen: »Wenn er sich distanziert, ist das sein Problem«, sagt Reetzke. Er selbst habe mit Enrico Schulz, einem früheren Demo-Organisatoren, beraten: »Wir haben das dann so besprochen, dass wir uns nicht in die Quere kommen.«
Aufruf zur Verlegung der Kundgebung
Brügmann wäre es dennoch lieber, die AfD-Kundgebung und seine Demonstration zeitlich getrennt zu sein. »Am liebsten würde ich der AfD sagen: Der Samstag gehört uns! Verlegt Eure Kundgebung.«
Dass die Reutlinger Corona-Demonstranten selbst auf einen anderen Tag in der ersten Märzwoche ausweichen könnten, das will Brügmann jedoch nicht einsehen: »Das hätten wir tun können, aber der Samstag gehört seit zwei Jahren uns. Die sind 500, wir sind 10.000 Menschen.« Die Bewegung habe inzwischen ein so gutes Standing, dass ihr die AfD nichts anhaben könne: »Wenn die AfD am 5. März dabei ist, laufen die dann mit uns mit, nicht wir mit denen.« (GEA)