REUTLINGEN. Es ist ruhig auf dem Reutlinger Kreuzeiche-Parkplatz. Am ersten Verkaufstag des Christbaummarktes haben sich hier lediglich zwei Beschicker mit ihrer grünen Ware aus regionalem Anbau eingefunden. Hella Fischer und Sivul Bogdan heißen sie und haben - der Uhrzeiger bewegt sich auf die 14 zu - bereits ein paar Tannen an den Mann beziehungsweise die Frau gebracht.
Er ist langjähriger Mitarbeiter von Helmut Heinzmann aus Kohlstetten, sie ist in Holzelfingen daheim. Beide bezeichnen es als ungewöhnlich, dass die - im Übrigen befreundete - Konkurrenz heute noch keine Flagge zeigt. Vermutlich hängt das mit dem diesmal extrem frühen Start der Adventszeit zusammen. Fischer, die der Kreuzeiche seit Jahrzehnten verbunden ist, kann sich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals zuvor schon am letzten Tag des Monats November Christbäume feilgeboten zu haben. »Nach dem Wochenende rücken die anderen aber garantiert an« - und dann gibt es ein großes Wiedersehens-Hallo; dann pulsiert das vorweihnachtliche Leben im Epizentrum des Reutlinger Christbaumhandels, geht das traditionelle Bäumchen-Wechsel-Dich in die Vollen.
Sorgfältige Suche nach dem Traumbaum
Die Sonne lacht, die Temperatur bewegt sich nahe des Gefrierpunktes und die Stimmung ist heiter. Wer jetzt durchs Spalier der Nadelgewächse flaniert, kann dies ohne Stress und unbehelligt von anderen Kunden, die einem womöglich den Lieblingsbaum vor der Nase wegschnappen, tun. Genau aus diesem Grund haben sich Klaus Mangold und sein Sohn Pierre aufgemacht, um nach ihrem Traumbaum Ausschau zu halten.
Dicht und lückenlos, verraten sie, sollte das Blätterkleid idealerweise sein, der Wuchs kerzengerade. Die Männer mögen's dunkelgrün und haben sich schon seit gefühlten Ewigkeiten auf Nordmanntannen eingeschossen. »Wir beginnen immer ganz früh mit der Suche nach unserem Bilderbuchbaum«, sagt Pierre. Denn zuweilen bedarf es mehrerer Anläufe auf unterschiedlichen Märkten, bis der perfekte Festtagsbegleiter gefunden ist.

Kritisch beäugt das Duo, was Hella Fischer mitgebracht hat, lässt sich Zeit: Gut Baum will Weile haben. Oder auch nicht. Denn während Vater und Sohn noch über die Vorteile dieses und jenes Nordmanns räsonieren, marschieren Lydia Lorenz und ihr Lebensgefährte Frank Mayer flotten Schritts durch den grünen Kreuzeiche-Tann. Auch sie scheinen nur Augen für »Nordmänner« zu haben. Was Marktbeschickerin Hella Fischer durchaus ein wenig bedauert. Denn der Deutschen liebstes Festtagsgrün ist zwar ansehnlich, jedoch alles andere als dufte. Wer wie sie die Aromen geruchsintensiver Nadelgehölze liebt, würde niemals zur Nordmanntanne greifen, sondern zur Nobilis-, Blau- oder - etwas exklusiver - zur Coloradotanne.
Ein Schnupperkurs gefällig? Die 64-Jährige schnappt sich einen silbrig-blauen Nobilis-Zweig. Wer mag, kann sich eine Nase voll genehmigen - und staunen. Wow! Das riecht zitrusfrisch, mit einem Hauch von würzigem Harz. Kein Zweifel: So duftet Weihnachten. Was Klaus und Pierre Mangold indes nicht davon abhält, weiter die Reihen der weitgehend geruchsneutralen »Nordmänner« zu scannen. »Die riechen zwar nur sehr dezent nach Wald, sind aber nicht so piksig.« Und: »Sie nadeln weniger«, sind sich die Männer sicher. Derweil Lydia Lorenz obschon in diesem Moment mit einem »Nordmann« liebäugelnd »prinzipiell für alles offen« ist. Nicht die Baumsorte gibt bei ihr den Kauf-Ausschlag, sondern die Form. Schlank sollte ihr Wunschkandidat sein - was der Wohnzimmergröße geschuldet ist. Möbelrücken kommt für Lorenz nicht in Frage.
Der Trend geht zum Last-Minute-Baum
Und warum zählt sie - entgegen dem Trend zum Last-Minute-Baum - zu den Kundinnen der ersten Stunde? »Weil ich Weihnachten liebe!« Also die dekorativen Facetten des Festes. Lichterglanz und Glitzer - »das genieße ich jedes Jahr aufs Neue«. Und damit der Genuss möglichst lange währt, kommt das Festtagsgrün zeitig in die gute Stube. Zumal die Reutlingerin an Heiligabend und während der Feiertage alle Jahre wieder Eltern und Verwandte besucht. »Ich hätte gar nichts von meinem Baum, wenn ich ihn erst kurz vor Weihnachten aufstellen würde.«
Andere kaufen zwar früh, schmücken aber, wie Vater und Sohn Mangold, erst deutlich später. Und wieder andere kaufen früh und bugsieren den Baum überhaupt nicht in die heimischen vier Wände, sondern erfreuen sich seiner mit Blick durch die Terrassen- oder Balkontüre - entweder, weil sie das schon immer so praktiziert haben, mitunter aber auch, weil, wie Beschicker Sivul Bogdan weiß, die Dimensionen der Fernsehgeräte raumgreifender geworden sind: Opulentes Home-Entertainment lässt keinen Platz für gestandene Christbäume. Weshalb das Traditionsgrün draußen bleibt oder ein, zwei Nummern kleiner erworben wird als ehedem.
Saubere und einheimische Ware statt Importprodukte
Und wie hoch ragt der durchschnittliche Tannenbaum in den Luftraum der Wohnzimmer? Knapp zwei Meter. Denn so touchiert er, was ein oft geäußertes Kaufkriterium ist, nicht die Decke und lässt sich noch bequem schmücken. Übrigens: Es dauert um die zwölf Jahre, bis ein Nadelgehölz besagte Zwei-Meter-Marke knackt. Je nach Sorte werden für solche Exemplare an der Kreuzeiche zwischen 50 und 65 Euro aufgerufen. Was klar über Discounterpreis liegt. Jedoch: Wer bei Beschickern wie Fischer und Bogdan kauft, kann sich dafür zu hundert Prozent sicher sein, dass er saubere und einheimische Ware erwirbt: ohne Pestizidbehandlung und ohne elendslange Importwege von Dänemark oder Polen bis in die Achalmstadt, sondern aus dem Schwarzwald, von der Alb und vom Bodensee.
Das überzeugt. Nicht zuletzt Vater und Sohn Mangold, die ihr Stöbern beendet haben. Sie sind tatsächlich fündig geworden. »So schnell ging's schon lange nicht mehr«, freut sich das Duo und braust davon. Auch Lydia Lorenz und ihr Lebensgefährte können Vollzug melden. Zufriedenheit allenthalben. Die Kunden der ersten Stunde ziehen ab, Hella Fischer und Sivul Bogdan halten die Stellung. Das werden sie bis Dienstag, 24. Dezember tun. So lange nämlich läuft der Christbaummarkt auf dem Kreuzeiche-Parkplatz - montags bis samstags von etwa 8 Uhr bis Sonnenuntergang. (GEA)